9/11 Der Frauen-Code

von: Diana A. von Ganselwein

IGK-Verlag, 2018

ISBN: 9783963613630 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 5,49 EUR

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9/11 Der Frauen-Code


 

1. Kapitel


20. September, Donnerstag


 

Am heutigen Morgen noch, bedrückt, kraftlos, kriege ich Meister Kung nicht und nicht aus dem Kopf. Ein chinesischer Philosoph. Sie kennen ihn – aber vermutlich unter einem anderen Namen: K’ung-fu-tzu, Kong Zi, Kong Fuzi, Kong Chiu. Am ehesten wohl latinisiert als Konfuzius.

Jetzt nähert sich dieser zehnte Tag dem Abend. Von Depression und Burn-out ist plötzlich keine Spur mehr!

Konfuzius zu Ehren steht auf dem Tisch vor mir sogar eine Tasse brühend heißer Grüner Tee.

Genau genommen ist mir eher nach Margarita zumute, während ich den Bildschirm und das Programm von CNN nicht aus den Augen lasse.

Ich warte auf das Erscheinen von Laura Bush.

Mein Insiderwissen sagt mir: Margarita und die First Lady würde nach allem, was ich inzwischen über sie weiß, sogar sehr gut passen. Aber in Hinblick auf den altehrwürdigen Chinesen sind jetzt die fermentierten, getrockneten und zerriebenen Teeblätter angesagt

Vor Jahren greife ich im Supermarkt nach einem Schnäppchen: Kaufe zwei, zahle eines. Die Teepackungen finde ich tatsächlich noch in einer Ecke der Vorratskammer meiner Küche. Entgegen meiner Gewohnheit erforsche ich nicht die Haltbarkeit. Ob unter BEST BEFORE ein Datum vor oder nach dem 20. September 2001 steht, interessiert mich ausnahmsweise nicht im Geringsten.

Ich spüre den fragenden Blick meines Mannes. Grüner Tee? Allerdings bin ich nicht bereit, mein Innerstes nach außen zu kehren. Noch nicht.

Das gilt sogar für ihn. Mit ihm teile ich jedes auch nur irgendwie in Frage kommende Geheimnis. Dieses nicht. Er würde um seine Fassung ringen. Die dramatischsten Tage der Neuzeit ... und was mache ich? Ich orientiere mich an einem Philosophen aus dem dritten Jahrtausend vor Christus.

„Weiß das dein Boss?“ würde er fragen.

Nein. Natürlich nicht.

Ich gestehe: Verlockend wäre es schon gewesen, sich mit George W. Bush über meine Befürchtung auszutauschen. Aber es gäbe keinen Kompromiss. Das Ergebnis wäre unkalkulierbar. Triumph oder Tragödie. Sieg oder Niederlage. Entweder er kann meine Interpretation augenblicklich uneingeschränkt akzeptieren, also: Er spürt die Wahrheit in ihr so wie ich. Oder meine Strategie verliert mit einem einzigen Wimpernschlag jede Chance auf Verwirklichung.

Nur eine Fifty-Fifty-Chance, die fünfte Katastrophe abzuwenden. Das ist zu wenig.

So kennt zur Stunde nur Laura die Quelle meines Denkens und Handelns. Konfuzius. Es ist eine Art Copyright-Klau. Eines Tages werde ich meine Erlebnisse niederschreiben. Und die Welt wird urteilen: Ich bin keine Diebin. Meine Motive sind christlich. Meister Kung müsste sich freuen.

Mein Name lautet Janet McCormack. Ich bin einundvierzig Jahre alt und verheiratet. Meine Position ist auf der Gehaltsliste der mehr als vierhundert im White House Beschäftigten durchaus recht weit oben gelistet – etwa am Übergang vom mittleren zum oberen Drittel des Managements. Links steht die Summe dreiundsiebzigtausendsiebenhundertzwanzig. Rechts: Director Of Media Analyses. Fast die Hälfte meiner Kolleginnen und Kollegen verdient keine fünfzigtausend Dollar im Jahr. Gut: Die Statuten billigen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika auch nur vierhunderttausend und seinem Vize zweihundertfünftausendundeinunddreißig Dollar zu. Aber etwa siebzig Mitarbeiter in einem der prickelndsten Bürogebäude der Welt sind sage und schreibe mit tatsächlich nur dreißigtausend, beziehungsweise einunddreißigtausend eingestuft. Klangvolle Jobs! Reise-Koordinator. Korrespondenz-Analyst. Planungs-Assistent. Forschungs-Beauftragter. Wäre mein Mann nicht Professor für Nahrungszusatzstoffe an der Edison University in Ft. Myers, könnten wir uns den Bungalow 2423 SE 12TH AVE am Nordwestrand von Bonita Springs, FL, nicht leisten.

Weder mein Name, noch mein Wohnsitz sind einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Trotz Schreibtisch im White House zähle ich keinesfalls in irgendeiner Form zu den Glitterati.

Mit Mühe habe ich heute die Nachmittagsmaschine vom National Reagan Airport in Washington D.C. zum Flughafen South West Florida geschafft. Jetzt sind die Sicherheitsprozeduren absurd.

Ich wollte aber, ich musste nach Hause. Wenn ich ehrlich bin, ist es fraglich, ob ich das Rückflugticket überhaupt noch benutzen werde. Der Job ist getan. Meine Pflicht ist erfüllt.

Nun befinde ich mich in dem kleineren unserer beiden Living Rooms. Mein Blick fällt über den Pool und den kurzen, mit weißen Elementen aus Plastik eingezäunten Rasen auf einen breiten Frischwasserkanal. Am anderen Ufer ragen dichte Mangrovenbüsche haushoch in den Himmel. Im Sommer verraten ab dem ersten Sonnenstrahl und auch am frühen Abend noch Schlaggeräusche und laute Stimmen, dass direkt dahinter, für uns nicht sichtbar, ein Golfplatz angelegt ist. Jetzt dringt kein Ton über den Kanal. Die Sonne ist bereits verschwunden, und selbst hartnäckige Golfer entscheiden sich in dieser historisch bedeutenden Stunde für einen Nachrichtensender anstelle ihres Golf Channels. Die seitlich angrenzenden Grundstücke sind noch unverbaut. Kein Gegenüber, keine Anrainer. So leben wir in einem paradiesischen Refugium. Die nächsten Nachbarn wohnen in Rufweite nördlich von uns, eine Deutsche und ihr amerikanischer Ehemann, von Beruf Builder, Hausbauer.

Halb liegend, mache ich es mir in unserem einzigen Fernsehstuhl mit motorgetriebenem Fußteil bequem. Für gewöhnlich nimmt mein Mann ihn in Anspruch. Er hat meinetwegen sehr einfühlsam seine letzte Vorlesung abgesagt und sitzt links von mir auf dem Sofa, in der Ecke, die eigentlich meine ist. Wir waren uns wortlos einig, welcher Sender: Es ist meine Veranstaltung, die CNN gleich vom Capitol Hill übertragen wird.

Ich frage mich: Wie viele Personen mögen wissen, was der Präsident in den folgenden Minuten verkünden wird? Ich meine: Wie viele haben berechtigten Grund, zu glauben, es zu wissen? Bewusst frage ich mich nicht, wie viele das Tatsächliche kennen, die Quintessenz. Es wäre entsetzlich, sollte ich mich da irren.

Nein, ich denke konkret an diese ziemlich klar umrissene, kleine Schar der normalerweise Eingeweihten, die in den letzten Tagen unmittelbar mit der Rede befasst sind, über ihr grübeln, ihre Eckpfeiler bestimmen, ihre Substanz analysieren – und deshalb glauben, informiert zu sein. Dazu jene, die aus irgendeinem Grund ebenfalls Details daraus erfahren. Die Financial Times nennt in einem Bericht über Insider Trading eine hochinteressante Zahl. Selbst bei strenger Limitierung der Informationszugänge erfahren zum Beispiel aus in größter Geheimhaltungsstufe ablaufenden Fusionsgesprächen zweier Konzerne locker am Ende bis zu vierhundert Personen für sie nicht freigegebene Details. Ich glaube, der Artikel listet von ganz oben bis ganz unten dreizehn Kommunikationsebenen mit einem möglichen Leck auf. Eines betrifft – ob man das für wahrscheinlich hält oder nicht - die eine oder andere Stammkneipe, in der dann und wann ein Insider sich irgendwie brüstet. Tiefster Punkt: das professionelle Reinigungsteam unter Vertrag, zuständig für die Papierkörbe neben den Kopiergeräten. Ich denke, bei uns im White House ist es nicht anders.

An der heutigen Rede schreiben und feilen offiziell drei Spin Doctors und mehrere Mitglieder der Regierung Bush, ehe der Präsident mit einem schwarzen Sharpie Pen (er verwendet Tinte in den Farben Schwarz, Blau, Grün und Rot) die Endfassung redigiert. Die Commission To The President for National Security Affairs – also sein innerer Beraterkreis für Fragen der Sicherheit – umfasst weitere dreiundzwanzig Köpfe. Nicht mitgezählt der Vice President, der White House Chief of Staff und der Security Adviser in Gestalt von Dr. Condoleezza Rice und die für sie alle tätigen Teams. Dazu Ehefrauen, Sekretärinnen, die eine oder andere Geliebte. Also locker an die hundert Personen haben in dieser Stunde dem amerikanischen Volk eines voraus: Insiderwissen über die Frage, wie die Vereinigten Staaten von Amerika nach der heute zu verkündenden Entscheidung ihres dreiundvierzigsten Präsidenten auf die Terrorakte vom 11. September reagieren werden.

Möglicherweise sind einige unter ihnen nicht auf dem Laufenden und erwarten die Sätze, die gestern erst verworfen werden: „Amerikaner haben bereits Überraschungsangriffe erlebt, aber niemals zuvor einen gegen Tausende Zivilisten. All das wurde uns an einem einzigen Tag angetan, und die Nacht brach herein über eine veränderte Welt.“

Zu literarisch für einen Mann aus Texas.

Eigentlich schade.

Die Zuschauer an den Fernsehgeräten empfinden natürlich, der Präsident spricht in erster Linie zu ihnen. Tut er ja auch. Aber in Wahrheit wendet er sich an die Legislative. Kongress und Senat in gemeinsamer Sitzung sind im politischen Sinne die wichtigsten Empfänger seiner Botschaft. Er braucht grünes Licht für seine Doktrin, seine programmatische Festlegung. Das Kabinett, die in die Hunderte gehenden Abgeordneten, Vertreter des Obersten Gerichtshofs und militärische Befehlshaber in Uniform unterstreichen jetzt auf unserem Flachbildschirm ohne Zweifel die Bedeutung des Augenblicks.

Da! In der Visitors Gallery erscheint First Lady Laura Bush. Im Schlepptau ein New Yorker Polizeioffizier, ein New Yorker Feuerwehrchef, sowie Bürgermeister Rudolph W. Giuliani und der Gouverneur des Staates New York, George E. Pataki. Die Abgeordneten springen auf und schreien „Bravo!“ – ohne dass klar ist, wen genau sie meinen.

Welches Aufatmen für mich, diese Frau zu sehen!

Ich stufe sie als das Alpha-Gehirn des Präsidenten ein. Ein Journalist, der sie wohl sehr schätzt, formuliert seine Anerkennung so: balanciert, pragmatisch,...