Lassiter 2234 - Drei Bräute aus Newark

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732511624 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Lassiter 2234 - Drei Bräute aus Newark


 

Phelps packte den Stein fester und hielt den Atem an. Sein Herz wummerte wild. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf die Fackel.

Im Gegenlicht waren von dem Wachmann nur die schemenhaften Umrisse zu erkennen. Doch Phelps wusste, dass eine schussbereite Waffe auf ihn gerichtet war. Beim geringsten Verdacht würde der Gefangenenaufseher auf ihn schießen.

»Tritt ins Helle, Junge!«, hallte die Stimme auf dem Gang.

Nach kurzem Zögern trat Phelps in den Lichtkreis der Fackel.

Nun hielt der Wärter die Fackel tiefer.

Phelps sah ihm ins Gesicht und ließ erleichtert die Luft aus den Lungen. Der Mann, der vor ihm stand, hieß Neil Adams und war mit Abstand der angenehmste Mensch auf dem Gelände der Haftanstalt. Im Gegensatz zu den anderen Aufsehern hatte er sich einen Rest von Menschlichkeit bewahrt. Auf den Lippen des Wachmanns lag ein breites, gemütliches Grinsen.

Die Hand, mit der Phelps den Stein hielt, entspannte sich. Er seufzte schwer. Da hätte er um ein Haar seinen besten Freund erschlagen. Adams war immer fair und anständig zu ihm gewesen. Phelps spürte einen dumpfen Druck in seinem Magen. »Sie sind ein netter Kerl, Neil«, murmelte er kaum hörbar.

»Siehst schlecht aus, Junge«, erwiderte Adams. »Ganz blass um die Nase herum. Schläfst du zu wenig?«

»Mir fehlt das Licht. Die ständige Dunkelheit macht mich fertig.«

Adams steckte die Fackel in den rostigen Wandhalter neben der Tür. »Bin gekommen, weil ich ein paar Neuigkeiten für dich habe.«

»Hat der Direktor die Dunkelhaft aufgehoben?«

»Leider nicht, mein Junge.« Adams schüttelte betrübt den Kopf. »Aber so lange hast du es ja nicht mehr. Was ist schon eine Woche?«

Phelps schob den Stein unauffällig in seine Hosentasche. Er schloss die Augen. Für einen kurzen Moment erschien ihm die traumhafte Vision einer wunderschönen Frau in blutroter Reizwäsche.

»Was sind das für Neuigkeiten?«, erkundigte er sich. »Nachrichten von zu Hause?«

»So ist es.« Adams schob mit dem Colt seinen Hut höher. »Du hattest doch gesagt, ich solle dich auf dem Laufenden halten, sobald ich etwas aus Clanton erfahre.«

»O ja, natürlich.«

»Ich soll dir Grüße ausrichten, von Pam, deiner Süßen.«

Phelps horchte auf. Pamela Cox, die alle Pam nannten, war ein besudeltes Täubchen aus Rosys Freudenhaus in Clanton. Die junge Frau hatte sich in ihn verliebt, kurz bevor Sheriff Morris ihn wegen Mordes ins Gefängnis warf. Als er zu zehn Jahren Zuchthaus in Fort Yuma verurteilt wurde, hatte sie im Gerichtssaal einen Weinkrampf bekommen. Jetzt schrieb sie ihm Briefe, in denen sie ihn über den Klatsch und Tratsch in Clanton informierte.

Leider konnte Phelps nicht lesen. Es war Neil Adams, der die Briefe für ihn las und ihm dann Bericht erstattete.

»Deine Pam ist ein großartiges Mädchen«, sagte der Aufseher. »Sie kriegt es fertig und wartet die ganzen zehn Jahre auf dich. Zum Henker, ein Girl wie sie ist so selten wie ein Stinktier, das auf Stelzen läuft. Junge, du kannst dir den eigenen Hintern küssen, dass du ein Mädchen hast, das so zu dir hält.«

»O ja, Pam ist schon eine Klasse für sich.« Phelps wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Was hat sie geschrieben?«

Adams holte tief Luft. Er richtete die Augen auf einen fiktiven Punkt an der Gewölbedecke, dann legte er los.

Phelps ließ sich keine Silbe entgehen. Zuerst erfuhr er, dass Pam ihn über alles liebte. Dann folgte das andere. Im Marlowe Theatre wurde ein Stück aufgeführt, in dem die berühmte Schauspielerin Julie LeGrand aus Laredo mitwirkte. Sheriff Morris hatte einen neuen Deputy vereidigt, weil Jim Holmes, der Vorgänger, der Trunksucht verfallen war. Der Besitzer des Palace Hotel wollte den abgebrannten Maverick Saloon wieder aufbauen. Die Besitzerin des Saloons, Cilla Breck, hatte mit dem viel jüngeren Barkeeper Jason eine heiße Affäre angefangen. Der stadtbekannte Vagabund Hank Stone hatte sich ein neues Pferd gekauft, das er Trudie Second getauft hatte. Der Mädchenhändler John Banks war von einer Schar Cowboys niedergeritten worden und musste in ein Hospital in Newark eingeliefert werden. Eli Judd, der alte Trapper, saß nach wie vor in Bars herum und deklamierte laut die Schlagzeilen aus der Clanton Review …

»Moment«, Phelps hob eine Hand, »hat Pam gar nichts über Lou Jeffries geschrieben?«

»Der Kerl, der dir den Marley-Mord angehängt hat?«

Phelps schnitt eine Grimasse.

»Nein«, sagte der Wachmann und zuckte mit einer Achsel, »über Lou Jeffries hat sie nicht ein Wort fallen lassen.«

Die Fackel in der Halterung flackerte und warf geisterhafte Schatten auf die von Staub und Spinnweben bedeckten Steinwände.

Ronny Phelps wischte sich wieder über den Mund. Er stand noch tief unter dem Eindruck von Adams’ Bericht. Die Freiheit! Wie gern würde er wieder am öffentlichen Leben außerhalb der Gefängnismauern teilnehmen. Mit anderen Leuten reden, in Bars Whiskey trinken und mit Pam über die Mainstreet bummeln.

Bis es soweit war, würden noch zehn Jahre vergehen. Eine gefühlte Ewigkeit.

Dabei hatte er mit dem Mord an Tom Marley nicht das Geringste zu tun. Ganz im Gegenteil. Marley war sein Kumpel gewesen. Gemeinsam hatten sie krumme Dinger gedreht, die meisten mit Lou Jeffries. Das Unglück fing damit an, dass Jeffries seine Liebe zu Cilla Breck entdeckte. Doch er kam zu spät. Ein Dandy namens Lassiter poussierte mit ihr herum. Der verschmähte Jeffries versuchte nun mit allen Mitteln, seinen Nebenbuhler aus dem Feld zu schlagen. Er schob Lassiter sogar einen Mord in die Schuhe und brachte ihn hinter Gitter, aber dem gewitzten Burschen gelang die Flucht. Als Jeffries noch einmal versuchte, bei Cilla auf Tuchfühlung zu gehen, holte er sich den nächsten Korb. Das brachte ihn zur Weißglut, und er sorgte dafür, dass ihr Saloon ein Raub der Flammen wurde.

Am Tag nach dem Brand wurde Tom Marleys Leiche gefunden. Jeffries rannte zum Sheriff und behauptete, er, Phelps, habe den Mord begangen. Damit war sein Schicksal besiegelt. Die Jury schickte ihn für zehn Jahre in das Zuchthaus im westlichen Arizona-Territorium.

Der Wachmann sah Phelps fragend an. »Deine Kleine tut mir Leid«, sagte er. »Sie schickt dir Briefe, aber du beantwortest nie einen.«

»Wie denn?« Phelps presste die Lippen zusammen.

Es entstand eine Pause.

»Du könntest Lesen und Schreiben lernen«, schlug der Aufseher vor.

Phelps lachte freudlos. »Und von wem, wenn man fragen darf?«

»Darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht«, erwiderte Adams. »Sobald du aus dem Arrest kommst, sorge ich dafür, dass du in eine Gemeinschaftszelle in Block C verlegt wirst, zu einem Lehrer, der dich unterrichten wird.«

Phelps war wie vom Donner gerührt. »Holy spirit, wenn das klappte, wäre das fabelhaft!«

»Ich werde sehen, was sich machen lässt.« Der Wachmann nahm die Fackel aus dem Halter.

Sekundenlang drehte er dem Häftling den Rücken zu.

Ronny Phelps befühlte den Stein in seiner Hosentasche. Wie sich die Dinge änderten. Vorhin war er drauf und dran gewesen, vor Verzweiflung einen Wachmann zu erschlagen, um eine Flucht zu versuchen. Jetzt, nur Minuten später, kam ihm dieser Gedanke völlig abwegig vor.

Als der Wärter die Tür wieder verriegelt hatte, zog Phelps den Stein aus der Tasche und schleuderte ihn ins Dunkel.

Zehn Jahre, dachte er. Irgendwie werde ich die schon rumkriegen. Andere schaffen das ja auch.

***

Lassiter stand im leeren Zuschauersaal des Marlowe Theatres und blickte nachdenklich auf die Bühne.

In drei Stunden fing die Vorstellung an. Das Stück, das dargeboten wurde, hieß »Der Hölle ein Stück näher« und handelte von einem Revolvermann, der sich in die Tochter eines Kiowa-Häuptlings verliebt hatte. Lassiter, der seit geraumer Zeit auf den neuen Auftrag von der Zentrale der Brigade Sieben wartete, hatte eine kleine Rolle in dem Drama angenommen. Er spielte einen Gambler, der im Saloon Greenhorns zum Pokern animierte.

Da öffnete sich auf der Bühne eine Tür in der prunkvoll gestalteten Kulissenwand, und die Hauptdarstellerin Julie LeGrand erschien. Die rassige Brünette mit dem Antlitz einer Madonna trug ein schlichtes, hellrosa Kleid und einen dünnen Seidenschal um die Schultern.

»He, Joe«, sagte sie. Lassiter war im Marlowe unter dem Namen Joe Rollins bekannt. »An wen haben Sie gerade gedacht? Doch nicht etwa an Cilla Breck?«

Bis vor kurzem hatte er mit der reizvollen Saloonbesitzerin ein lockeres Verhältnis unterhalten. Doch als er mitbekam, dass Cilla es mit ihrem Angestellten trieb, hatte er die Beziehung auf Eis gelegt. Sein Selbstwertgefühl war angeknackst. Schon der Gedanke, sich die Geliebte mit einem anderen Mann teilen zu müssen, war ihm ein Gräuel.

»Nein, ich habe nicht an Cilla Breck gedacht«, antwortete er, obwohl er es doch ein bisschen getan hatte. »Ich dachte an die Vorstellung heute Abend. Ob sie wieder ausverkauft ist?«

»Garantiert.« Julie überquerte die Bühne. Am Rand des erhöhten Podiums blieb sie stehen und blickte von oben auf Lassiter herab. »Ich hörte, Sie wären ein blutiger Anfänger in der Schauspielerei«, sagte sie. »Vorher hätten Sie noch nie auf der Bühne gestanden. Sie kannten das Theater nur als Zuschauer. Ist das richtig?«

»Ja, das stimmt.« Er lächelte. »Im Grunde war’s purer Zufall, dass ich engagiert wurde. Ich traf Sid...