G. F. Unger Sonder-Edition 129 - Shannigan

von: G. F. Unger

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2018

ISBN: 9783732558827 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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G. F. Unger Sonder-Edition 129 - Shannigan


 

Und indes sie warten, bis die Passagiere ausgestiegen sind und sie zur großen Scheune fahren können, in der sie die Kutsche mitsamt den sechs Pferden unterstellen wollen, sagt er grollend zu seinem Begleitmann: »O Moses, alle drei Jahre gibt es hier mal so ein Unwetter, und ausgerechnet eine Stunde vor dem Concho Creek muss es losbrechen. Verdammt, hoffentlich kommen nicht wieder diese verdammten Banditen, diese Skymiles. Beim letzten Male nahmen sie nicht nur die Lohngelder der Minen im Süden, sondern auch die beiden jungen Frauen mit. Verdammt, wenn die wieder herkommen, weil sie sich ausrechnen können, dass die Kutsche hier festsitzt …«

Er verstummt, ohne den angefangenen Satz zu beenden. Doch das ist auch nicht nötig. Sein Begleitmann weiß auch so, was dann sein wird.

Denn diesmal haben sie eine besonders reizvolle Frau unter ihren Passagieren.

Es ist für sie absolut sicher, dass diese Frau den Skymiles gefallen wird.

Und was den Skymiles gefällt, das nehmen sie sich. Da sie dieses Land beherrschen, gibt es gegen ihre Wünsche keinen Widerstand – es sei denn, man riskiert einen schnellen Tod. In diesem Land unterwirft man sich den Skymiles, oder man ist bald ein toter Mensch.

Der Fahrer und dessen Begleitmann wissen das zu gut. Und auch der Stationsmann, seine indianische Frau und der alte Gehilfe mexikanischer Abstammung wissen es.

Sie alle leben im Schatten der despotischen Skymiles, die von Old Man Ben Skymile geführt werden und die in den Bergen eine ganze Armee von Verfolgern an der Nase herumführen können.

Die Passagiere springen indes aus der Kutsche und versuchen so schnell wie möglich dem wolkenbruchartig niedergehenden Regen zu entkommen.

Zu ihnen – es sind vier Männer und drei Frauen – gehört auch ein gewisser Joel Shannigan. Er strebt im Gastraum sofort zur hintersten und dunkelsten Ecke, wirft dort seine beiden Satteltaschen, in denen sich offenbar seine wenigen Siebensachen befinden, auf den klobigen Tisch, legt sich dahinter auf die harte Holzbank und zieht sich den Hut übers Gesicht. Er scheint sofort einzuschlafen, obwohl im Gastraum noch einiges Durcheinander herrscht und die Stimmen mehr oder weniger bitter den Aufenthalt beklagen oder gar verfluchen.

Einer der Männer will auf der Bank Platz nehmen, die Shannigan als Lagerstatt dient. Er stößt ihn leicht mit dem Handrücken gegen den Stiefel und sagt dabei: »He, machen Sie Platz für mich. Diese Bank gehört Ihnen nicht allein.«

»Doch«, sagt Joel Shannigan unter dem Hut hervor, »diese Bank ist ganz allein für mich reserviert. Hau ab, Bruder, hau nur ab und stör mich nicht noch mal!«

Der Mann grollt, und er macht den Ansatz zu einer Bewegung, so als wollte er Shannigans lange Beine von der Bank fegen. Der Mann ist massig, gewiss sehr kräftig und auch hart.

Doch plötzlich warnt ihn sein Instinkt. Er ahnt jäh, dass er gewissermaßen einen Tiger am Schwanz reißen würde. Und er hat unterwegs auch einige Male in die Augen des schwarzbärtigen Fremden geblickt – und an das, was er dabei spürte, erinnert er sich nun.

Und so zieht er sich brummend zurück und begnügt sich mit zwei Stühlen. Er kippt einen mit der Lehne zurück an die Wand und legt seine Beine auf den anderen. Auch die anderen Passagiere fanden indes da und dort Sitzgelegenheiten. Der Stationsmann und dessen Gehilfe sind noch drüben in der Scheune bei den Fahrern der Postkutsche, helfen ihnen, das Gespann zu versorgen.

Die indianische Frau des Stationsmannes kommt aus der Küche und fragt laut durch das Rauschen des Regens: »Wer will Abendessen? In einer halben Stunde gibt es Abendessen. Wer will welches für einen halben Dollar?«

Die meisten Passagiere wollen.

Als die Frau wieder in der Küche verschwunden ist, sagt einer der vier männlichen Passagiere laut: »Oh, ist die hässlich! Verdammt, wenn das Essen so schmeckt, wie die aussieht …«

Sie lachen. Doch eine der weiblichen Passagiere faucht böse: »Mister, Sie sehen auch nicht gerade wie ein Adonis aus, eher schon wie ein zweibeiniger Javelinaseber. Und ganz bestimmt riechen Sie so. Sie haben kein Recht über eine Frau zu spotten, verstanden?«

»Yes, Lady«, erwidert der Mann mit übertrieben gespielter Zerknirschung.

»Ich schäme mich wahrhaftig. Aber da fällt mir eine Geschichte ein, die an der Ostküste passiert sein soll, dort, in einer der großen Städte, in denen es so viele Ärzte gibt, darunter auch berühmte Chirurgen. Da kam ein Mann zu einem von diesen Chirurgen und klagte, seine Frau würde immer hässlicher, Ihre Nase immer länger und der Warzen immer mehr. Er fragte den Chirurgen, ob er nicht die Nase etwas kürzer und die Warzen ganz wegmachen könne. ›Sicher‹, sagte der Chirurg. ›Aber das kostet tausend Dollar, und selbst damit ist meine ärztliche Kunst noch mies bezahlt.‹ Hahaha, da sagte ihm der Mann, dass ihm dies zu teuer sei und ging.«

Der Sprecher macht eine Pause.

Einer der Männer fragt ungeduldig: »Und das ist die ganze Geschichte? Wenn Sie damit sagen wollen, dass die Frauen eine Menge Geld kosten – oho, das wissen wir Männer auch so. Und weil nicht alle Männer einen Haufen Geld haben, müssen so viele Frauen hässlich herumlaufen. Bei uns Männern ist die Hässlichkeit nicht so schlimm, denn bei uns zählen andere Werte.«

Nun fauchen zwei der drei weiblichen Passagiere. Nur die dritte, die wahrhaftig wunderschön und reizvoll ist, sagt nichts, scheint gar nicht zuzuhören.

Der Geschichtenerzähler spricht nun schnell weiter: »Nein, nein, nein, die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Der berühmte Chirurg sah nämlich das Ehepaar einige Tage später auf der Straße. Oha, was tat ihm der arme Mann leid! Und so winkte er den Mann herbei, stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr: ›Oh, Sie Ärmster. Da ich Ihre Frau jetzt gesehen habe, fühle ich mit Ihnen. Ich werde Ihnen einen Sonderpreis machen. Sagen wir hundert Dollar, abgemacht?‹ Da schüttelt der unglückliche Ehemann den Kopf und erwidert: ›Das ist mir immer noch zu teuer. Außerdem habe ich einen Jäger an der Hand, der will sie mir morgen für zehn Dollar totschießen.‹ Hahahahaha!«

Die drei männlichen Fahrgäste stimmen brüllend in sein Lachen ein.

Nur jener vierte Mann, der sich Joel Shannigan nennt und der scheinbar schlafend mit dem Hut über dem Gesicht auf der Bank liegt, gibt keinen Laut von sich.

Die beiden Frauen, die vorhin schon zornig fauchten, tun dies wieder. Die dritte Frau, deren Schönheit man sogar im Halbdunkel des Gastraumes erkennen kann, lacht amüsiert.

Eine der beiden fauchenden Frauen stößt wütend hervor: »Und mit solchen Kerlen muss man zusammen auf einem Erdball leben. O Gott!«

Der Stationsmann, der Fahrer und dessen Begleitmann kommen nun herein. Der Stationsmann zündet die Lampen an. Alle drei Männer fluchen, denn sie sind nass, als wären sie aus einem Fluss gestiegen. Dort wo sie stehen bleiben, bilden sich riesige Wasserlachen.

Der Regen rauscht draußen unvermindert. Dann und wann zucken Blitze, kracht der Donner mit einer Wucht, dass man glaubt, die Blitze schlügen dicht in der Nähe ein.

»Es gibt gleich heißen Kaffee«, sagt der Stationsmann. »Und wer will, der bekommt noch einen besonderen Wärmer in den Kaffee. Kostet nur zwanzig Cent mehr.«

Die drei Männer äußern sich begeistert. Nur Shannigan auf der Bank rührt sich nicht. Er scheint fest zu schlafen. Die beiden empörten Frauen aber fauchen wieder wie dicke, fette Katzen. Eine sagt: »Jetzt werden sie sich betrinken und dann gewiss noch gemeinere Witze erzählen.«

Die dritte Frau aber – jene Schöne also – sagt ruhig zum Stationsmann: »Ja, tun Sie mir bitte auch einen Schnaps in den Kaffee.«

Da staunen ihre beiden Geschlechtsgenossinnen, sagen jedoch kein Wort.

Die drei Männer von der Postlinie verschwinden in der Küche. Der Fahrer und dessen Begleitmann genießen dort offenbar Familienanschluss oder Heimrecht. Vielleicht wollen sie auch am Herd ihre nasse Kleidung trocknen und sich ein wenig aufwärmen.

Es vergeht nun eine längere Zeit des Schweigens.

Alle lauschen auf den rauschenden Regen und das Donnern draußen.

Es wird Nacht. Nur wenn die Blitze zucken, kommt es hell durch die kleinen Fenster der Station.

Der Stationsmann bringt Kaffee aus der Küche. Dann holt er eine Flasche und gießt für die drei Männer und die Frau einen tüchtigen Schuss in die großen Tassen.

Danach setzt er die Flasche an den Mund und trinkt aus ihr drei lange Schlucke.

»Pfui!« Eine der beiden immerzu empörten Frauen ruft es.

Der Stationsmann lacht.

»Alkohol tötet alle Bazillen. Sie sollten auch mal ab und zu einen Schluck nehmen, Ladys. Dann erscheint Ihnen das Leben viel lustiger, und sie ärgern sich nicht immerzu.«

Er verschwindet wieder in der Küche, aus der es nach Essen zu duften beginnt. Man hört die Steaks in den Pfannen zischen und brutzeln.

Die Passagiere laben sich an dem heißen Kaffee. Nur Shannigan bewegt sich nicht. Er stieg erst bei der letzten Station hinzu, also vor etwa dreißig Meilen, und er muss sehr müde und erschöpft sein. Sonst würde er wohl nicht dort liegen und schlafen.

Auch wirkt seine Kleidung sehr abgerissen. Er ist stoppelbärtig unter seinem sichelförmigen Schnurrbart. Wahrscheinlich verlor er sein Pferd und konnte auf einem beschwerlichen Weg nur die Satteltaschen mitnehmen.

Sein Gewehr legte er vor dem Besteigen der Kutsche in den Gepäckkasten.

Niemand beachtet ihn...