Wie man in Berlin so lebt - Beobachtungen und Betrachtungen aus der Hauptstadt

von: Theodor Fontane, Gotthard Erler

Aufbau Verlag, 2018

ISBN: 9783841216434 , 268 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 7,99 EUR

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Wie man in Berlin so lebt - Beobachtungen und Betrachtungen aus der Hauptstadt


 

Fontane und Berlin
Geschichte einer Haßliebe
Von Gotthard Erler


Theodor Fontane, der gebürtige Neuruppiner, hat etwa sechs Jahrzehnte in Berlin gelebt, die Entwicklung der Stadt von 1833 bis 1898 mit wachsender Intensität beobachtet und in Widerspruch und Liebe reflektiert. Sein Leben gestaltete sich im Kontext der gewaltigen sozialen, politischen und technisch-topographischen Veränderungen, die den Aufstieg der preußischen Residenz zur deutschen Hauptstadt begleiteten, und sein literarisches Werk ist in der steten Auseinandersetzung mit ebendiesem Berlin und der umliegenden Mark Brandenburg entstanden.

Von der Residenz zur Metropole

Als der Dreizehnjährige 1833 nach Berlin kam, fuhr in keinem der zahlreichen deutschen Staaten eine Eisenbahn; als er 1898 starb, verfügte das Deutsche Reich über ein Streckennetz von 50 000 Kilometern, hatte der »Hafermotor« (wie man den Droschkengaul nannte) in den ersten »Benzinkutschen« eine lautstarke Konkurrenz erhalten, und Otto Lilienthal hatte die Versuche mit seinen Flugapparaten bereits mit dem Leben bezahlt. Als der Apothekerlehrling Fontane im Dezember 1839 im »Berliner Figaro« seine erste Novelle, »Geschwisterliebe«, veröffentlichte, sammelten die Kinder noch Brennholz im Tiergarten, dem man »ohnehin aus Sommer- und Herbsttagen her für Champignons und Steinpilze verpflichtet war«. Als er seinen letzten Roman, den »Stechlin«, konzipierte, wohnte er, nahe diesem Tiergarten, »im belebtesten Teil der Potsdamer Straße und schrieb« (nach dem Zeugnis eines Besuchers) »bei geöffnetem Fenster unter ohrenbetäubendem Straßenlärm«. Als die Fontanes 1859 aus England zurückkehrten, bezog die Familie in der Potsdamer Straße 33 eine ganz und gar noch ländlich gelegene »Sommerwohnung«, sog, wie der Hausherr bemerkte, »die echte Berliner Gartenluft (Blumen vorne und Müllkute hinten) in vollen Zügen ein« und fand die sarkastische Aussage von Professor Magnus bestätigt, »daß der gute Gesundheitszustand der Berliner in der schamlosen Unbedecktheit ihrer Rinnsteine wurzele«. Als man im September 1898 seine sterbliche Hülle die berühmten 75 Stufen im Hause Potsdamer Straße 134 c hinuntertrug, war diese Straße längst an die Kanalisation angeschlossen, und die alte Pferdebahn, die seit 1879 durch die Potsdamer nach Schöneberg führte, hatte einer elektrischen Straßenbahn Platz gemacht.

Als Fontane 1833 in die Friedrichswerdersche Gewerbeschule von Karl Friedrich Klöden aufgenommen wurde, bestand Deutschland aus drei Dutzend selbständigen Fürstentümern und vier Freien Reichsstädten; Fontanes vier Kinder wuchsen im Deutschen Kaiserreich auf, das Bismarck 1871 mit »Blut und Eisen« geschaffen hatte. In der Vormärzzeit übersetzte Fontane Verse englischer Arbeiterdichter und schrieb ein Buch über einen ihrer prominenten Vertreter; folgerichtig bat er 1848 seinen Freund Lepel um einen leibhaftigen »Muskedonner«, weil die Konterrevolution »Taten oder doch Wort und Tat« erheische. Als er Ende der neunziger Jahre auf seine Erlebnisse »Von Zwanzig bis Dreißig« zurückblickte, war von dem Radikaldemokraten Theodor Fontane auf den Berliner Barrikaden freilich nicht mehr die Rede. 1860, als er, von Berlin aus, seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg begann, postulierte er: »Wer den Adel abschaffen wollte, schaffte den letzten Rest von Poesie aus der Welt.« Aber vierzig Jahre später wird er im »Stechlin« (und zwar bei einem Ausflug zum Eierhäuschen im Treptower Park) die Frage erörtern lassen: »ob sich der vierte Stand etabliert und stabiliert …, darauf läuft doch in ihrem vernünftigen Kern die ganze Sache hinaus«. 1851 hatte er das Festgedicht auf die Enthüllung von Rauchs Friedrich-Denkmal Unter den Linden verfaßt, 1871 läßt er diesen erzenen König den siegreich aus Frankreich heimkehrenden Truppen suggestiv zuraunen: »Nun, Messieurs, ist es genug«, und 1898 wird ihm bei den chauvinistischen Reden Wilhelms II. »himmelangst«.

»Geldsackgesinnung« und »Kommißknüppelzustand«

Schon diese wenigen episodisch verknüpften Fakten deuten die enge Verbindung der Fontaneschen Biographie mit der Geschichte Berlins und Preußens an; sie zeigen, wie sich die widerspruchsvolle Entwicklung des Schriftstellers Fontane synchron mit dem Aufstieg Berlins zur modernen Großstadt, ja zur Weltstadt vollzog. Seit seinem mehrjährigen Aufenthalt in London war es ihm ein Bedürfnis geworden, »an einem großen Mittelpunkte zu leben«. »Wie man auch über Berlin spötteln mag …«, schrieb er 1860 an Heyse in München, »das Faktum ist doch schließlich nicht wegzuleugnen, daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen Weltbegebenheiten.«

Fontane anerkannte gelegentlich, daß Berlin allmählich »eine schöne und vornehme Stadt« werde (1881), aber sein Unbehagen gegenüber geistigem Zuschnitt und psychischem Habitus der neuen tonangebenden Berliner wuchs ständig. Der plötzliche wirtschaftliche Machtzuwachs nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde charakterlich nicht bewältigt, und so etablierte sich in seinen Augen eine »Äußerlichkeitsherrschaft«, ein vulgärer Materialismus voller »Ruppigkeit« und »Protzentum«. In den prunkvollen Tiergartenvillen waren Oberflächlichkeit und Pseudobildung zu Hause, und oft genug hatten die Bewohner ihre Geschmacklosigkeit ungeniert Fassade werden lassen.

Man muß den Roman »Frau Jenny Treibel« und die zahllosen briefverborgenen Äußerungen zusammennehmen, um das ganze Ausmaß von Fontanes Abscheu vor dem »Bourgeoisstandpunkt« zu begreifen. Wie weit diese »Geldsackgesinnung« und »Verrohung« bereits in die intimen Bereiche des Lebens eingedrungen waren, wurde dem Dichter 1887 beim Tode seines ältesten Sohns George schmerzlich bewußt; resigniert sprach er von dem »fabrikmäßigen« Trauerapparat, der »das Beste, was der Mensch hat, zu bloßer Phrase, ja zur Kunstträne und Gefühlsheuchelei« herabdrücke.

Als er 1891 das Manuskript des Romans »Frau Jenny Treibel«, den er selbst als »humoristische Verhöhnung unsrer Bourgeoisie mit ihrer Redensartlichkeit auf jedem Gebiet« bezeichnete, noch einmal überarbeitete, bekannte er seiner Tochter: »Ich hasse das Bourgeoishafte mit einer Leidenschaft, als ob ich ein eingeschworner Sozialdemokrat wäre. ›Er ist ein Schafskopf, aber sein Vater hat ein Eckhaus‹, mit dieser Bewunderungsform kann ich nicht mehr mit.« 1894 umschrieb er seine Haltung noch einmal in einem Brief an Georg Friedlaender: »Die Stadt wächst und wächst, die Millionäre verzehnfachen sich, aber eine gewisse Schusterhaftigkeit bleibt, die sich vor allem in dem Glauben ausspricht: ›Mutters Kloß sei der beste.‹«

Fontane hat mehrfach versucht, die sozialpsychologischen Merkmale des »spezifisch Berlinischen« auch essayistisch zu erfassen (»Berliner Ton«, »Die Märker und die Berliner«, »Berliner Sprechanismus« u. a.), und er kam dabei unausweichlich auf ein Charakteristikum, das er als »Kommißknüppelzustand« und »Pflichttrampeltum« bezeichnete. Er verstand darunter die herzlose, kunstfeindliche preußische Ministerialbürokratie und den Standesdünkel der Beamten, die sich meist aus ostelbischem Adel rekrutierten und die ein lebensfernes Bildungssystem für die Praxis weitgehend unfähig gemacht hatte. Er hegte eine tiefe Abneigung gegen den »durch sechs Examina gegangenen Patentpreußen«, den »Examensheiligen«, der Schlachten auf dem Papier schlägt, aber keine Sektion über den Rinnstein führen kann. »In Berlin«, bemerkte Fontane 1897, »sind die Menschen infolge des ewigen Lernens und Examiniertwerdens am talentlosesten – eine Beamtendrillmaschine.«

»Er schuf Berlin zum zweiten Male«

Und doch hat kaum einer dieses Berlin zugleich so liebevoll und kenntnisreich dargestellt wie Fontane – in der städtischen Szenerie wie in einer Fülle liebenswerter Figuren. Wer viel Fontane gelesen hat – Briefe, Autobiographisches, »Wanderungen« und natürlich Romane –, fühlt sich im Berlin des 19. Jahrhunderts einigermaßen zu Hause, in jenem vom Baufieber geschüttelten Berlin der siebziger, achtziger und neunziger Jahre, in dem das biedermeierliche Stadtbild verschwand und einem neuen Platz machte, das dann in den Bombennächten des zweiten Weltkriegs unterging.

Mit Hilfe eines alten Stadtplans sind die Schauplätze der Romane meist aufzufinden, die Landpartien teilweise heute noch nachzuvollziehen. Diese historische »Stimmigkeit« hängt mit Fontanes Berlinerschaft ebenso zusammen wie mit seinen reichen Erfahrungen als Reiseschriftsteller und Wanderer durch die Mark. Aber er hat immer davor gewarnt, seine »Wanderungen« mit dem Baedeker zu verwechseln, und er war höchst verdrossen, wenn man seine Romane nur wegen ihrer Lokaltreue lobte. Denn ihm kam es auf das Typische, das Charakteristische an, nicht auf simple, naturalistische Übereinstimmung. So hat er beispielsweise das van der Straatensche Stadthaus, das in »L’Adultera« in der Großen Petristraße 4 steht, recht genau nach dem (heute noch vorhandenen) Ravené-Haus in der Wallstraße gestaltet. Auch die Villa Treibel hat nie in der Köpenicker Straße gestanden, ist aber gleichwohl eine genaue Kopie eines Hauses in der Schlesischen Straße, das einem Kommerzienrat Heckmann gehörte.

In jedem Roman gibt es Ausblicke aus Fenstern und von Balkonen, und Heimwege und Spaziergänge geraten unterderhand zu anschaulichen Beschreibungen von Straßen und Stadtvierteln. In »Stine« ist es die Invalidenstraße, wo »Borsig und Schwarzkoppen seine« zur Arbeit gehen; in »Frau Jenny Treibel« die Fischerbrücke mit dem Blick zur...