Allah ist unsichtbar

von: Martina Dr. Schäfer

epubli, 2018

ISBN: 9783745082845 , 339 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

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Mehr zum Inhalt

Allah ist unsichtbar


 

2  1000 Jahre «apophatische Theologie» in der griechischen Philosophie


Wie bereits im Abschnitt 1.1. erwähnt, ist meiner Meinung nach apophatisches Denken und Reden eine logische Folge, besser ein zwingendes Ergebnis be­stimm­ter philosophischer und religiöser Entwicklungen in einer Kultur.

In den folgenden Abschnitten werde ich deshalb am Beispiel der griechischen Philosophie solche Entwicklungsschritte hin zur Apophasie darstellen.[16]

2.1  Platon


Plato lebte von 429 bis 347 v.d.Z. in Athen. Er war Schüler, Begleiter und Bio­graf des grossen, illiterarischen Sokrates, welcher sein Wissen, seine philosophi­schen Methoden und die daraus resultierenden Erkenntnisse ausschliesslich mündlich weiter gegeben hatte.

Insbesondere in vier Texten hat Platon seine grundsätzlichen Voraussetzungen und Erwägungen zu dem, was man dann als Apophasie bezeichnen könnte, niedergelegt:

im so genannten «7. Brief»[17]

mit der «Rede an Diotima» im «Symposion»[18]

in der «2. Rede an Phaidros»

und im berühmten «Höhlengleichnis» aus der «Politeia».

In diesen genannten Texten entfaltet Plato die Voraussetzungen und Zustände einer apophatischen Theologie.

2.1.1  Der 7. Brief[19]


Ausgelöst wurde dieses Schreiben durch die Ermordung eines Freundes von Pla­ton, der sich gegen die Tyrannenherrschaft in den griechischen Kolonien auf Sizilien gestellt hatte. Mehrmals hatte dieser Dion, welcher der Philosophen­schule Athens nahe stand, Platon nach Syrakus gerufen, damit er dort seine philo­so­phi­sche und politische Ethik dem Tyrannen näher bringe.

Das Unterfangen scheiterte und die Akademie geriet sogar in den Ruf, mit Um­stürz­lern gemeinsame Sache zu machen.

All diese Ereignisse warfen die Frage auf, welche Voraussetzungen eine gute Regierungsform brauche und wie die polis dahingehend reformiert werden kön­ne. Damit berührte Platons Fragestellung auch ethische und religiöse Aspekte, denn die Seele, so Platon, sehnt sich nach dem absolut Guten, denn sie ist in der Welt der realen Erscheinungen nur im Exil, ihr nous ein Element dieses Guten, der Welt der Ideen, das dorthin zurück strebt.

Der Weg zurück führt über Stufen der Erkenntnis – als theoria oder Kontempla­tion bezeichnet. Voraussetzung der Kontemplation ist die katharsis, die Reini­gung oder Askese. Letzteres ein Begriff, welcher im griechischen Kontext immer eine sportliche Konnotation im Sinne eines «Trainierens» dieser Läuterung hat.

Platon trennt also streng zwischen der Welt der Erscheinung und der Welt der Ideen.[20]

2.1.2  Die «Rede an Diotima» aus dem «Gastmahl» (Symposion)[21]


Den Königsweg zurück in die Welt des absolut Guten beschreibt Platon insbe­sondere im Dialog zwischen Diotima und Sokrates, welcher auch oft «Von der Liebe» übertitelt wird.

Das absolut Gute ist natürlich auch das wahre Schöne, nach dem die Seele sich sehnt. Der Gegensatz zu dieser Idee der Schönheit ist die Idee der Hässlichkeit, die der Schönheit diametral entgegen gesetzt ist, so weit entfernt, wie die Erde dem Himmel, die Welt der Erscheinungen der Welt der Ideen/Formen, die der blossen Meinungen jener des wirklichen Wissens, der Zeitlichkeit der Unsterb­lichkeit, usf.

Die Mittlerin zwischen der Welt des Hässlichen und der der Schönheit ist die Liebe/eros, die die Seele sukzessive weiter zieht. Bereits die Liebe zu einem schönen Körper stellt eine Vorstufe dieses Weges dar.

Liebe bedeutet aber nicht alleine, Schönes besitzen zu wollen, sondern auch, Schönes schaffen zu können.

Auf den folgenden Stufen wendet sich das Streben abstrakteren Formen der Schönheit zu: Der schönen Seele, Schönheit der Erkenntnis oder ethischer, sozial umgesetzter (politischer) Tugend und Schönheit.

Schlussendlich – aber auch auf allen anderen Stufen zuvor schon – taucht wie ein plötzlicher Lichtstrahl die Idee des Schönen selber auf: Die liebende Seele kann die göttliche, vollkommene Schönheit sehen, sich wirklich tugendhaft verhalten oder im Angesicht des wahren Schönen Schönes schaffen.

Man könnte sich darüber streiten, ob man diesen Moment bei Platon als eine Art philosophische Vorstufe zum Gnadenbegriff der christlichen Theologie sehen könne. Mit der christlichen Vorstellung von Gnade hat dieser Moment den Charakter des plötzlichen Aufscheinens gemeinsam sowie die Erfahrung, dass alle Eigenaktivität der Seele auf ihrem kontemplativen Weg schlussendlich des «Funkens» von Aussen bedarf – sei der nun «göttlich» oder «inspirativ».

2.1.3  Die zweite Rede des Sokrates an Phaidros[22]


In dieser Rede entwickelt Sokrates im Bild eines von Rossen gezogenen Wagens mit dem Wagenlenker jene Vorstellung von Seele, wie sie in den folgenden Zeiten die Philosophie aber auch die Vorstellungen der Wüstenväter, beispielsweise die des Wüstenvaters Evagrios Pontikos (345 in Anatolien–399 in der Kellia), prägen sollte.

In diesem Bild ist die Seele ein Wagen, so Platon, den entweder die Vernunft souverän lenkt oder von dem sie gelenkt, mitgerissen, wird.[23]

Die Gesamtseele, das Selbst, ist unterteilt in «Seele» und «Intellekt» (Verstand oder Geist), die wiederum eine Dreiheit bilden aus Begehren – Gemüt/Gefühl (= Seelenanteile) – Vernunft (= Teil des «Intellekts»).

Laut Platon nun, wie er es Sokrates in der zweiten Rede an Phaidros darstellen lässt, gleicht die Gesamtseele des Menschen einem Wagen: Wagenlenker ist der Geist und lenkt zwei Pferde: Ein eher harmloseres Tier, das aber unter bestimmten Bedingungen durchaus seine Macken haben kann, das ist das Gemüt, die Welt der Gefühle und ein wildes, ungebärdiges Pferd, das leicht durchgeht und schwer zu zügeln ist, die Welt des Begehrens.

Pferde und Wagenlenker haben ihre legitimen Bedürfnisse die, bei Nicht­befriedigung, in ihr Gegenteil umschlagen können und zu überzogenen Leiden­schaften, wilden Begierden werden.

Die legitimen Bedürfnisse des Geistes sind Selbstachtung und Anerkennung, heute würde man vielleicht sagen, es ist das grundlegende Menschenrecht auf Anerkennung der eigenen, innewohnenden Würde. Wird dieses legitime Bedürf­nis nicht befriedigt, entsteht Wut, denn Stolz und Eitelkeit sind verletzt.

Legitime Bedürfnisse auf der Ebene des Begehrens sind das übliche Besitz­streben, Hunger, Durst, erotische und sexuelle Wünsche. Begehrt man aber auf Kosten anderer Menschen, so werden daraus Gier und, in unserer heu­ti­gen Ausdrucksweise: Sexuelle Ausbeutung und Süchte aller Art.

Zum Pferd des Begehrens und dem Geist des Wagenlenkers kommt gewisser­massen als drittes Element das zweite, handlichere Pferd der Gefühle. Werden legitime Bedürfnisse und Gefühle nicht beachtet, dann verdrängt sie der Mensch, schiebt sie ab, was zur Folge hat, dass sie sich irgendwo anders Bahn brechen und in verdrehter Form wieder ans Tageslicht drängen.

Wird der Geist anerkannt, kann er sich selbst achten, wird er von Klugheit auf seinem Weg geschützt, Einsicht oder Verstehen organisieren und verwalten die Ziele und zum Schluss ist der Geist weise genug, das, was alles Sein begründet, ohne Leidenschaften anzuschauen. Werden die geistigen Bedürfnisse nicht gestillt, verwandelt sich Weisheit in dummen Hochmut, Einsicht in Arroganz, verletzte Würde in verletzte Eitelkeit, Stolz in Wut.

Mut, sich nicht vor GegnerInnen zu fürchten, Geduld, Widrigkeiten auf der Reise auszuhalten sind jene Gefühle, die den Erkenntnisprozess unterstützen, und beide Pferde in der richtigen Spur halten. Frustriert wandeln sie sich zu Kummer und Wut, «Jähzorn» oder Depression, Überdruss und beide Pferde gehen mit dem Wagen durch, stürzen in den Abgrund.

2.1.4  Das «Höhlengleichnis» aus der «Politeia»[24]


Die Seele ist also das bewegende Prinzip, welche Geist und Leben mit ihrem Begehren, dem eros, voran treibt – im Idealfall dem Begehren nach dem Wah­ren, Guten und Schönen, ihrer eigentlichen «Heimat».

Den Ausgangspunkt, die Form der Gefallenheit der Seele, beschrieb Platon als durchaus sehr tristen, traurigen Zustand, als eine Form der Vermitteltheit, des Indirekten, abgeschnitten und gefesselt, als einen Zustand der «Entfremdung», wie es moderner nicht sein kann: Wer sieht schon gerne die Schatten von daher getragenen Gegenständen an? Nicht einmal die Träger sind sichtbar, geschwei­ge denn die Wirklichkeit des Schatten werfenden Feuers, des echten Sonnenlich­tes draussen vor der Höhle, der duftenden Pflanzen, dem Singen, Rauschen und Rappeln des Lebendigen schlechthin?

Ich möchte an dieser Stelle einmal eine moderne Nacherzählung des «Höhlen­gleich­nisses» versuchen, (einen gekürzten Text des Gleichnisses stelle ich unten in die Fussnote[25]) denn wir haben ja tatsächlich das Glück, nicht mehr in Höhlen zu hausen, woraus wir merkwürdigerweise schliessen, dass wir «weiter» seien als die Leute damals – aber sind wir das tatsächlich?

Man gehe also einmal so im Vorwinter zwischen 20 und 22 Uhr durch eine Stadt: Strassenlaternen, beleuchtete Geschäfte und Ampeln bieten Sicherheit, die Angst vor der Dunkelheit schmilzt in ihrem Licht dahin und das ist sicher auch gut so.

Doch wo sind die...