DER WIND DES TODES - Sechs Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 1200 Seiten!

von: Christian Dörge, Clay Fisher, Lewis B. Patten, Matt Braun

BookRix, 2019

ISBN: 9783743897335 , 1185 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

DER WIND DES TODES - Sechs Western-Romane US-amerikanischer Autoren auf über 1200 Seiten!


 

  Clay Fisher: DIE GEFÄHRTIN DES WOLFS (Yellowstone Kelly)


 

 

 

 

Erstes Buch: JUDITH BASIN

 

 

 

1.

 

 

Die vier Felljäger waren weder alt noch jung. Sie waren vorsichtige Männer, mit wachsamen Gesichtern und fremd in dieser Gegend.

Der Tag war weit fortgeschritten, aber noch erstaunlich heiß, für Anfang September. Totale Einsamkeit hier oben in den Bergen von Montana, wo die Sommernächte eisig sein konnten.

Drunten im Cañon eine Staubschicht unter dem letzten Glanz der einfallenden Sonne. Um vier Uhr morgens waren sie aufgebrochen, und jetzt ließ Jepson, der Anführer, den Rucksack von den Schultern gleiten und setzte sich auf einen Baumstumpf. Keuchend wartete er auf die anderen.

»Bloß einen Moment zum Verschnaufen«, sagte er.

Die anderen nickten.

Big Anse Harper, der Mann mit dem Packesel, warf den Zügel über einen Ast und hockte sich neben Jepson.

»Ein ganz schöner Aufstieg«, sagte er. »Und das mit leerem Bauch! Meine Socken dampfen.«

»Da unten im Flachland Feuer zu machen, wäre Wahnsinn gewesen«, sagte Jepson und deutete mit dem Daumen über die Schulter.

Alex MacDonald, der dritte Mann, nickte. »Recht hat er«, sagte er mit seinem schweren schottischen Akzent.

Caswell, der vierte Mann, sagte nichts.

Sie saßen da, vier nachdenkliche Männer in ihren Wollhemden, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel und siebenundzwanzig Meilen von der nächsten weißen Siedlung entfernt. Man schrieb den 2. September 1875.

Jepson holte einen Riegel Kautabak aus dem Rucksack, biss ein Stück ab und gab ihn weiter.

»Wieviel haben wir dabei?«, fragte Big Anse.

»Vier Dutzend«, sagte Jepson. »Das müsste für einen normalen Winter reichen.«

Big Anse grinste. »Sofern wir nicht unerwartet Gesellschaft bekommen.«

Jeder hatte begriffen, aber Caswell, der jüngste und unerfahrenste, musste es aussprechen.

»Meinst du die Sioux?«, fragte er.

»Wen denn sonst? Die und die Cheyenne. Aber eher die Sioux, und vor allem die Hunkpapa.«

»Das haben wir doch schon vorher gewusst«, sagte Jepson, der vermeiden wollte, dass bereits am ersten Tag Nervosität aufkam. »Im Fort haben sie uns gewarnt, und der alte Reed auch. Dass wir keinen Sonntagsausflug machen, war doch jedem von Anfang an klar.« Er überlegte, dann nickte er. »Wo es Wild gibt, gibt es Wölfe, und hinter denen sind wir her. Und Indianer gibt es auch, wo es Wild gibt. Das ist doch logisch. Wer sich einbildet, dass wir keine sehen, ist auf dem Holzweg.«

»Solang wir sie bloß sehen«, sagte Big Anse trocken, »habe ich nichts dagegen.« Er stand auf. »Los, Leute, schauen wir, dass wir noch über den Kamm kommen und dann unser Nachtlager aufschlagen.«

Jepson blieb hocken, sah sich um und schüttelte den Kopf. »Der Platz hier ist ideal«, sagte er. »Da unten gibt es Wasser, Holz liegt genug herum, und Gras für den Esel ist auch da. Ich schlage vor, wir bleiben hier.«

»Ja«, sagte MacDonald. »Jeder ist geschafft. Wir sind ganz schön weit gekommen. Das reicht.«

»Wir müssten tiefer in den Wald rein, bevor wir ein Feuer machen«, sagte Big Anse. »Du bist doch kein Anfänger, MacDonald. Das Unterholz schluckt den Schein.«

»Trotzdem«, sagte Jepson, bevor der Schotte den Mund aufmachen konnte. »Ich bin dafür, dass wir hier bleiben. Hier können wir wenigstens das Gelände überblicken, und es schleicht sich nicht so schnell einer an uns 'ran.«

»Finde ich auch«, sagte Caswell. »Jepson hat recht.«

»Ich bin auch dafür«, sagte MacDonald.

MacDonald war einfach müde. Von Indianern hatte er wenig Ahnung. In den Wäldern Kanadas geboren und aufgewachsen, war er ein ausgezeichneter Jäger und Trapper, aber die Gegend hier am Oberlauf des Missouri war ihm genauso fremd wie den anderen. Und wie die anderen hatte er nicht die blässeste Ahnung, wie tief der Hass der Indianer gegen die Weißen war, die immer wieder in ihre Jagdgründe eindrangen.

Nur Big Anse, der aus den Wäldern Georgias stammte, hatte einen Instinkt für dieses gefährliche Gebiet, aber auch er war hundemüde.

»Okay«, sagte er. »Ich gebe mich geschlagen. Los, Caswell, hilf mir, den Esel abzuladen. Das Kreuz hängt ihm ja schon durch.«

 

 

 

2

 

 

Das Feuer schwelte. Nicht ein Hauch von Rauch stieg in den mondhellen Nachthimmel auf. Den Bauch voll mit geräuchertem Schweinefleisch und dicken Bohnen, die Füße am Feuer, lagen Big Anse, Caswell und MacDonald auf dem Boden und schnarchten.

Außerhalb des schwachen Scheins saß John Jepson unter einer Zeder und hielt die erste Nachtwache.

Inzwischen war es klirrend kalt. In den vier Stunden seit Sonnenuntergang war die Temperatur um zehn Grad gefallen.

Jepson wickelte die Decke fester um sich.

Die Nacht war so klar, dass das weiße Licht des Mondes und das frostige Glitzern der Sterne fast unangenehm waren, aber Jepson war zufrieden. Nicht einmal ein Murmeltier oder eine Maus hätten ungesehen an ihm vorbeihuschen können, geschweige denn ein Indianer.

Der Schatten tauchte wie aus dem kahlen Boden gewachsen hinter ihm auf. Keinen Meter von ihm entfernt stand er wie ein böser Traum in der Stille. Als er jedoch sprach, klang die tiefe Stimme beruhigend. Trotzdem hätte John Jepson fast der Herzschlag getroffen.

»Langsam aufstehen und umdrehen. Das Gewehr bleibt liegen.«

Jepson gehorchte. Er schluckte, bevor er sich umdrehte.

Der Mann, der im kalten Licht des Mondes vor ihm stand, war wunderlich genug, aber nicht sein Äußeres verschlug Jepson vollends die Sprache.

Schreiben hatte Jepson nie gelernt, und das Lesen hatte er sich mühsam selbst beigebracht. Dass die Sprache etwas anderes sein konnte als ein Mittel zur Verständigung, war ihm unbekannt.

Deshalb stand er jetzt mit offenem Mund da und ließ den dramatischen Vortrag des seltsamen Vogels über sich ergehen, ohne ein Wort davon zu verstehen.

Zu seinem Glück unterbrach Jepson den Mann wenigstens nicht.

 

»So hob ich eine Kunde an, von der

Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte,

Dein junges Blut erstarrte, deine Augen

Wie Stern' aus ihren Kreisen schießen machte,

Dir die verworr'nen krausen Locken trennte,

Und sträubte jedes einz'le Haar empor,

Wie Nadeln an dem zorn'gen Stacheltier!«

 

Der Unterkiefer sank Jepson noch weiter herunter.

»Mann«, brachte er schließlich hervor. »Wovon redest du da eigentlich? Bist du nicht ganz richtig im Kopf?«

Der Fremde lachte.

»Von den Sioux rede ich, mein Freund«, sagte er. »Und von deinem Feuer und davon, wie sicher du dich gefühlt hast und wie leicht es war, sich an dich heranzupirschen.«

Jepson konnte nur noch den Kopf schütteln. »Ich verstehe dich trotzdem nicht«, sagte er. »Und was das Ganze soll, erst recht nicht.«

»Nein? Dann erkläre ich es dir. Angenommen, nicht ich, sondern ein Indianer hätte sich von hinten an dich angeschlichen, dann wäre deine Seele jetzt zermalmt, dein nicht mehr ganz so junges Blut würde in der Gegend herumspritzen, und deine krausen Locken würden am Gürtel eines Sioux baumeln. Hast du jetzt kapiert?«

Jepson hatte nicht kapiert.

»Nein«, sagte er prompt. »Bloß dass bei dir eine Schraube locker sein muss.«

Wieder lachte der Fremde. »Das war doch Shakespeare, mein Freund. Hamlet. Erster Aufzug. Ich bin nämlich ein gebildeter Mensch.«

Die Stimme und das Lächeln des Fremden waren so sympathisch, dass Jepson sich überhaupt nicht mehr auskannte und eine Mordswut bekam.

»Deine Blödheit ist ja schon strafbar«, fauchte er. »Schleicht sich von hinten an einen heran! Du bist wohl lebensmüde?«

»Mein Freund«, sagte der Fremde höflich, »dasselbe könnte ich dich fragen. Aber nicht hier. Gehen wir ans Feuer, dann frage ich euch gleich alle auf einmal.«

An dem Lächeln des Fremden änderte sich zwar nichts, aber Jepson spürte plötzlich einen Gewehrlauf in der Seite und musste wohl oder übel gehorchen.

Auf den Befehl des Fremden hin weckte er die anderen und warf einen Arm voll trockener Zweige in das Feuer.

Als sich die anderen mit verklebten Augen aus ihren Decken schälten, flackerten die Flammen auf, und Jepson sah das Gesicht des »gebildeten Menschen« zum erstenmal richtig.

Der Fremde war mittelgroß, schlank, schwarzhaarig wie ein Zigeuner und schlitzäugig wie ein Sioux. Er war ein weißer Mann, aber einer, wie Jepson und die anderen ihn nie gesehen hatten.

Trotz des fast schmächtigen Körperbaus waren die Schultern unnatürlich breit, die Arme lang wie bei einem Affen und muskulös. Die Hüften schmal wie die eines Texaners und die Beine so krumm wie die eines reinrassigen Crow oder Blackfoot. Bei der kleinsten Bewegung spannten sich alle Muskeln seines Körpers. Trotz der ungemein angenehmen Stimme, der Wärme seines Lächelns und der Gepflegtheit seiner Sprache, wirkte er irgendwie primitiv, fast animalisch.

Seine Hose, das Hemd und die Jacke waren aus Elchleder. Er trug Arapahoe Mokassins, um den Hals wie ein Cheyenne eine Kette aus Bärenklauen, auf dem Kopf eine Mütze aus Biberfell, die gut ihre fünfzig Dollar gekostet haben musste, und um die Taille einen so kunstvoll mit Perlen bestickten Gürtel, wie ihn nur die Sioux anfertigen konnten. Und mit Waffen ausgerüstet war er wie ein Häuptling: die letzte Ausführung einer 73er Winchester, ein gut fünfzehn Zentimeter langes Jagdmesser und ein Beil aus Sheffield Stahl. Seine Haltung war einwandfrei die eines...