Lassiter 2241 - Sündiges Vermächtnis

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732512973 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Lassiter 2241 - Sündiges Vermächtnis


 

Atlantic City, New Mexico Territory, im Sommer 1862

Die Männer im Vulture Saloon waren so guter Laune, dass Albert Collins seine Runde Kentucky-Bourbon früher ausgab, als er beabsichtigt hatte. Der Goldgräber und Besitzer von vier Claims in den Big Horn Mountains riss das Glas in die Höhe und nahm pathetisch Haltung an. Er sah zu den vier Saloonmädchen hinüber, die erwartungsvoll am Tresen lehnten und leise zu applaudieren begannen.

»Auf Atlantic City, meine Herren!«, rief Collins und stieg auf den Tisch. Er trat gegen die Zinnbecher, die randvoll mit belgischem Bier waren. »Die großartigste Stadt im gottverdammten New Mexico! Auf euer Wohl, Freunde!«

Die Saloongäste gaben ein ausgelassenes Johlen von sich, dem ein Klirren und Klingen der Gläser folgte. Unter den Goldgräber sprangen mehrere Männer auf und brachten gleichfalls einen Trinkspruch aus.

»Auf Collins!«, rief ein bärtiger Ire mit faltigen Wangen. »Auf den gottverflucht reichsten Glücksritter unter uns!«

»Auf Collins!«, schloss sich der Rest des Saloons an und füllte sich mit Collins’ Bourbon abermals die Gläser. Die Mädchen schwärmten aus und setzten sich zu jenen Goldgräbern, die ihnen mit einem Dollarschein winkten. Als eines der Mädchen einen spitzen Schrei ausstieß und ihre spitzenbesetzte Korsage herunterstreifte, brachen sämtliche Anwesende in Gelächter aus.

Zufrieden und glücklich ließ sich Albert Collins wieder bei seinen Leuten nieder und trank das Glas leer. Er sah zu Warren Priest hinüber, der hinter dem Tresen stand und seine Gläser wienerte. Der Saloonbesitzer und Collins waren in den letzten Wochen gute Freunde geworden. Sie hatten über das Indianerreservat am Colorado gesprochen, das sich westlich der Dome Rock Mountains befand, und waren übereingekommen, dass man den verdammten Rothäuten kein einziges Yard Land zu viel lassen durfte. Sie würden die Goldgräber von Atlantic City mit ihren Kriegerscharen überrennen, hatte Priest behauptet, und Collins hatte zu wenig darüber gewusst, um ihm zu widersprechen. Die verfluchte Politik kümmerte ihn so wenig wie das verrottete Maultier oben am New Water Pass, von dem keiner wusste, wie es dorthin gekommen war. Collins wollte sein Gold, ein paar Weiber für die Nacht und ansonsten seine wohlverdiente Ruhe.

»Collins!«, rief Ebenezer Farrington, der neben dem Goldgräber am Tisch saß. Farrington wischte sich mit dem Handrücken über die verknorpelte Nase und sah zu den Einlasstüren des Saloons. »Sieh mal, wer dort steht. Würd’ ’nen Kojoten fressen, wenn’s nicht Stephen Garret ist. Hab’ den Bastard seit ’ner Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

Mit einer freundschaftlichen Geste klopfte Collins dem alten Goldgräber auf die Schulter und stand auf. Er musterte den Fremden, der schlammbeschmierte Stiefel und wie ein Schatten durch die Schwingtüren getreten war. Garret und Collins hatten eine Rechnung miteinander offen, doch sie waren bislang klug genug gewesen, sich nicht über den Weg zu laufen. Collins’ Hand rutschte auf den Coltgriff hinunter.

»Was willst du, Garret?«, rief der Goldgräber durch den Lärm im Saloon hindurch. Auf Collins’ Nicken hin verstummte das Klavierspiel. »An unseren Tischen hat ein Verräter nichts verloren.«

Die Augen der versammelten Männer richteten sich auf Garrets knochiges Gesicht, über dem der Schatten der Hutkrempe lag. Die Goldgräber wussten von dem ergiebigen Claim, der Collins gehört hatte und den sich Garret mithilfe der Indianerverwaltung unter den Nagel gerissen hatte. Sie hatten Collins über Wochen hinweg fluchen sehen, nachdem die Sache ruchbar geworden und die Besitzurkunde an Garret gegangen war.

»Hört, hört!«, brummte Garret mit brüchiger Stimme. Er machte einen Schritt nach vorn und wankte von einer Seite zur anderen. »Wir … wir gehen alle drauf, Männer. Und C-Collins … Der sorgt sich um ’nen Claim.«

Kaum hatte Garret den Satz zu Ende gesprochen, verlor er das Gleichgewicht. Er taumelte gegen den vordersten Tisch des Saloons und stürzte der Länge nach nieder. Die Mädchen schrien auf und stoben zum Tresen. Als Collins den Hals reckte, sah er, dass aus Garrets Mund schwarzes Blut quoll.

»Was zum … was zum Teufel?«, flüsterte Collins und zwängte sich zwischen den Stühlen hindurch. »Was ist mit ihm?«

Ehe sich jemand zu einer Antwort entschloss, hustete Garret und spie wiederum Blut aus. Er rollte sich auf den Rücken und schob sich den Hut aus dem Gesicht. Sein blasses Gesicht glänzte vor Schweiß.

»Rührt … rührt ihn nicht an!«, rief einer der Männer am Nachbartisch. Er stand auf und streckte die Arme aus, um seine Gefährten zu warnen. »Sowas … sowas hab’ ich schon gesehen! Könnte verdammter Typhus sein!«

Durch den Vulture Saloon ging ein Raunen, zu dem sich bald missgelaunte Pfiffe gesellten. Einige Furchtlose standen auf und bildete einen Kreis um Garret. Collins stieß sie zur Seite und kniete sich neben seinen röchelnden Erzfeind.

»Jesus und Maria, was hast du getan, Garret?«, zischte der Goldgräber. »Du stinkst aus dem Maul wie ’ne verfaulte Wachtel? Wo hast du dich herumgetrieben?«

Ein neuerlicher Blutschwall kam über Garrets Lippen und schwappte über sein Kinn. Das Blut nässte die Hemdbrust und formte einen länglichen Fleck darauf. Der Alte wandte den Kopf nach rechts und nach links, bevor er das Bewusstsein verlor.

»Heilige Mutter Gottes!«, stieß Collins hervor und riss dem Ohnmächtigen das Hemd auf. »Helft mir! Wir müssen ihn zum Doc bringen! Auf diese Art zu krepieren hat keiner von uns verdient!«

Die Männer umringten den Bewusstlosen noch stärker und halfen Collins, ihm das Hemd auszuziehen. Als Garret halb nackt war, zuckten sie zurück. Sie ließen das Hemd fallen und erschauderten vor Entsetzen.

Der Leib des alten Garret war von blauschwarzen Blasen übersät. Einige der Geschwüre waren eitrig und drohten zu platzen.

»Was … was zur Hölle?«, sagte Collins und stand ebenfalls auf. Er wischte sich die Hände am Hosenbein ab und starrte auf den schwer atmenden Garret. »Welche Seuche schleppt der Kerl mit sich herum?«

Der rauschebärtige Ire von Collins’ Tisch schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. Er bahnte sich einen Weg durch die Saloonbesucher und starrte mit wildem Blick auf Garret.

»Ist die Pest, Collins!«, meinte der Ire heiser. »Der Kerl hat die Pest!«

***

Yuma, Arizona Territory, zwanzig Jahre später

»Vor und nach diesen Tagen hat Amerika nie wieder einen ähnlichen Pestausbruch gesehen.«

Der spindeldürre Arizonier auf der anderen Tischseite riss die Augen auf und blickte Lassiter mit überraschter Miene an. Er hatte eine halbe Stunde ohne Unterlass geredet und mit allem Eifer jene Dinge ausgespart, von denen der Mann der Brigade Sieben vermutete, dass sie für seinen Auftrag nützlich waren. Stattdessen hatte Louis Kelley weitschweifig Anekdoten ausgebreitet, die bestenfalls für eine Wochenzeitung getaugt hätten.

»Atlantic City hat für die Regierung offenbar ungeheure Bedeutung«, fuhr Kelley fort. Er wandte sich nach dem Saloongirl im schwarzen Korsett um, das seit einiger Zeit Lassiters Aufmerksamkeit beanspruchte. »Sie sollten diesem Auftrag mit dem nötigen Ernst begegnen.«

»’Ich begegne jedem Auftrag mit dem nötigen Ernst, Mr. Kelley«, erwiderte Lassiter und sah den Mittelsmann an. »Sie sprachen davon, dass eine Regierungskommission entsandt worden ist?«

Misstrauisch sah sich Kelley im zur Hälfte gefüllten Corner Saloon um, den man im Hauptquartier der Brigade Sieben als Treffpunkt für die beiden Männer ausgewählt hatte. Das Telegramm aus Washington hatte ferner eine Beschreibung Kelleys und eine Parole enthalten, mit der Lassiter sich zu erkennen gegeben hatte. Von dem halben Dutzend verführerischer Amüsiermädchen, die in Diensten von Saloonbesitzer Walter Millar standen, hatte das Telegramm dagegen kein Wort verloren.

»Die Herren befinden sich bereits in Yuma«, erwiderte Kelley beflissen. Er schwenkte den Whiskeyrest in seinem Glas. »Die Kommission wurde auf Drängen von Senator Paul C. Barrandyl einberufen. Barrandyl war zur Zeit des Pestausbruchs als Goldgräber in Atlantic City. Er hat überlebt, weil er irgendeinem indianischen Schamanen in die Hände gefallen ist. Die Rothäute haben ihn geheilt.«

Die Mädchen sammelten sich an der Bar und genehmigten sich eine Runde auf eigene Rechnung. Sie waren allesamt außergewöhnlich schön, legte man zugrunde, dass man sich in Yuma und fern jedes zivilisierten Etablissements befand. Die Southern Pacific Railroad hatte offensichtlich nicht nur Händler und Glücksritter in Arizona-Territorium gespült.

»Weshalb kümmert sich Washington ausgerechnet jetzt um den Fall?«, wollte Lassiter wissen. Er betrachtete weiterhin die Mädchen, im Besonderen eine junge Blondine, deren Lächeln jedes Mal wie ein Diamantenfeuer blitzte. »Mir scheint es ungewöhnlich, dass sich das Justizministerium um eine Sache schert, die zwanzig Jahre zurückliegt.«

Der Mittelsmann seufzte und trank sein Glas zur Hälfte leer. Er verzog das Gesicht und starrte trüb vor sich hin. »Sehen Sie, ich bin Postmeister in dieser Gegend. Das Land ist rau, die Menschen misstrauisch, das Vieh wild und störrisch. Ein Geheimnis ist im Arizona-Territorium immer noch ein Geheimnis. Es muss gelüftet werden, damit man dieses Land versteht.«

Lassiter sah Kelley an und hob eine Braue. »Worauf wollen Sie hinaus? Gewöhnlich lässt...