Da sitzt das Scheusal wieder - Die besten Theaterkritiken

von: Theodor Fontane, Debora Helmer

Aufbau Verlag, 2018

ISBN: 9783841215918 , 208 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 17,99 EUR

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Da sitzt das Scheusal wieder - Die besten Theaterkritiken


 

Frivole Franzosen?


Eugène Scribe/Ernest Legouvé
Feenhände


Aufführung vom 31. 10. 1871; Kritik vom 2. 11. 1871

Dienstag den 31. Oktober zum ersten Male: »Feenhände«, Lustspiel in 5 Akten nach dem Französischen des Scribe von Ch. v. Graven.

Widerstreitende Empfindungen haben uns gestern bei der Aufführung dieses Scribe’schen Stücks begleitet. Es konnte nicht anders sein. Das Ganze ist eine Mischung von bewährter, liebenswürdiger Routine auf der einen Seite und von häßlicher Condescenz gegen die Tagesphrase auf der andern: wo jene sich geltend macht, wie in den Rollen der Marquise von Méneville, der Frau von Berny, des Herzogs von Penn-Mar und des bretagnischen Edelmanns Richard von Kerbriand, wird man sehr angenehm berührt und in die heiteren Regionen der Kunst erhoben; wo diese, die Condescenz gegen die Tagesphrase, hervortritt (und dies ist der eigentliche Inhalt des Stücks, sein Lebenskeim) wird man abgestoßen und gelangweilt zu gleicher Zeit. Hier soll die Neuheit und die Piquanterie liegen, diese Piquanterie ist aber nur Gesinnungslosigkeit, ein rücksichtsloses Rücksichtnehmen auf das Eine: was wirkt heute? was will der Epicier hören und sehen? Aus diesem feigen sich Unterwerfen, worin die französischen Schriftsteller (und die populären am meisten) immer groß waren, ist zu erheblichem Theile das Unheil entstanden, das alle 20 Jahr einmal, in dieser oder jener Gestalt, über die Pariser Bevölkerung hereinbricht; alles was berufen wäre, geistig zu leiten, zieht es vor, servil die Schleppe zu tragen, und wenn dann die Saat aufgeht, dann ist ein Verwundern, dann giebt es ein Weiß-waschen oder wohl gar eine sittliche Empörung, und die Deportations-Schiffe füllen sich mit Tausenden, die an einem warmen Sumpfplatz die Zeche bezahlen müssen. Der ältere Dumas – in vielen Beziehungen der Liebenswürdigsten einer, die je gelebt – er theilte nichtsdestoweniger die große Krankheit seiner Nation, und als er 1848 in die Assemblée gewählt werden wollte, empfahl er sich seinen Wählern nicht als Alexander Dumas, sondern als »Arbeiter«, und rechnete seinen anwesenden neuen Collegen vor, welchen Nutzen er der Produktion respective der Ouvrierschaft Frankreichs dadurch gethan habe, daß er durch seine Arbeit die Arbeit von drei Papiermüllern, sechs Setzern und wenigstens 600 Theaterleuten gesichert habe. In ähnlicher Weise proklamirt der alte Scribe in diesem seinem Lustspiel den Satz, daß der alte Adel, wenn er in der Klemme ist, am besten thut, ein Putzgeschäft zu etabliren. Dies muß natürlich sämmtliche Nätherinnen von Paris, sämmtliche Rigolettes und ihre Liebhaber bis zu schwindelnder Bewunderung hinreißen. Wir unsererseits können diesem Gefühlsfluge nicht folgen. Aber erst die Geschichte.

Die alte gräfliche Familie Lenève lebt in der Bretagne: die Gräfin-Wittwe, der Graf ihr Sohn, Graf Tristan ihr Enkel, noch eine Enkelin und eine Nichte. Diese letztere ist die glückliche Inhaberin der »Feenhände«, wovon man aber wenig gewahr wird. Es steht schlecht mit den Finanzen des Hauses, Graf Tristan, der durch eine reiche Heirath die Dinge wieder in Balance bringen soll, hat das Unglück, sich in die Nichte (Gräfin Helene), die arm ist, zu verlieben, und so bleibt nichts anderes übrig, als die schöne Helene aus dem Hause zu schicken. Wer Feenhände hat, wird schon durchkommen. Und so geschieht es denn auch. Zwei Jahre sind ins Land gegangen; Gräfin Helene ist vorläufig verschollen; die bretagnische Familie kommt nach Paris, immer noch mit Ordnung ihrer Finanzen beschäftigt. Ja, diese Dinge haben bereits eine äußerste Dringlichkeit angenommen. Da plötzlich, im Vorzimmer der Marquise von Méneville, treffen die gräfliche Familie Lenève und die verschollen geglaubte Helene zusammen. Sie ist reich geworden, man findet sie schöner, mehr Fee denn je; die Annahme scheint gerechtfertigt, daß sie Herzogin von St. Leu geworden sei; alles drängt sich an sie, besonders der in Geldnöthen ringende Graf; da fällt die Maske, – Gräfin Helene, die geträumte Herzogin von St. Leu, ist Putzmacherin, Vorsteherin eines großen Kleider-Kunstinstituts. Die Familie ist entsetzt; die Gräfin-Wittwe wie deren Sohn, der brouillirte Graf, sagen sich von ihr los, kennen sie nicht mehr. Aber – das Verhängniß schreitet schnell. Ueber dem Haupte des Grafen schlagen schlimme Wechsel, Doppelverkauf eines ihm nicht gehörigen Guts und ähnliche trübe Wellen immer bedrohlicher zusammen, da tritt die »Fee« rettend dazwischen, hier nimmt sie 60000 Francs aus dem Schubfach, dort legt sie eine Eisenbahn über die Güter des Grafen, alles staunt, alles schluchzt, »sie ist doch eine Lenève«, und als sie schließlich ihre Hand dem Grafen Tristan reicht, der seinerseits eine Art Putzgeschäft innerhalb der Advokatur zu treiben gedenkt, fällt der Vorhang und alles ist aus.

Vielleicht hatte Scribe selbst eine Vorstellung davon, daß das Ganze eigentlich ein Märchenstoff sei, und gab ihm deshalb den Titel »Feenhände«. Es ist Aschenputel, es ist die Kehrseite vom Kesselflicker, der sich als Prinz träumt. Märchenhaft aufgefaßt, als Königstochter, die die Schafe weidet und dann in ihres Vaters Schloß zurückkehrt, um dem Prinzen Kolibri ihre Hand zu reichen, könnte dies alles entzückend sein, als Zeit- und Lebensbild aber ist es, um das Mindeste zu sagen, nicht hinnehmbar.

Man mißverstehe uns nicht. Wir gehören nicht zu denen, die die Menschheit erst vom Baron an aufwärts zu rechnen beginnen, wir haben mitunter ein leises Vorgefühl davon, als würden wir unsere Tage nicht hier, sondern in Gegenden beschließen, wo es keine Herzöge und keine Grafen giebt, und wir glauben dabei des Einen sicher zu sein, daß die Feudalpyramide mit zu dem Letzten gehören dürfte, was wir da drüben wirklich entbehren würden. Ja, ein weiteres Geständniß mag hier eine Stelle finden: Wir haben auch »diesseits des großen Wassers« nichts dagegen, daß eine Gräfin ihre Feenhände dazu verwendet, den Confections-Geschäften und Modistinnen der Hauptstadt Concurrenz zu machen. Eine liebenswürdige Putzmacherin von altem Adel ist unzweifelhaft mehr werth, als eine pretentiöse Bettelgräfin, – es kommt nur darauf an, ob diese Dinge in einem Einzelfall, als einfache, nichts bedeuten-wollende Thatsache an uns herantreten, oder ob sie mit einem »geht hin und thut desgleichen«, will also sagen als ein neues Zeit-Evangelium, prinzipiell und gesinnungstüchtig, von der Bühne her zu uns sprechen. Hier, in der alten Welt, wie die Dinge nun mal liegen, ist dies alles einfach Umsturz; natürlich (denn dazu ist dies alles viel zu dünn) keine Pulvermine, die den ganzen Bau großartig über den Haufen wirft, sondern ein einzelner Spatenstich unter den hunderten und tausenden, die jeden Tag gemacht werden, die Fundamente zu untergraben.

Und das that ein Scribe! Daß er es that, das ist es ganz speziell, was unserem Unmuth immer neue Nahrung giebt. Die Thorheit, die Unconsequenz, vor allem die Kurzsichtigkeit, sie sind es, die uns verdrießen, – das gänzliche Vergessen des alten: heute Dir und morgen mir.

Die Welt liegt in Wehen; wer will sagen, was geboren wird! Der Sturz des Alten bereitet sich vor. Gut, die Dinge gehen ihren ewigen Gang; thut eure Maulwurfsarbeit, ihr, die ihr unten seid. Millionen leben, die an dem Fortbestand dessen, was da ist, kein besonderes Interesse haben können, die eine Art Recht haben, wie an der Glücksbude, die Chancen eines Wechsels der Dinge zu befragen. Mögen sie thun, was sie nicht lassen können, und mag es über uns hereinbrechen früher oder später. Aber Wahnsinn ist es und Verbrechen, wenn die »begünstigte Minorität«, der Scribe in einem eminenten Sinne angehörte, wenn die, die nur verlieren und nie gewinnen können, wenn diese, sag ich, aus Eitelkeit, aus Popularitätshascherei und Gewinnsucht von heut auf morgen (denn die Gefahr des Uebermorgen beschwören sie selbst herauf) sich selber das Brett unter den Füßen fortziehen. Das zu sehen ist unheimlich, widerwärtig und reizt zum Widerspruch.

Der alte Scribe, er wob diese fünf Akte nicht mit jenen leichten, graziösen »Feenhänden«, die er sonst wohl hatte; ein röthlich schimmerndes, wunderliches Gewebe ist dieses Stück, in das der alte Lustspielmeister noch hier und da gefällige Figuren einzuzeichnen verstand, das aber vor allem auch jenen dämonischen Einschlag hat, aus dem zu gegebener Stunde die Flamme schlägt. Th. F.

Alexandre Dumas (père)
Mademoiselle de Belle-Isle oder Die verhängnisvolle Wette


Aufführung vom 3. 12. 1873; Kritik vom 5. 12. 1873

Mittwoch den 3. Dezember neu einstudirt: Mademoiselle de Belle-Isle, oder: Die verhängnißvolle Wette, Drama in 5 Abtheilungen, nach dem Französischen des A. Dumas von F. v. Holbein.

Die alte Anziehungskraft dieser »verhängnißvollen Wette« – denn um eine solche handelt es sich in diesem vielleicht besten Dumas’schen Stücke – hatte sich neu bewährt und das Haus war in Parquet und Rängen gut besetzt. Ob die Erwartungen in Erfüllung gingen, mit denen das Publikum herbeigekommen war, möchten wir nach den Beifallsbezeugungen, die sich auf temperirter Stufe hielten, bezweifeln. Vor dreißig Jahren zählte Mademoiselle de Belle-Isle zu den Lieblingsstücken und erntete bei jeder Vorstellung...