Das Labyrinth der Medea

von: Gabriela Hofer

epubli, 2018

ISBN: 9783746731599 , 1 Seiten

5. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 7,99 EUR

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Das Labyrinth der Medea


 

SELTSAMES GESCHIEHT


 

 

 

Hope saß auf ihrem Platz in der Schule, geistesabwesend aus dem Fenster starrend. Es war die letzte Stunde heute und sie hatte endlich Zeit über einiges nachzudenken. Gedankenverloren kaute sie auf ihrem Bleistift herum. Irgendetwas stimmte mit ihr eindeutig nicht. Der verwirrte Blick von Betsy, als sie erfuhren, dass der neue Junge tatsächlich Gideon hieß, verfolgte sie immer noch. In der Pause war Betsy dann ziemlich ruhig gewesen. Wenigstens etwas klappte: Gideon hatte den leeren Platz neben George bekommen. Ein schneller Blick dorthin. Sie schienen sich gut zu verstehen. Gideon schaute auf und ihr direkt in die Augen. Schnell sah sie weg. Er sah aber auch verflixt noch mal sehr gut aus: für sein Alter ziemlich groß und muskulös, blonde Haare und die blausten Augen, die sie je gesehen hatte; man konnte direkt darin ertrinken. Außerdem machte es den Eindruck, als müsste er sich nicht dauernd beweisen. Wieder schweiften ihre Gedanken zu den ihr in letzter Zeit passierenden seltsamen Dingen. Wie waren diese nur zu erklären? Waren es wirklich nur Zufälle, wie Betsy meinte? Doch auch sie war sich nicht mehr ganz sicher.

Am besten wäre es, sie spräche heute Abend mal mit ihren Eltern. Vielleicht hatten sie ja darauf eine Antwort. Ihr Blick streifte die alte Ulme vor dem Fenster, ein kleiner Zaun umlief diese. Auf der kleinen dort angebrachten Tafel stand: Kein Zutritt. Es sollte die Kids davon abhalten auf den Baum zu klettern und sich eventuell zu verletzen. Leider schienen nicht alle lesen zu können ...

Im Moment aber handelte es sich nicht um ein Kind, das ihre Aufmerksamkeit fesselte, sondern — Hope ließ den Bleistift fallen, rieb sich mit beiden Händen die Augen und erhob sich leicht — es waren tatsächlich eine schwarze Katze und eine Krähe, traulich vereint nebeneinander auf dem Zaun sitzend, wobei die Krähe doch wirklich ihren Kopf an dem der Katze rieb! So etwas hatte sie noch nie gesehen.

„Hallo, Hope, bist du noch da?“ Betsy flüsterte leise neben

ihr.

Hope setzte sich schnell wieder hin und packte Betsy aufgeregt am Arm, so fest, dass diese leise aufschrie vor Schmerz. „Entschuldige bitte, Betsy, aber schau mal aus dem Fenster, siehst du auch, was ich sehe?“ Aufgeregt zeigte Hope zu der Ulme.

Betsy sah nach draußen; da war nichts Außergewöhnliches zu sehen, nur die alte Ulme.

„Ich nehme mal an, du siehst auch die alte Ulme. Was soll daran so speziell sein?“

Nun erst realisierte Hope, dass die beiden Tiere tatsächlich verschwunden waren. „Aber da waren ...“Völlig verwirrt verstummte sie, nur um zu bemerken, dass Betsy schon wieder am Schreiben ihres Aufsatzes war.

 

Zur gleichen Zeit, weit weg von Stirling ...

„Thadeus, es ist Zeit, Hope hierher zu bringen.“ Ein Leuchten erschien in den Augen der Dekanin. „Wie lange schon sehne ich mich danach, sie endlich kennen zu lernen. Wachen Alexis und Bethany auch gut über sie?“

„Aber sicher, Prudence, die beiden sind absolut zuverlässig. Sie werden mich sofort benachrichtigen, sollte sie in Gefahr sein.“

Die Dekanin atmete auf und wandte sich vom Fenster ab. Sie befanden sich in ihrem Büro. Prof. Prof. Scribble saß auf einem der bequemen Sessel Sie setzte sich ebenfalls wieder hin und sah ihren vertrauten Freund an. Thadeus Scribble war eine seltsame Gestalt, klein, einem Gnom ähnlich, mit mindestens drei Meter langem Bart und einer weißen löwenähnlichen Mähne. „Thadeus, ich hoffe, dass die Leute in diesem Stirling Hope wirklich darüber informieren, dass sie adoptiert wurde, so wie es der Wunsch meiner Tochter gewesen ist.“

„Sie werden es schon machen, trotzdem wird die Wahrheit für Hope ein Schock sein.“

„Ja, und ich hoffe, dass sie mir meine schweren Fehler verzeihen kann.

Das Abendessen in der Küche der Familie Hopper wurde bisher schweigend eingenommen. Ein warmes Licht erhellte das heimelige Zimmer und doch spürte Hope, wie ihr die Kälte in die Glieder kroch. Verstohlen schaute sie ihre Eltern an. Beide waren ungewöhnlich still und sahen ziemlich traurig und blass aus. Was mochte geschehen sein? Konnte sie sie jetzt auf diese seltsamen Dinge ansprechen? „Ich möchte etwas mit euch besprechen“, durchbrach sie die Stille. Ihr Vater zuckte leicht zusammen. Anscheinend war er mit seinen Gedanken ganz an einem anderen Ort gewesen. Nun schaute er Hope in die Augen.

Mr. Hopper war ein hübscher großer Mann mit hellbraunen, modisch kurz geschnittenen Haaren, hellblauen Augen und Brille. Er war Arzt und hatte seine Praxis gleich im Hause nebenan. Es war in Grün gehalten, ihr Heim in Weiß. Er lächelte leicht: „Was gibt es denn so Wichtiges, Schatz?“ Hope setzte sich gerade hin, legte ihr Besteck ab, strich das Tischtuch glatt und begann: „Seit einiger Zeit, eigentlich seit etwa einem Monat, geschehen seltsame Dinge...“ Leise erzählte sie die verschiedenen Begebenheiten. „Ich dachte mir, dass ihr mir vielleicht helfen, mir vor allem sagen könnt, ob ich mir da nur etwas einbilde oder ob tatsächlich in unserer Familie spezielle Menschen — verrückte Menschen? — vorkommen.“

Die Mienen ihrer Eltern wurden ernst. Es schien Hope, dass sie noch eine Spur blasser wurden. Betreten sahen sie sich in die Augen, die Mutter nickte dem Vater zu. Dieser seufzte schwer auf. Nun war der Moment der Wahrheit wohl gekommen. „Hope, wir wissen auch nicht, was diese seltsamen Begebenheiten sollen. Weißt du ... wie soll ich es dir nur sagen ...?“ Verzweifelt fuhr er sich durch die Haare. Hope saß völlig starr auf ihrem Platz. Schweißtropfen standen ihr auf der Stirn. Sie spürte, dass sie nun etwas Schreckliches erfahren würde.

Ihr Vater fuhr fort. Er konnte ihr aber dabei nicht in die Augen sehen: "Ich kann dir nicht helfen, weil… nun, wir haben dich, als du drei Monate alt warst, adoptiert." Endlich war die Wahrheit draussen.

Hope sass immer noch starr da. Die Worte ihres Vaters drangen erst langsam in ihr Bewusstsein. Sie war adoptiert worden? Weshalb? Wer waren ihre leiblichen Eltern? Ein tiefes Schluchzen stieg in ihr auf. Heftig weinend legte sie ihren Kopf auf die Unterarme.

Erschrocken standen ihre Eltern auf und setzten sich links und rechts von ihr auf die Bank. Zärtlich strich ihr die Mutter über das wundervolle rote Haar: "Oh mein Schatz. Ich weiss, es ist schrecklich für dich. Aber du weißt tief in dir innen, dass wir dich von ganzem Herzen lieben. Du bist unsere Tochter, unser Sonnenschein und wirst es immer bleiben. Ich hätte nie ein eigenes Kind bekommen können, da ich mit sechzehn einen schweren Unfall gehabt hatte. Als du vor gut fünfzehn Jahren in einem Körbchen vor dem Haus lagst… dann war das für uns ein Geschenk des Himmels. Nicht wahr, Schatz?"

Hopes Vater strich ihr ebenfalls über die Haare. Er bejahte Mutters Worte. Beide warteten bis sich Hope wieder etwas gefasst hatte. Lange Zeit hörte man nur das Ticken der Kuckucksuhr. Dann hob Hope ihr verweintes Gesicht und stellte die Frage, vor der sich die Eltern fürchteten: "Aber warum wurde ich einfach so weggegeben? Wer waren meine leiblichen Eltern?"

Der Vater reichte ihr ein Taschentuch: "Mary, bitte hole alles was wir haben runter."

Diese nickte und verliess die Küche.

Jim Hopper stand auf. Er lief wie ein Tiger in der Küche auf und ab, wobei er zu erzählen begann: "Wir waren noch nicht lange hier in Stirling. Ich hatte gerade mal meine Praxis eröffnet und deine Mutter war noch auf der Suche nach einer Arbeitsstelle, als sich unser Leben schlagartig änderte. Du tratst wie ein Sonnenstrahl in unser Leben. Als ich nach einem langen Tag die Praxis abschloss, es war ein kalter Winterabend im Februar, stolperte ich beinahe über ein Weidekörbchen. Darin lagst du und hast schrecklich gewimmert. Weit und breit war sonst niemand zu sehen. Das Seltsame am ganzen war die Art wie du gekleidet gewesen warst. Du sahst aus, als wärst du einer anderen Zeitepoche entsprungen. Nun, ich nahm dich mit nach Hause rüber. Selbstverständlich informierte ich das Jugendamt und erklärte, dass wir dich gerne adoptieren würden. Nach dem allgemeinen Papierkram und der gesetzlichen Wartefrist war es dann endlich soweit. Du wurdest auch auf dem Papier unsere Tochter. Im Herzen warst du es schon seit wir dich gefunden hatten. Ah, da kommt ja Mom zurück. Wir haben alles aufbewahrt. Ausser ein paar Kleider und Spielzeug waren auch noch zwei Briefe dabei. Einer war erstaunlicherweise an uns gerichtet, also wurdest du bewusst vor unserer Türe abgelegt. Der zweite Brief ist für dich. Du darfst ihn nun öffnen."

Mrs. Hopper stellte alles auf den Küchentisch. Dort stand ein einfaches Weidekörbchen, mit einer harten Matratze drin. Diese war wahrscheinlich mit Stroh gefüllt. Es war kein Kopfkissen vorhanden, doch ein mit Stoffresten zu einem Patchwork-Muster genähtes Deckchen ergänzte die spärliche Ausstattung. Eine Holzrassel lag einsam darauf. Die Kleidchen waren aus hartem Leinen und schienen nicht sehr bequem zu sein.

Hopes Mutter griff nach einem alten verwitterten Pergament. Es schien noch mit Tinte geschrieben zu sein. Sie öffnete es, strich es sorgfältig glatt und begann zu lesen: "Ihr lieben Leute mit dem Namen Hopper. Bitte nehmt Euch meiner alles geliebten Tochter an. Mein Gemahl und ich werden zu Eurer Zeit nicht mehr unter den Lebenden weilen. Gottes Gnade und Dank Euch lieben Menschen. Unsere Tochter wird eines Tages die Wahrheit erfahren. Doch ich bitte Euch, haltet es als ein Geheimnis, dass Hope nicht von eurem Blute ist, bis kurz vor ihrem 15. Geburtstag. Dieser wird sein am 31. Oktober. Nochmals vielen Dank."

"Was wurden hier nur für seltsame Wörter gebraucht und...