König Humbug - Sein Leben, von ihm selbst erzählt

von: P. T. Barnum

Aufbau Verlag, 2018

ISBN: 9783841215529 , 222 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

König Humbug - Sein Leben, von ihm selbst erzählt


 

Meine frühe Geschichte


Mein erstes Auftreten auf der Weltbühne fand am 5. Juli im Jahre des Herrn 1810 statt. Der Tag der Unabhängigkeitserklärung war kaum vorüber, der Kanonendonner hatte kaum aufgehört, die Erinnerung an das nationale Jubelfest zu verkünden, der Dampf war kaum verflogen, die Trommelwirbel verhallt, Friede und Ruhe kaum wiederhergestellt, da machte ich mein Debut.

Dieser Hang, auf meiner Hut zu sein, hat mir immer angeklebt. Ich habe oft gedacht, daß, wenn ich gezwungen wäre, in den Krieg zu ziehen, die ersten Waffen, die ich prüfte, meine eigenen Beine sein würden. Ich könnte kaum den Plan des Yankee-Soldaten ausführen, der aufs Geratewohl und auf eigene Faust hin ein paar Schüsse gegen den Feind losfeuerte, dann aber weglief und sang:

»Wer kämpft und gibt dann Fersengeld,

kann später vielleicht sich noch zeigen als Held!«

Ich bin ein entschiedener Freund des Friedens, und die beiden ersten Worte der ersten Zeile würden nicht genau auf mich passen, wenn es mir auch möglich wäre, die darauf folgenden für mich gelten zu lassen.

Ich weiß nicht, ob meine Ankunft eine besondere Aufregung im Ort erzeugte. Meine gute Mutter erklärt freilich, daß ich gleich in der ersten Stunde nach meiner Geburt gehörigen Lärm gemacht und daß sie dessen Verstummen seitdem noch nicht wahrgenommen hätte.

Ich muß meine ersten Lebensjahre hier übergehen, während welcher mich mein Großvater voll Zucker stopfte und mit Dreiern überschüttete, damit ich mir Rosinen und Zuckerstengel kaufen konnte, die, wie er mich immer unterwies, ich von dem Krämer zum »niedrigsten Barpreise« fordern sollte. Ich fange daher gleich an, von späteren Ereignissen zu reden.

Ich galt allgemein als ein ziemlich tüchtiger Schüler, und als ich älter wurde, gab es bloß zwei oder drei in der Schule, welche einen Vorsprung vor mir hatten. Im Rechnen war ich ungewöhnlich rasch, und ich erinnere mich, daß ich im Alter von zwölf Jahren nachts von einem meiner Lehrer aus dem Schlafe geweckt wurde, der mit einem Nachbar eine kleine Wette eingegangen war, daß ich innerhalb von fünf Minuten die richtige Anzahl Fuß in einem Stoße Holz berechnen und angeben könnte. Der Nachbar bestimmte die Ausdehnung, und da ich keine Tafel im Hause hatte, so machte ich meine Rechnung auf dem Ofenrohr und gab die Auflösung in weniger als zwei Minuten zum großen Entzücken meines Lehrers, meiner Mutter und meiner selbst sowie zum nicht geringen Erstaunen unseres ungläubigen Nachbars. Mein Vater war Schneider, Landwirt und zuweilen auch Gastwirt. So wurde ich denn oft aus der Schule zu Hause behalten und genoß keinen anderen Unterricht als den der gewöhnlichen Distriktsschule, mit Ausnahme eines Sommers in der »Akademie« von Danbury, zu der ich den drei Meilen weiten Weg sechsmal in der Woche hin und zurück machte.

Mein Erwerbsorgan muß sehr groß gewesen sein, oder meine Eltern müssen sehr früh mit seiner Ausbildung begonnen haben. Ehe ich fünf Jahre alt war, fing ich an, Pfennige und Sechser aufzuhäufen. Als ich sechs Jahre zählte, belehrte mich mein Großvater, daß all die kleinen Stücke Geld einen Dollar ausmachten und daß, wenn ich sie nehmen und mit ihm gehen wollte, er mir etwas sehr Besehenswertes zeigen würde. Ich packte meinen ganzen Reichtum in ein Schnupftuch, band und hielt es fest zusammen und ging mit meinem Großvater. Er nahm mich mit in die Dorfschenke, welche damals von Herrn Stiles Wakelee geführt wurde, und sich dem Wirte nähernd, sagte er: »Hier, Herr Wakelee, ist der reichste Junge aus diesem Teile des Landes. Er besitzt einen Dollar bar. Ich bitte Sie, seine Münzen zu nehmen und sie ihm für einen Silberdollar umzuwechseln.«

Der gefällige Wirt nahm mein Geld und gab mir sofort einen Silberdollar. Nie in meinem Leben habe ich mich so reich gefühlt, noch werde ich mich je wieder so reich fühlen, so durchaus unabhängig von der ganzen Welt wie damals, als ich auf den großen Silberdollar blickte und fühlte, daß er mir ganz gehörte. Selbst ein Wagenrad schien mir nur halb so groß wie mein Silberdollar. Ich glaubte steif und fest, daß ich die ganze Erde mit allem, was darauf ist, für dies wundervolle Stück Geld kaufen könnte und daß ich bei diesem Coup selbst noch einen schlechten Handel machte.

Aber mein Dollar blieb nicht lange vereinsamt. Meine Mutter leitete mich an, meine übrigen Cents dazuzusparen. Als ich größer wurde, zahlte mir mein Großvater zehn Cent für den Tag, wenn ich das dem Ochsengespann vorausgehende Pferd beim Pflügen ritt, und ich kam auf verschiedene Mittelchen, mein kleines Kapital zu vergrößern. An den Übungstagen der Miliz machte ich als Hausierer Geld, statt welches auszugeben. Mein Warenvorrat bestand in einer Gallone Melasse, die zu Melassezucker umgekocht und umgearbeitet war und damals »Cookania« hieß, und gewöhnlich hatte ich am Abend eines solchen Übungstages einen Dollar verdient. Da ich immer einen ganz besondern Gefallen an Spekulationen fand, so vermehrte sich mein Festtagsvorrat bald und umfaßte Pfefferbrot, Kuchen, Zuckerstengel und Kirschschnaps. Der letztere Artikel bestand aus einem Maße neuenglischen Rums, in welchen ich eine Handvoll wilder Kirschen und etwas Zucker getan hatte. Ich merkte bald, daß die Soldaten gute Kirschschnapskunden waren, und sobald ich nur die Worte: »Halt! Gewehr ab!« hörte, so eilte ich mit meiner Flasche und meinem Glas auf die Exerzierenden zu. In wenig Jahren würde ich ein zweiter Krösus gewesen sein, wenn mein Vater mich nicht vorsorglich dazu verpflichtet hätte, mir meine eigenen Kleider zu kaufen. Diese Bestimmung reduzierte mein Vermögen auf eine mäßige Höhe. Indem ich aber mein Ziel nicht aus den Augen verlor, erwarb ich bald ein eigenes Kalb und Schaf und anderes persönliches Eigentum, welches mich fühlen ließ, daß ich ein ganz vermögender Mann war.

Zu gleicher Zeit sah ich aber auch ein, daß ich die für mich passende Sphäre noch nicht gefunden hatte. Die Farm war kein Ort für mich. Ich arbeitete immer ungern mit der Hand, desto mehr aber liebte ich die Anstrengung des Kopfes. Ich war immer aufgelegt, Unsinn zusammenzubrauen oder Pläne auf Gewinn von Geld zu machen; aber die Handarbeit war ganz entschieden nicht mein Beruf. Mein Vater bestand darauf, daß ich so gut wie jeder andere im Garten hacken, pflügen und graben sollte, aber ich sann immer nach, wie ich mich der Arbeit entziehen oder wie ich, sie oberflächlich verrichtend, an einem Tage mit ihr fertig werden könnte.

Ich war noch nicht ganz zwölf Jahre alt, als ich zum ersten Male die Handelsmetropole besuchte. Das kam so: Mein Vater führte, wie vorhin bemerkt, das Dorfwirtshaus. Eines späten Nachmittags im Januar 1822 kam Herr Daniel Brown von Southbury in Connecticut in unserem Hause mit einer Herde fetten Viehs an, welches er in New York verkaufen wollte. Das Vieh wurde in unseren großen Hof getrieben, die Reitpferde in den Stall geführt, Herr Brown aber nahm ein warmes Nachtessen ein, zog seine Schuhe aus und Pantoffeln an und setzte sich ans Feuer, um sich’s den Abend recht bequem zu machen.

Ich hielt ihn für einen großen Mann, denn er war in »York« gewesen, und damals bedeutete eine Reise nach »York« soviel wie jetzt eine nach Europa. Ich hörte gespannt auf die Erzählung seiner Abenteuer in Stadt und Land, so daß mein Interesse für den Mann beständig wuchs. Endlich hörte ich ihn zu meinem Vater sagen, daß er noch mehr Vieh in Ridgefield und anderen an seinem Wege gelegenen Orten zu kaufen gedächte und daß er gern einen Jungen mieten möchte, der, leicht zu Fuß, ihm beim Treiben der Tiere behilflich sein könnte. Ich bat sofort meinen Vater, ein Wort zu meinen Gunsten einzulegen und mir womöglich den gewünschten Platz zu verschaffen. Er tat das auch. Meine Mutter gab ebenfalls ihre Zustimmung, und es wurde sogleich bestimmt, daß ich mit nach New York sollte. Ich mußte mich augenblicklich zur Ruhe begeben, damit ich am andern Morgen bei Tagesanbruch bereit wäre, mit dem Vieh aufzubrechen. Ich ging zwar ins Bett, konnte aber nicht schlafen. Phantasiegebilde aller Art beschäftigten meine Einbildungskraft. Eine neue Welt sollte sich vor mir öffnen. Ich schlief nur ein oder zwei Stunden gegen Morgen, träumte von der großen Stadt mit ihren goldgepflasterten Straßen und Schlössern.

Bei Tagesanbruch wurde ich geweckt, nahm ein paar Bissen zum Frühstück und brach zu Fuß inmitten eines heftigen Schneesturmes auf, um das Vieh treiben zu helfen. Ehe wir nach Ridgefield kamen, hob mich Herr Brown auf sein Pferd, damit ich einem weggelaufenen Ochsen nachsetzte. Das Pferd aber fiel, wälzte sich über meinen Fuß und verrenkte meinen Knöchel. Ich litt in hohem Grade, wagte mich aber nicht zu beklagen, damit mein Dienstgeber nicht veranlaßt würde, mich wieder heimzuschicken, denn ich war noch keine zehn Meilen von zu Hause fort. Er erlaubte mir aber in Anbetracht dessen, hinter ihm herzureiten, und an jenem Abend wusch mir die Wirtin des Gasthauses, in welchem wir haltmachten, meinen Knöchel, der beträchtlich geschwollen war. Am andern Tage war er etwas besser, aber da ich noch immer humpelte, so erlaubte mir Herr Brown, fast die ganze Zeit hindurch zu reiten.

In drei oder vier Tagen erreichten wir die Stadt New York und kehrten in Bulls Head Hause ein, welches, wenn ich nicht irre, Herr Givens führte. Der Treiber hatte ungefähr eine Woche mit dem Verkaufe seines Viehs zu tun, und darauf sollte ich mit ihm in einem Schlitten nach New York zurückkehren.

Das war eine große Woche für mich. Meine Mutter hatte mir, ehe ich sie verließ, einen Dollar gegeben, und ich glaubte nie...