Dorian Hunter 92 - Taklamakan

von: Simon Borner, Uwe Vöhl

Zaubermond Verlag, 2018

ISBN: 9783955720926 , 212 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Dorian Hunter 92 - Taklamakan


 

 

Kopfgeldjäger

 

von Uwe Vöhl

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

1.


 

Die Kleine war höchstens sechs. Zumindest dem Äußeren nach. Sie trug ein zerlumptes Nachthemd, das wohl ehemals weiß gewesen war, jetzt jedoch vor Dreck, Kot, Blut und anderen üblen Dingen starrte. Das Mädchen hielt eine Stoffpuppe an sich gedrückt. Die Puppe war genauso verschmutzt wie das Mädchen selbst. Es saß im Schlamm und schaute mit großen Augen ängstlich zu dem Revolvermann hoch. Sein Schatten war ganz plötzlich aufgetaucht. Bis dahin hatte die Kleine mit der Puppe gespielt und nicht auf ihre Umgebung geachtet.

Solomon Keyes setzte sein freundlichstes Lächeln auf, ging in die Hocke und fragte mit sanfter Stimme: »Hallo, Mädchen, wie heißt denn deine Puppe?«

»Mirela.« Die Furcht war nicht aus den Augen des Mädchens verschwunden. Im Gegenteil. Nun kam auch noch Misstrauen hinzu. Seit wann interessierten sich erwachsene Männer für ihre Mirela?

Solomon Keyes streichelte über den zerrupften Haarschopf der Puppe, der aus dicken Wollfäden bestand und den verfilzten Haaren des Mädchens ähnelte.

»Sie ist schön, deine Mirela. Sie gefällt mir …«

Instinktiv drückte das Mädchen die Puppe noch fester an sich. »Du lügst«, sagte sie. »Mirela ist nicht mehr schön. Sie ist schmutzig und hat Risse.«

»Wir könnten das ändern. Dort, wo ich hinwill, gibt es bestimmt einen Puppendoktor.«

Die Kleine sah ihn skeptisch an. »Dafür braucht man aber Geld.«

Solomon Key schnippt mit den Fingern, und auf einmal lag ein Geldstück in seiner Hand.

»Geld ist kein Problem.« Er streckte ihr die Münze entgegen. »Hier, die schenk ich dir …«

Die Hand des Mädchens zuckte vor, verharrte aber im letzten Augenblick. »Ich darf nichts von fremden Männern annehmen.«

»Wer sagt das denn?«

»Meine Eltern.«

»Genau zu denen möchte ich. Führst du mich zu ihnen?«

Das Mädchen schüttelte bockig den Kopf. »Das wollen sie bestimmt nicht. Außerdem schlafen sie.«

»Am helllichten Tag? Na so was. Macht aber nichts. Wir wecken sie auf, und was ich mit deinen Eltern zu bereden habe, wird ihnen gefallen.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen.

Genau wie die Puppe.

Solomon Keyes grinste breit. Diese Symbiose gefiel ihm. Die Kleine hatte wirklich was drauf.

»Hey, wie heißt du überhaupt?«

»Felicia.«

»Felicia …« Er dehnte den Namen und schnalzte mit der Zunge. »Felicia, die Glückliche …«

Abermals schnippte er mit den Fingern. Diesmal hatte er ein Bonbon hervorgezaubert. Er sah die Gier in den Augen des Mädchens.

»Na, ist das nicht ein Deal? Du kriegst von mir eine ganze Tüte Bonbons, wenn du mich zu deinen Eltern führst.« Seine Stimme klang nun nicht mehr so geduldig und freundlich.

Felicia schüttelte erneut den Kopf.

»Du bist ein ganz schön störrischer Dickkopf, Felicia«, knurrte Keyes, und plötzlich lag ein Revolver in seiner Hand. Die Mündung der Waffe drückte er an die Schläfe der Puppe. »Eins, zwei, drei, und deine schöne Mirela ist nur noch Brei!«, drohte er und lächelte grausam. »Also, machen wir nun einen Deal oder nicht?«

Felicia nickte heftig, genau wie die Puppe. Solomon Keyes riss sie ihr aus den Händen. Die Puppe zappelte und wehrte sich, sodass er ihr die Kehle zudrückte. Auch Felicia begann zu röcheln.

»Wenn du nicht stillhältst, drücke ich fester zu!« Er hatte zu Felicia gesprochen, erreichte aber genau den beabsichtigten Zweck. Die Puppe erschlaffte in seinen Händen. Diese Verbindung zwischen den beiden beindruckte ihn. Das Mädchen musste wirklich über außergewöhnliches Talent verfügen. Und er hatte auch schon einen Plan, wie er es für seine Zwecke einsetzen würde.

»Und jetzt hopp! Meine Geduld ist nicht unendlich!«, warnte er.

Das Mädchen erhob sich aus dem Schlamm. Es zitterte und hatte Angst. Und deshalb gehorchte es. Es ging voran, schaute jedoch immer wieder, ob Solomon Keyes ihm auch ja folgte und der Puppe nichts tat.

Das Lager war überschaubar. Noch vor einem Jahr hatte es hier anders ausgesehen. In dem »Dschungel«, wie das Flüchtlingslager in Calais auch genannt wurde, hatten Tausende gestrandeter Menschen vegetiert. Ihr Ziel war es, als blinde Passagiere nach Großbritannien zu gelangen. Doch auch, nachdem die Behörden den Dschungel geräumt hatten, kamen immer noch weitere Flüchtlinge nach Calais und errichteten neue »Dschungel« neben dem geräumten Gelände. Mittlerweile waren es nur noch wenige Hundert – und meistens wurden sie nach ein paar Wochen von der Polizei wieder in andere Flüchtlingslager gebracht.

Kaum einer der Flüchtlinge kümmerte sich um den seltsamen Revolvermann und das Mädchen. Hier war sich jeder selbst der Nächste. Die Leute schauten rasch zu Boden, wenn Keyes’ Blick den ihren streifte. Niemand hielt ihn auf, niemand fragte ihn, wieso er bewaffnet und wer das kleine Mädchen an seiner Seite war.

Keyes’ vormals blanke Stiefel waren mit Schlamm und Exkrementen bespritzt, als sie endlich vor einem armseligen Zelt hielten. Zwei kleine Jungen, jünger noch als Felicia, saßen im Dreck und buddelten darin. Dennoch wirkten sie selbst im Spiel teilnahmslos.

Erst als einer von ihnen aufschaute und Solomon Keyes erblickte, trat so etwas wie Glanz in die stumpfen Augen. »Bist du ein Cowboy?«, fragte der Junge.

»So etwas Ähnliches«, antwortete Keyes und lächelte freundlich. Es war nicht so, dass er kein Herz besaß. Wenngleich es rabenschwarz war, taten ihm die Kinder leid. Sie hatten etwas Besseres verdient, als hier im Schlamm zu hocken. Zumal es ganz besondere Kinder waren. Keine Menschen. Zumindest keine reinrassigen.

»Weck sie auf!«, befahl er, und Felicia beeilte sich, in das Zelt zu kriechen.

Als Erster steckte ein abgemagerter Mann den Kopf heraus. Er hatte schulterlange, fettige Haare, einen herabhängenden Schnäuzer und kleine tückische Augen.

Als er Solomon Keyes erblickte, zuckte er zusammen. Man sah ihm an, dass er am liebsten geflüchtet wäre.

»Keine Sorge, ich tue Ihnen nichts«, sagte Keyes schnell. Den Revolver hatte er inzwischen wieder ins Holster gesteckt. Um seine Worte zu unterstreichen, zeigte er dem Mann beide Handflächen. »Im Gegenteil, ich bin gekommen, um Ihnen Ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Sie wollen doch rüber nach Großbritannien, oder?«

Ein zweiter Kopf kam neben dem Mann zum Vorschein. Er gehörte einer Frau. Einer bildhübschen Frau, wie Keyes feststellte. Ihre hohen Wangenknochen und die grünblitzenden Augen verliehen ihr einen exotischen Reiz. Die schwarzen Haare waren zu einem Zopf gebunden, der ihr nach vorne über die Bluse fiel. Die vollen Lippen waren wie das ganze Gesicht nicht geschminkt. Das minderte nicht ihre Attraktivität.

Dennoch ließ sich Keyes nicht von ihrer Schönheit blenden. Die war ihm egal. Ihm kam es auf die inneren Werte an, und er war gespannt, was sie ihm zu bieten hatte.

»Was wollen Sie?«, zischte die Frau. Er konnte ihre Feindseligkeit ihm gegenüber geradezu spüren. Körperlich, und er wusste, dass sie es ihn spüren lassen wollte.

Solomon Keyes lüpfte den Hut und verbeugte sich. »Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss …«

»Lassen Sie den Quatsch. Mein Name ist Denisa. Sie sind kein Mensch, Sie gehören zur Schwarzen Familie, genau wie ich, nicht wahr?«

»Da bin ich mir nicht so sicher, Teuerste. Ich meine, ob Sie zur Schwarzen Familie gehören. Und er.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf den Mann, der so gar nicht zu der Frau zu passen schien.

Wieder zuckte der Mann zusammen. Seine Nerven schienen nicht die besten zu sein.

»Asker ist ein gewöhnlicher Mensch, da haben Sie recht, aber ich bin trotzdem nicht aus der Familie gestoßen worden.«

Das war gut so, denn es bedeutete, dass die Frau nach wie vor über ihre Fähigkeiten verfügte. Diese Familie war ein Geschenk – genau das, was er brauchte: Ein normaler Mensch, eine talentierte Hexe und ein Bastard von einem Mädchen, bei dem er ahnte, dass die Kleine sein Problem vielleicht mehr noch als die anderen beiden lösen konnten.

Sein Blick fiel auf die beiden Jungen, die nach wie vor teilnahmslos im Dreck spielten. Sie waren magisch nur mäßig begabt, das spürte er. Er würde mit ihnen nicht viel anfangen können.

Da Keyes schwieg, wiederholte Denisa ihre Frage: »Was wollen Sie von uns?«

»Ich bringe Sie rüber nach Großbritannien«, erklärte Keyes.

Denisa lachte auf. Es war ein schönes, perlendes Lachen, das sicherlich so manchen Mann um den Verstand brachte. »Selbst für eine Million Pfund und mich noch obendrauf würden Sie das niemals schaffen, Mister. Die Kontrollen machen es schon normalen Menschen fast unmöglich, rüberzugelangen. Asker könnte es vielleicht schaffen – allein. Aber er ist zu feige.« Wieder lachte sie, diesmal lag Spott darin. »Sie scheinen nicht sehr gut informiert zu sein. Nicht nur der Tunnel ist dicht. Kein Dämon gelangt seit Kurzem mehr nach Großbritannien. Überall haben sie die Grenzen für uns unüberwindbar gemacht …«

»Ich kenne eine Möglichkeit«, behauptete Keyes.

»Und das machen Sie ganz uneigennützig, wie?«

»Nein, ich gebe zu, dass ich ebenso auf Sie angewiesen bin wie Sie auf mich. Aber ich bin sicher, dass wir es zusammen schaffen werden.«

Zumindest werden wir es zusammen schaffen, dass einer von uns drüben ankommt. Und das werde ich sein.

 

Hitze. Unerträgliche Hitze. Die Haut ist rot wie ein gekochter Hummer. Wo sie...