Dich erfüllen - Roman

von: J. Kenner

Diana Verlag, 2014

ISBN: 9783641121402 , 352 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Dich erfüllen - Roman


 

 

1

Panisch schrecke ich aus dem Schlaf. Ich sitze in einem dunklen Zimmer aufrecht im Bett. Das gedämpfte Licht eines Digitalweckers zeigt kurz nach Mitternacht. Ich keuche und habe die Augen weit aufgerissen – trotzdem kann ich kaum etwas erkennen. Die Überreste eines fast vergessenen Albtraums erfüllen mich mit Entsetzen. Gleichzeitig sind sie so substanzlos, dass sie sich sofort in Luft auflösen, sobald ich versuche, mich zu erinnern.

Keine Ahnung, was mir solche Angst eingejagt hat. Ich weiß nur, dass ich allein bin und mich fürchte.

Allein?

Rasch drehe ich mich um und greife nach rechts. Aber noch bevor meine Finger die kühlen, kostbaren Laken berühren, weiß ich, dass er nicht da ist.

Auch wenn ich in Damiens Armen eingeschlafen bin: aufgewacht bin ich allein.

Jetzt kenne ich zumindest die Ursache meines Albtraums: Es ist dieselbe Angst, die mir schon seit Wochen Tag und Nacht im Nacken sitzt. Die Angst, die ich hinter einem an­gestrengten Lächeln verberge, wenn ich Tag für Tag neben Damien sitze, während seine Anwälte seine Verteidigungsstrategie erörtern. Und die Abläufe eines Mordprozesses nach deutschem Recht durchgehen. Und ihn förmlich anflehen, Licht ins Dunkel seiner Kindheit zu bringen, weil sie ganz genau wissen, dass diese Geheimnisse seine Rettung sind.

Aber Damien schweigt, und die Angst, dass ich ihn verlieren werde, dass er mir genommen wird, droht mich zu überwältigen.

Aber es ist nicht nur die Angst, die mich belastet, sondern auch die bedrückende Gewissheit, dass ich nicht das Geringste tun kann, um ihm zu helfen. Ich kann nur warten und hoffen.

Aber ich hasse es zu warten, und Hoffnung allein hilft auch nicht weiter: Die Hoffnung ist wie das Schicksal – für meinen Geschmack viel zu unvorhersehbar. Ich will etwas tun, aber der Einzige, der etwas unternehmen kann, ist Damien, und bisher weigert er sich standhaft.

Und genau das ist das Schlimmste. Obwohl ich die Gründe für sein Schweigen kenne, kann ich meinen Ärger nicht un­terdrücken. Denn letzten Endes setzt Damien nicht nur sein ­eigenes Leben aufs Spiel. Sondern auch meines. Unseres.

Uns läuft die Zeit davon. Sein Prozess beginnt in wenigen Stunden, und wenn er seine Verteidigungsstrategie nicht doch noch ändert, werde ich diesen Mann höchstwahrscheinlich verlieren.

Ich kneife die Augen zu, halte die Tränen zurück. Die Angst kann ich verdrängen, aber meine Wut ist unberechenbar, sodass ich befürchte zu explodieren, so sehr ich auch versuche, mich zu beherrschen. Und je stärker ich das versuche, desto schlimmer könnte mein Ausbruch schließlich werden.

Als Anklage erhoben wurde, hat Damien versucht, Schluss zu machen, mich zu verstoßen. Er dachte, so könnte er mich schützen. Aber da hat er sich getäuscht – und ich bin ihm bis nach Deutschland gefolgt, um ihm das klarzumachen. Inzwischen bin ich seit drei Wochen hier und habe es noch keinen Tag bereut. Ich bezweifle auch nicht, dass er mir die Wahrheit gesagt hat, als ich bei ihm auf der Schwelle stand. Nämlich, dass er mich liebt.

Aber das zu wissen hilft nicht gegen meine bösen Vor­ahnungen. Die beschleichen mich vor allem nachts, wenn ich alleine aufwache und weiß, dass er sich mit einem Glas Whiskey zurückgezogen hat, obwohl ich ihn lieber in meinen Armen hätte. Er liebt mich, ja. Aber gleichzeitig habe ich Angst, er könnte mich erneut verstoßen. Nicht mit einer brutalen Geste, sondern Schritt für Schritt, ganz allmählich.

Ach, was soll’s!

Ich verlasse das angenehm kühle Bett. Ich bin nackt und beuge mich vor, um nach dem weißen, weichen Morgenmantel zu greifen, den mir das Hotel Kempinski zur Verfügung stellt. Damien hat ihn mir gestern Abend nach unserer gemeinsamen Dusche abgestreift, und wir haben ihn einfach an Ort und Stelle liegen lassen – neben dem Bett.

Allerdings nicht den Gürtel – den muss ich zwischen den zerwühlten Laken suchen. Sex mit Damien ist immer sehr intensiv, aber je näher der Gerichtsprozess rückt, desto ungestümer ist er: So als könnte Damien den Ausgang der Verhandlung kontrollieren, indem er mich kontrolliert.

Langsam reibe ich über meine Handgelenke. Die gestrige Nacht hat keine Spuren darauf hinterlassen, aber nur, weil Damien vorsichtig ist.

Von meinem Hintern kann ich das nicht gerade behaupten. Der brennt immer noch, und ich spüre seine Hände nach wie vor auf meiner Haut. Ich mag das – diese Nachwirkungen ebenso wie das Wissen, dass er meine Unterwerfung genauso braucht wie ich meine Hingabe.

Ich entdecke den Gürtel am Fußende. Letzte Nacht hat er mir damit die Hände auf den Rücken gefesselt. Jetzt binde ich ihn um meine Taille und genieße den weichen Stoff nach dem unsanften Erwachen. Auch das Zimmer beruhigt mich, die Einrichtung ist perfekt bis ins letzte Detail. Poliertes Holz, geschickt eingesetzte kleine Deko-Objekte und Kunst, wohin das Auge schaut. Doch im Moment nehme ich diese Vorzüge kaum wahr, denn ich denke nur an Damien.

Das Schlafzimmer geht in einen riesigen Ankleidebereich mit angeschlossenem Bad über. Ich werfe einen Blick in beide Räume, rechne aber nicht damit, ihn dort zu finden. Anschließend gehe ich weiter in den Wohnbereich. Der große Raum verfügt über zahlreiche bequeme Sitzgelegenheiten und einen runden Tisch, der im Moment mit jeder Menge Unterlagen und Ordnern bedeckt ist. Es sind Akten über die Firma, die Damien von hier aus weiterführt, obwohl unsere ganze Welt unterzugehen droht, und juristische Papiere, die Damiens Anwalt Charles Maynard ihm zum Lesen ge­geben hat.

Ich lasse den Morgenmantel an Ort und Stelle zu Boden fallen und schlüpfe in das fantastisch gemusterte Etuikleid, aus dem Damien mich gestern Abend formvollendet geschält hat. Für ein paar Stunden konnten wir der Realität entfliehen, indem wir auf Münchens berühmter Maximilianstraße eingekauft haben. Ich habe so viele Schuhe und Kleider erworben, dass ich eine eigene Boutique damit eröffnen könnte.

Ich fahre mir durchs Haar, während ich quer durchs Zimmer zum Telefon gehe. Ich zwinge mich, nicht noch vorher das Bad aufzusuchen, um mein Make-up aufzufrischen, denn bestimmt ist es verschmiert. Das fällt mir überraschend schwer, denn das Mantra, dass eine Dame nie das Haus verlässt, ohne perfekt zurechtgemacht zu sein, wurde mir von klein auf eingebläut. Aber mit Damien an meiner Seite habe ich es geschafft, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen. Im Moment ist es mir wichtiger, ihn zu finden, statt frischen Lippenstift aufzutragen.

Ich greife zum Hörer und wähle die Null vor. Gleich darauf antwortet mir eine Stimme auf Englisch mit deutschem Akzent: »Guten Abend, Miss Fairchild.«

»Ist er an der Bar?« Ich muss nicht erst dazusagen, wer gemeint ist.

»Ja. Soll ich ihm ein Telefon an den Tisch bringen lassen?«

»Nein, nicht nötig. Ich komme gleich runter.«

»Sehr gut. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Nein, danke.« Ich will gerade auflegen, als ich es mir anders überlege. »Moment!« Ich erwische ihn gerade noch, bevor er auflegt, und erkläre ihm meinen Plan, mit dem ich Damien von seinen Dämonen ablenken will.

Trotz des altehrwürdigen Gebäudes und der vornehmen Einrichtung ist das Hotel topmodern ausgestattet. In seinen vier Wänden fühle ich mich ganz wie zu Hause. Ungeduldig warte ich auf den Aufzug und werde noch ungeduldiger, als ich in der Kabine stehe. Die Fahrt scheint ewig zu dauern, und als sich die Türen endlich zur eleganten Lobby öffnen, gehe ich direkt auf die Bar im altenglischen Stil zu.

Obwohl es Sonntag und schon recht spät ist, wimmelt es in der Bar des Hotels Vier Jahreszeiten nur so von Leuten. Eine Frau steht neben dem Klavier und singt den Gästen leise etwas vor. Ich beachte sie kaum, rechne auch nicht damit, Damien zwischen den Zuhörern zu entdecken.

Stattdessen durchquere ich den von rotem Leder und Holz beherrschten Raum und wehre einen Kellner ab, der mich zu einem Platz führen will. Ich bleibe kurz neben einer Blondine in meinem Alter stehen, die Champagner trinkt und zusammen mit einem Mann lacht, der ihr Vater sein könnte, es aber bestimmt nicht ist.

Langsam drehe ich mich um, spähe durch den Raum. Damien ist nicht unter den Leuten am Klavier. Er sitzt weder an der Bar noch in einem der roten Ledersessel, die um die Tische gruppiert sind.

Langsam fange ich an, mir Sorgen zu machen: Vielleicht ist er in dem Moment gegangen, in dem ich gekommen bin? Dann gehe ich einen Schritt nach links und merke, dass das, was ich für eine Wand gehalten habe, nur eine durch eine Säule hervorgerufene optische Illusion ist. Jetzt kann ich den Rest des Raumes sehen, einschließlich des brennenden ­Kamins auf der anderen Seite. Davor stehen ein kleines Zweiersofa und zwei Sessel. Hier entdecke ich auch Damien.

Sofort atme ich auf, bin so erleichtert, dass ich mich fast an der Blondine festgehalten hätte. Damien sitzt in einem der Sessel, hat dem Raum den Rücken zugekehrt und schaut in die Flammen. Seine Schultern sind so breit und kräftig, als könnten sie die Last der ganzen Welt tragen. Doch ich wünsch­te, das wäre nicht nötig.

Ich gehe auf ihn zu, meine Schritte werden vom dicken Teppich gedämpft und von der Gesprächskulisse übertönt. Wenige Meter hinter ihm bleibe ich stehen und spüre die magnetische Anziehungskraft, die mich immer erfasst, sobald ich in Damiens Nähe komme. Die Sängerin gibt jetzt das Lied...