Lassiter 2235 - Lassiter und der gefallene Sheriff

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732511631 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Lassiter 2235 - Lassiter und der gefallene Sheriff


 

Das Whiskyglas schon an den Lippen, erstarrte Louis und lauschte. »Flossen hoch!«, rief eine Männerstimme. »Wer sich rührt, ist tot!« Schritte hallten über Bodendielen. Louis McNamara stellte das Glas ab. »Bitte nicht schießen!«, hörte er eine Frau wimmern. Er zog seinen .45er Colt. »Bitte nicht schießen, Mister, mein krankes Kind wartet zuhause auf mich …«

»Halt’s Maul!« Nebenan raschelte und scharrte es – jemand warf seine Satteltasche oder etwas in der Art über den Schaltertresen. Louis spannte den Hahn.

»Auf den Boden mit euch, alle drei!«, zischte die Männerstimme. »Zack, zack! Wer Mätzchen versucht, ist fällig!«

Wieder raschelte es, diesmal waren es eindeutig Kleider. Die Leute schienen zu gehorchen. Vernünftig. Louis huschte zur Wand und spähte durch das Sichtloch, durch das Carter manchmal den Schalterraum zu beobachten pflegte, wenn sein Kassierer an der Kasse arbeitete.

»In die Mochilla mit deinen Dollars«, schnarrte eine gedämpfte Stimme nebenan. »Banknoten, Münzen, Gold. Alles, was du hast! Mach schon!«

Louis McNamara, der Sheriff von Great Bend, sah einen Mann in langem braunen Saddlecoat vor dem Schalter stehen und mit seinem Revolver herumfuchteln. Ein dunkles Halstuch verhüllte die untere Hälfte seines Gesichts. Der Mann war verflucht nervös. Wenn er nicht fuchtelte, zielte er auf Will Carter.

Eine Frau und zwei Männer lagen so reglos am Boden, als würden sie schlafen. Carter, der Bankdirektor, tat das einzig Vernünftige: Er stopfte brav die Dollarnoten in eine Satteltasche.

Louis trat von der Wand weg, dachte fieberhaft nach. Wenn er jetzt den Kassenraum stürmte, war der arme Carter womöglich ein toter Mann. Oder er selbst. Weder die eine noch die andere Aussicht gefiel ihm. Er dachte an Mary und die Hochzeit und beschloss, auf Nummer sicher zu gehen.

Er sah zum Fenster. Zwei Pferde standen auf der Mainstreet vor der Bank. Nur auf einem, einem Rappen, hockte ein Reiter. Ein kleiner hagerer Bursche und noch ziemlich jung, wie es aussah. Nicht einmal Bartstoppeln konnte der Sheriff von Great Bend an seinem Kinn entdecken.

Der Frischling hatte den Kragen seines Saddlecoats hochgeschlagen und sich den Hut tief ins Gesicht gezogen. Er hielt das reiterlose Pferd, einen Apfelschimmel, am Zügel fest und blickte unruhig nach allen Seiten. Ein Karabiner lag vor ihm über dem Sattel.

Louis wusste Bescheid.

Er steckte seinen Colt weg, schlich geduckt zum Waffenschrank und nahm ein Gewehr heraus. Eine siebenschüssige Büchse von Spencer, Kaliber 50. Sie war geladen. Mit ihr schlich er zum Fenster. Er wunderte sich, wie ruhig er dabei blieb.

»Die Münzen!«, zischte nebenan der Bandit. »Ein bisschen flott, Mann!«

»Sie kriegen Ihr Geld, Mister«, hörte Louis den armen Carter sagen. »Nur nehmen Sie den Revolver herunter. Nicht, dass er noch losgeht.«

»Halt’s Maul und schmeiß die Dollars in die Mochilla!« Dollarmünzen klimperten. Louis ging neben dem Fenster in die Knie und legte das Gewehr an. Durch die Scheibe hindurch zielte er auf das Pferd ohne Reiter.

Louis McNamara war ein großer sehniger Mann von nicht ganz dreißig Jahren. Er hatte langes schwarzes Haar und ein kantiges Gesicht mit freundlichen blauen Augen, deren Lider oft so tief hingen, als wollte er sie jeden Moment schließen. Das verlieh seiner Miene einen etwas gelangweilten, ja harmlosen Zug.

Louis McNamara war nicht harmlos, weiß Gott nicht.

Ein paar Jahre lang hatte er mit der US-Kavallerie den Indianern in den Rocky Mountains von Colorado und Wyoming das Leben schwer gemacht. Zuletzt als Captain. Seit vier Monaten hütete er jetzt in Great Bend als Sheriff das Gesetz.

Bis auf den üblichen Ärger mit den Cowboys aus Texas hatte es noch keine nennenswerten Schwierigkeiten gegeben. Einen Banküberfall sowieso nicht.

»Her mit der Tasche!«, zischte nebenan der Bankräuber. »Was glotzt du mich so an?«

»Bitte, Mister, ich werde mich hüten …«

»Halt’s Maul und glotz nicht!« Ein Schuss krachte, jemand stieß einen unterdrückten Schrei aus, dann polterte ein schwerer Körper zu Boden. Louis biss auf die Zähne.

Zugleich hörte er die schweren Schritte nebenan zur Eingangstür hasten. Im nächsten Moment rannte der vermummte Bandit draußen vor dem Fenster zu seinem Apfelschimmel, setzte den Stiefel in den Steigbügel und machte Anstalten, die Satteltasche über den Sattel zu werfen.

Mit einer einzigen Bewegung stieß Louis den Gewehrlauf durchs Fensterglas und drückte ab. Die Ohren fielen ihm zu, als zeitgleich mit dem Klirren zerspringenden Glases der Schuss explodierte.

Draußen auf der Mainstreet riss der Bankräuber die Arme hoch, kippte nach hinten weg und schlug samt seiner prallvollen Mochilla im Staub der Mainstreet auf.

Louis nächster Schuss pflügte die Straße zwischen den beiden Pferden um. Der zweite Reiter machte nicht einmal mehr den Versuch, nach seinem Karabiner zu greifen. Er riss seinen Rappen herum und gab ihm die Sporen.

Der reiterlose Apfelschimmel folgte ihm zunächst und schleifte den angeschossenen Bankräuber, dessen Stiefelspitze im Steigbügel hing, hinter sich her. Louis zielte auf den jungen Burschen und drückte ab. Der aber bückte sich tief über die Mähne seines Pferdes und hieb dem Tier die Sporen in die Flanken.

Louis schoss und schoss. Gewehrkugeln heulten über die Mainstreet. Nach dem dritten Schuss zuckte der flüchtende Reiter zusammen, nach dem fünften flog sein Hut davon und Louis sah blondes Langhaar flattern.

Dann sah er nichts mehr, denn der Bursche riss seinen Rappen herum und bog in den Reitweg ein, der zum Fluss führte. Weg war er.

Louis stieß einen Fluch aus, sprang auf und rannte in den Schalterraum. Carter lag verkrümmt hinter dem Tresen. Sein Kopf lag in einer Blutlache. Louis sah sofort, dass er tot war.

Er setzte über den Tresen, rannte zur Eingangstür. Die Leute am Boden hoben die Köpfe. Draußen bückte er sich nach der mit Banknoten und Münzen vollgestopften Mochilla und warf sie sich über die Schulter. Ihr Gewicht fühlte sich gut an. Und einen Wimpernschlag lang gefiel es ihm, sich vorzustellen, er würde mit dieser Satteltasche um die Schulter nun auf ein Pferd steigen und davonreiten können.

Hundertfünfzig Schritte entfernt stand der Apfelschimmel des Bankräubers auf der Straße. Der Kerl hing noch immer mit dem rechten Stiefel im Steigbügel. Er rührte sich nicht. Leute stiegen vom Sidewalk, versammelten sich um ihn – der Barber, der Salooner, die Frau des Pferdehändlers und etliche andere.

Louis spuckte aus und ging zu ihnen. Gewissensbisse plagten ihn. Hätte er doch zuerst den Kassenraum stürmen und den Scheißkerl erschießen sollen? Vielleicht. Der arme Carter hätte dann wenigstens eine Chance gehabt.

Die Leute machten ihm Platz. Er ging vor dem Bankräuber in die Hocke. Der lag auf dem Rücken und rührte sich nicht. Tot. Louis nahm an, dass seine Kugel ihn von hinten direkt ins Herz getroffen hatte. Blut sickerte rechts und links der Rippen in den Straßenstaub.

Du hattest doch, was du wolltest, du Arschloch, dachte Louis McNamara. Warum musstest du noch auf Will schießen? Er zog ihm das Halstuch aus dem Gesicht. Der Mann trug Bart und Schnauzer. Es wäre so einfach gewesen, mit dem Geld abzuhauen. Wenn ein dummer Zufall dir nicht den neuen Sheriff von Great Bend in die Quere geschickt hätte.

Er stand auf und betrachtete das Gesicht des Toten. Er kannte es. Von einem der Steckbriefe, die er vor dem Mittagessen aufgehängt hatte.

»Das ist doch einer von der Donovanbande«, sagte der Salooner.

»Korrekt.« Louis McNamara machte kehrt, um zurück zur Bank zu gehen. Als Sternträger hatte er keinen Anspruch auf das Kopfgeld. Schade. »Sagt jemand dem Totengräber Bescheid? Wir brauchen zwei Särge und zwei Gräber.«

***

Der Abend dämmerte bereits über Great Bend herauf, als Lassiter mit seinem Gefangenen in die Stadt am Walnut Creek hineinritt. Dem Mann steckte eine Kugel aus Lassiters Remington zwischen den Rippen. Er war schwach und fieberte und würde sich in seinem Zustand kaum bis Kansas City im Sattel halten können.

Sie ritten an einer kleinen weißen Kirche vorbei. Eine Menge Leute strömten aus dem Friedhof neben ihr, etliche ganz in Schwarz. »Hättest besser zielen sollen, dann könntest du mich jetzt dort abliefern.« Lassiters Gefangener deutete auf die Gräber. »Weil du nicht schießen kannst, muss ich jetzt im Knast verrecken.« Seine Stimme klang brüchig und heiser. Er spuckte Blut in den Staub der Mainstreet.

»Keine Sorge, Adams.« Lassiter tippte sich an den Hut, weil ein paar Männer mit schwarzen Zylindern ihm Grüße zuriefen. »Du wirst am Galgen sterben.«

»Leck mich …« Wieder spuckte der Mann namens Luke Adams. Er gehörte zu einer Bande von Zugräubern, hinter der Lassiter her war. Frauen aus der Trauergesellschaft musterten ihn mit angewiderten Mienen. Adams feixte, schob den Daumen zwischen Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Faust und grüßte mit einer obszönen Geste.

Lassiter achtete nicht darauf. Sein Blick wanderte längst über die Fassaden von Great Bend. Dreihundert Schritte entfernt entdeckte er das Office des Sheriffs. Vier Männer verschwanden darin; vermutlich kamen sie von der Beerdigung.

Vor dem Office hielt er sein Pferd an und stieg ab. Zwei junge Frauen in hochgeschlossenen schwarzen Kleidern tänzelten auf dem Sidewalk heran, die jüngere rothaarig, die ältere brünett. Beide trugen schwarze...