Lassiter 2246 - Feuriges Finale in Five Points

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732517244 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Lassiter 2246 - Feuriges Finale in Five Points


 

Der pure Wille, eine Warnung auszusprechen, war alles gewesen, was den sterbenden Constabler der Metropolitan Police am Leben gehalten hatte. Kaum hatte sie seine Kehle verlassen, sackte Sullivans Kopf schlaff zur Seite. Der Pulverdampf hatte sich längst verzogen, aber noch immer lag ein beißender Geruch in der Luft. Der tödliche Schuss konnte erst wenige Minuten zuvor gefallen sein.

Ein letztes Seufzen, dann erfüllte unangenehme Stille den Raum. Lassiter bemerkte beiläufig die Schmauchspuren an der Weste des Toten, während seine Hand zum Remington langte, den er verdeckt unter einem oberschenkellangen Mantel trug.

Zu spät.

Ein leises Dielenknarren in seinem Rücken bestätigte, dass noch jemand im Zimmer war. Instinktiv sprang Lassiter zur Seite, gleichzeitig wirbelte er herum. Der Anblick des tödlich getroffenen Copper hatte ihn vorübergehend alle Vorsicht vergessen lassen, doch nun kehrten seine in Hunderten von Kämpfen geschulten Reflexe zurück. Den brünierten Stahl unter dem offenen Mantelaufschlag hervorzuziehen und die kauernde Gestalt auszumachen, die sich vor ihm aus der Dunkelheit schälte, war eins für ihn.

Das begriff auch der Kerl, auf den der Remington zielte.

»Bitte, nicht schießen!« Die Stimme klang verängstigt genug, um Lassiter innehalten zu lassen.

»Wer sind Sie?«, fragte er scharf.

»Ed!«, stieß der Unbekannte hervor. Und gleich darauf, mit etwas gefassterer Stimme: »Edward Murphy!«

Das mochte der Wahrheit entsprechen. Sullivans Mörder hätte wohl kaum das Gespräch gesucht. Trotzdem entzündete Lassiter ein Schwefelholz am Daumennagel. Das verschwitzte Gesicht, das die emporzüngelnde Flamme enthüllte, war vor Angst verzerrt, doch es ähnelte dem, das Lassiter von einem Familienporträt der Murphys kannte.

»Okay«, sagte er, während er das verglimmende Holz zu Boden fallen ließ. »Gehen Sie rüber ins Licht und erzählen Sie mir, was geschehen ist.«

Er behielt den Remington in der Hand, selbst dann noch, als sich Murphys erleichterte Miene im Mondlicht abzeichnete. So wie die Dinge lagen, mochte die Situation von einer Sekunde auf die andere brandgefährlich werden.

»Sie sind Vaters neuer Mann, oder?« Murphys Frage klang mehr wie eine Feststellung. Kein Wunder. Wäre Lassiter ein Gangmitglied gewesen, hätte er dem jungen Kerl aus gutem Hause längst eine Faust oder den Revolverlauf zu schmecken gegeben.

»Was ist geschehen?«, fragte Lassiter, anstatt das Offensichtliche zu bestätigen.

»Ich habe beim Pokern verloren. So viel, dass ich nicht bezahlen konnte.« Ed Murphy senkte die Stimme, als spräche er über eine frisch eingehandelte Geschlechtskrankheit. »Das sehen die Forty Thieves nicht gerne, deshalb musste ich mich durch die Hintertür absetzen.«

Die Forty Thieves.

Lassiter kannte sich nicht sonderlich gut in Lower Manhattan aus, doch selbst er wusste, dass diese Bande eine der mächtigsten in ganz New York war. Selbstverständlich zählten die Forty Thieves mehr als nur vierzig Mitglieder. Der Name war eine Anspielung auf das orientalische Märchen von Ali Baba und den vierzig Räubern, aber das machte diese Gang nicht weniger gefährlich als die mit ihnen konkurrierenden Dead Rabbits, die Bowery Boys oder die Swamp Angels, die allesamt die Unterwelt von Five Points beherrschten.

»Ich konnte noch ein Telegramm aufgeben, bevor ich in diesem Hotel Unterschlupf fand«, fuhr Murphy fort. »Mister Sullivan ist gekommen, um mir sicheres Geleit nach Uptown zu verschaffen, doch irgendjemand muss ihn erkannt und verfolgt haben. Kaum war er zur Tür herein, schoss man ihn schon an.«

Das mit dem Telegramm stimmte. Nur dem an die Metropolitan Police gerichteten Schreiben war es zu verdanken, dass sich auch Lassiter in dieser Unterkunft eingefunden hatte. Doch es gab noch eine Ungereimtheit, die der Mann der Brigade Sieben ergründen wollte.

»Von wo aus hat der Mörder zugeschlagen?« Lassiters Frage klang wie ein Peitschenhieb.

Murphy zögerte einen Moment, als müsste er sich das kürzliche Ereignis erst wieder ins Gedächtnis zurückrufen. »Aus unmittelbarer Nähe«, antwortete er mit Bedacht. »Der Mörder hat die Tür aufgetreten, Sullivan mit vorgehaltener Waffe bis in die Mitte des Raumes gedrängt und dann ohne Warnung abgedrückt.«

Die schwarz versengte Weste rund um das Einschussloch bestätige die Worte des bedrückt wirkenden Jünglings. Trotzdem blieb Lassiter misstrauisch.

»Warum haben Sie nicht eingegriffen?«, fragte er.

»Ich war unbewaffnet«, antwortete Murphy mit zitternder Stimme. »Alles, was ich tun konnte, war, mich zu verstecken. Zum Glück gelang mir das so gut, dass das Gangmitglied abgezogen ist. Sonst wäre es mit mir ebenfalls vorbei gewesen.«

Lassiter tastete nach einem neuen Zündholz, um sich Murphys Versteck zeigen zu lassen, doch stampfende Schritte im Treppenhaus ließen ihn mitten in der Bewegung innehalten. Direkt vor dem Zimmer erstarb das Fußgetrappel. Eine Sekunde später flog die angelehnte Zimmertür auf.

Vor dem matten Petroleumschein der Flurlampen zeichneten sich zwei kräftige Gestalten ab. Unter ihren Jacken blitzten rotblau gestreifte Hemden hervor, zudem trugen sie grüne Halstücher – die allseits bekannten Erkennungsmerkmale der Forty Thieves, die beinahe genauso bedrohlich wirkten wie die Knüppel und Messer in ihren Händen.

Lassiters Remington zuckte in die Höhe.

Unter ohrenbetäubenden Lärm stach eine Mündungsflamme durch das dunkle Zimmer. Die Kugel, die er über die Köpfe der schrägen Vögel hinweg jagte, trieb sie augenblicklich in Deckung. Lassiter nutzte den dadurch erreichten Aufschub.

»Schnell, zum Fenster hinaus«, zischte er Murphy zu, während er selbst die Position wechselte.

Holz schabte über Holz, als sein Schützling das Fenster in die Höhe schob. Augenblicklich schwenkte eine mit einem Colt bewaffnete Hand um den Türrahmen herum. Lassiter wartete nicht, bis der Gegner zu ihnen herein feuerte, sondern drückte ein zweites Mal ab.

Splitternd bahnte sich das Blei einen Weg durch die Holzwand, genau dort, wo sich der Bandit in sicherer Deckung wähnte. Ein gellender Schrei bewies, dass die einfachen Bretter keiner Kugel standhielten.

Verletzt stolperte der heimtückische Schütze mitten ins Treppenhaus und brach zusammen. Die anderen Bandenmitglieder heulten vor Wut, doch nur einer von ihnen kam auf die Idee, mit einem Schuss durch die Zimmerwand zu antworten.

Links neben Lassiter zersprang der Porzellankrug einer Waschgarnitur in Stücke. Rasch fächerte er vier Kugeln in die Holzwand, um die draußen versammelte Schar an einem Sturmangriff zu hindern.

Das Geschrei, das er damit auslöste, entlockte ihm kein Mitleid. Die Gangs von New York bestanden durchweg aus brutalen Dieben und Mördern, die für ihre Rücksichtslosigkeit bekannt waren. Pardon war von diesen Kerlen nicht zu erwarten. Um gegen sie zu überleben, bedurfte es einer harten Hand.

Ehe sich der Tumult legen konnte, schwang sich der große Mann selbst aus dem Fenster und folgte seinem Schützling – gut ein Stockwerk tief hinab, auf das Dach eines Schuppens, in dem Brennholz für den Winter lagerte.

***

Raue Teerpappe verhinderte, dass Lassiter auf dem abschüssigen Dach ausglitt. Links von ihm wuchsen blanke Ofenrohre aus kleinen, schief gezimmerten Hütten, in denen ganze Familien ihr karges Dasein fristeten. Über ihm flatterte zum Trocknen aufgehängte Wäsche im nächtlichen Wind. In Five Points drängen sich überall Häuser, Hütten und selbst gezimmerte Anbauten dicht aneinander, um den steten Zustrom der Einwanderer ein Dach über dem Kopf zu verschaffen.

Mit einigen schnellen Schritten überwand er die Distanz zu einer angrenzenden Dachschräge, hinter der sich bereits Edward Murphy verbarg. Lassiter setzte mit einem Sprung hinüber, fand mit seinen Füßen Halt an einer hölzernen Ablaufrinne und presste sich fest an die Schindeln.

Während oben am Fenster die ersten Forty Thieves erschienen, ließ Lassiter seine Revolvertrommel aufschnappen. Von der Schwerkraft angezogen, rutschten die leeren Patronenhülsen aus den Kammern, prallten leise klingelnd auf die Schräge und rollten in die Tiefe. Obwohl das Geräusch überlaut in seinen Ohren klang, ging es im allgemeinen Lärmpegel des lebhaften Viertels unter. Selbst der Schusswechsel im Haus hatte kein großes Aufsehen erregt.

»Dass da oben werden nicht die Einzigen sein«, flüsterte Murphy. »Die Forty Thieves treten immer in großen Horden auf.«

Lassiter blieb eine Antwort schuldig. Lieber öffnete er mit der Linken seinen Mantel und zog ein paar neue Patronen aus den Schlaufen des Waffengurtes. Routiniert schob er sie in die frei gewordenen Kammern des Remington.

Ihre Verfolger hatten sie inzwischen entdeckt.

Mündungsfeuer blitzte an den Fenstern im zweiten Stock auf, doch die Forty Thieves waren lausige Schützen. Sie hielten zu hoch. Weit über Lassiters und Murphys Köpfen hinweg pfiffen die Kugeln durch die Nacht und schlugen in der gegenüberliegenden Gasse ein. Irgendwo schrie eine Frau erschrocken auf, ein Hund fing an zu bellen. In der unter ihnen befindlichen Hütte wurden Stühle gerückt, aber wohl nur, weil sich die Bewohner unter ihrem Tisch versteckten.

Auf dem dunklen Innenhof ließ sich niemand blicken. Die Menschen von Five Points wussten sehr genau, ab wann es besser für sie war, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

Weitere Schüsse fielen.

Ed Murphy presste sich zitternd gegen die Schräge, obwohl die Einschläge nur eine Gefahr für...