Merkel am Ende - Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt

von: Ferdinand Knauß

FinanzBuch Verlag, 2018

ISBN: 9783960922698 , 240 Seiten

Format: ePUB

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Merkel am Ende - Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt


 

Kapitel 2

Die Bilanz – Deutschland nach 13 Jahren Merkel


Für junge Menschen in Deutschland hat Angela Merkel einen Status erreicht wie Helmut Kohl für meine Generation in den 1990er-Jahren: An einen anderen Kanzler können sie sich kaum noch erinnern. SPD-Parteivorsitzende kommen und gehen (Andrea Nahles ist die achte seit 2005), ebenso US-Präsidenten (Donald Trump ist der dritte in Merkels Amtszeit) und französische (Emmanuel Macron ist Merkels vierter). Nur Merkel ist all die ereignisreichen Jahre hindurch im Kanzleramt geblieben.

Keine Frage, »Angela Merkel« wird einmal eine Ära in der deutschen Nachkriegsgeschichte bezeichnen. Aber was wird von dieser Ära bleiben? Wie unterscheidet sich das Deutschland zu Anfang ihrer Regierungszeit von dem der Gegenwart? Und für welche einschneidenden Veränderungen sind sie und die mit ihr Regierenden ganz oder teilweise verantwortlich? Wird der Name Merkel in den Büchern künftiger Historiker mit einem bleibenden politischen Projekt oder Ziel verbunden werden – so wie Adenauer mit der Westbindung, Brandt mit der Ostpolitik, Kohl mit der Wiedervereinigung?

Im Rückblick erscheinen sowohl Kohls zweite Kanzlerphase nach der Wiedervereinigung als auch die sieben Jahre der rot-grünen Schröder-Regierung als relativ ereignisarm. Der Politikbetrieb schien in den ersten Jahren nach dem Umzug von Bonn nach Berlin unter dem Schröder’schen Motto »Regieren macht Spaß« vor allem um sich selbst zu kreisen. Die politische Sprengkraft des Euro – beschlossen unter Kohl, eingeführt unter Schröder – war erst allenfalls zu ahnen. Zuwanderung und Integration erschienen noch nicht als alles entscheidende Zukunftsfragen. Francis Fukuyamas Ende der Geschichte schien Realität zu sein (vgl. nächstes Kapitel). Von Schröders Kanzlerschaft bleibt nur eine für seine Nachfolgerin und ganz Deutschland folgenreiche Tat: die Agenda 2010 mit ihrer Reform des Arbeitsmarktes und des Sozialsystems.

In Merkels Regierungszeit erlebt dagegen Deutschland ein Dauergewitter dramatischer Ereignisse und sich verschärfender Entwicklungen. Nach einer kurzen harmonisch-ruhigen Phase – mit dem Höhepunkt des Sommermärchens der Fußballweltmeisterschaft 2006 – begann in der Mitte von Merkels erster Legislaturperiode eine nicht mehr endende Zeit der Krisen. Zunächst ökonomische: die Finanzkrise ab 2007, die dann ab 2009 fließend in die europäische Schuldenkrise überging. Ohne dass diese wirklich gelöst oder erledigt wären, kamen seither mehrere politische Krisen und gewaltsame Konflikte an der europäischen Peripherie hinzu. Und über allen anderen Themen steht spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015, in der Merkel eine fatale Schlüsselrolle spielte, die Masseneinwanderung.

Die Krisen waren in Deutschland aber zunächst – bis 2015 – nicht unmittelbar zu spüren. Deutschland blieb wie im Auge eines Orkans scheinbar weitgehend verschont von schmerzhaften Auswirkungen. So entstand bei einem großen Teil der Deutschen der Eindruck, dass die Kanzlerin das Staatsschiff klug und erfolgreich durch den Sturm steuere. Dieser im Kanzleramt und der CDU geschickt beförderte Ruf als »Krisenmanagerin« (da sind sich Winfried Kretschmann, Horst Seehofer sowie unzählige Journalisten einig) und »Stabilitätsanker« (Julia Klöckner, Horst Seehofer und zahlreiche andere) war in den beiden letzten Bundestagswahlen das wichtigste Kapital für Merkel und die Union.

Merkel selbst hat wiederholt die Parole ausgegeben, Deutschland solle aus der Krise »stärker« hervorgehen. Wir wollen also prüfen, ob das geschehen ist, Bilanz ziehen. Nur auf einigen beispielhaften, aber besonders wichtigen Politikfeldern.1 Und nur so weit, wie Merkel und die mit ihr Regierenden eine Verantwortung tragen. Natürlich: Geschichte wird nicht nur von Kanzlern und Ministern gemacht. Ebenso wenig wie eine Regierung sich alle positiven Entwicklungen eines Landes zugutehalten kann, darf man ihr alle negativen voll anlasten.

Die wirtschaftliche Entwicklung


In Merkels ersten Jahren als Parteivorsitzende und Oppositionsführerin galt Deutschland als volkswirtschaftlicher Sanierungsfall. Der Ökonom Hans-Werner Sinn brachte im Herbst 2002 eine rote Laterne zu einer Pressekonferenz mit, um zu untermalen, dass Deutschland international Schlusslicht im Vergleich der Wachstums- und Beschäftigungsraten sei. Ein Dauer-Lamento bestimmte die wirtschaftspolitische Diskussion schon in der späten Kohl-Zeit und dann mit zunehmender Intensität während der rot-grünen Koalition. Die Fernseh-Talkshow Sabine Christiansen, damals der beste Sendeplatz, hatte Themen wie: »Lässt die Regierung die deutsche Wirtschaft im Stich?«, »Konjunktur-Angst: Aufschwung adé«, »Schwache Wirtschaft, ratlose Politik«, »Deutschland-­AG vor dem Abstieg?«, »Deutschland in Not: Krisen und keine Konzepte«.2

Die als bedrohlich und krisenhaft wahrgenommene Lage war sowohl der Anlass für das Reformpaket Agenda 2010 der damaligen Regierung unter Schröder als auch für das noch weitaus radikalere, neoliberale Programm der damaligen Oppositionspartei CDU vom Leipziger Parteitag 2003.

Heute, 15 Jahre später, ist die rote Laterne bekanntlich längst abgegeben. Nach volkswirtschaftlichen Daten steht Deutschland innerhalb Europas glänzend da. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahm seit Beginn der merkelschen Kanzlerschaft 2005 im Schnitt um mehr als 1,5 Prozent jährlich zu, die registrierte Arbeitslosigkeit hat sich mehr als halbiert, die Zahl der Erwerbstätigen steigt kontinuierlich. Seit Anfang der 2010er-Jahre steigen auch die Reallöhne. Nachdem Deutschland in den ersten Jahren der Währungsunion den Maastricht-Grenzwert für das Haushaltsdefizit von 3 Prozent des BIP mehrfach deutlich überschritten hatte, konnten die öffentlichen Haushalte seit 2014 sogar mehrere Jahre hintereinander kleine oder deutliche Überschüsse vorweisen. Das hatte es seit den 1950er-Jahren nicht gegeben.

In die Wirtschaftsgeschichte gingen die Schröder-Jahre also wie schon die späten Kohl-Jahre als Phase der Stagnation ein, während Merkels Regierungszeit eine Phase des Booms war, der noch anhält – nur unterbrochen durch die weltweite Finanzkrise 2008/09. War und ist Merkels Regentschaft also aus ökonomischer Perspektive eine Erfolgsgeschichte?

Auf den ersten Blick sollte man meinen: Ja. Doch so einfach kann man es sich nicht machen. Denn politische Änderungen an den Strukturen und Rahmenbedingungen wirken sich meist erst mit zeitlicher Verzögerung aus. Außerdem: Welchen Anteil wirtschaftspolitisches Handeln oder auch Unterlassen an makroökonomischen Ergebnissen hat, lässt sich nie ganz zweifelsfrei klären. Gerade als extrem export­abhängiges Land ist Deutschland auch besonders von der Weltkonjunktur abhängig.

Als Merkel als Kanzlerin antrat, war jedenfalls die deutsche Wirtschaft bereits ohne ihr Zutun auf Hochkonjunktur-Kurs, auch wenn das im öffentlichen Bewusstsein noch nicht ganz angekommen war. Die hohen Wachstumsraten der Jahre 2006 (3,7 Prozent) und 2007 (3,3 Prozent) jedenfalls waren sicher eher eine Folge der kräftigen Weltkonjunktur als der Wirtschaftspolitik der damaligen Großen Koalition.

Wenn man wirtschaftspolitische Ursachen des Booms innerhalb Deutschlands sucht, so sind sie gewiss vor allem in der Agenda 2010 der Schröder-Regierung zu finden. Die zwischen 2003 und 2005 umgesetzten sogenannten Hartz-Reformen hatten die Belastungen der staatlichen Sozialsysteme gemindert und den Druck auf Arbeitslose erhöht, eine Stelle anzunehmen. Gleichzeitig wurde Unternehmen durch geringere Abgabenlast und gelockerten Kündigungsschutz die Einstellung von Mitarbeitern erleichtert. Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass diese Reformen die beabsichtigte Wirkung erzielten und dass sie bis heute nachwirken. Nämlich, wie Schröder in seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 verkündete, die »Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung« schaffen. Am Anfang der ökonomischen Erfolgsgeschichte in der Ära Merkel steht demnach die Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung. Merkel selbst hat das auch durchaus anerkannt, zumindest zu Anfang. In ihrer ersten Regierungserklärung am 30. November 2005 sagte sie: »Ich möchte Bundeskanzler Schröder ganz persönlich dafür danken, dass er mit seiner Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, eine Tür zu Reformen, und dass er die Agenda gegen Widerstände durchgesetzt hat.«

Merkel hatte, so kann man im Nachhinein feststellen, das große Glück, sich in eher ruhigen Jahren in ihr hohes Amt einzufinden. Das änderte sich endgültig im Herbst 2008, als die internationale Finanzkrise mit voller Wucht ausbrach. Jetzt stürzte auch die deutsche Wirtschaft jäh ab. Im Jahr 2009 schrumpfte das BIP um mehr als 5 Prozent. Für eine politische Klasse, die Wirtschaftswachstum als Voraussetzung von Stabilität und damit auch als Bedingung ihrer eigenen Fortexistenz begreift, schien das völlig inakzeptabel.

Merkel und ihre Koalition reagierten schnell. Man traf zwei Maßnahmen: einerseits die Ausweitung der Möglichkeiten für Kurzarbeit. Das war vermutlich für die deutsche Industrie eine große Hilfe. Die meisten Unternehmen mussten auf der konjunkturellen Durststrecke keine Beschäftigten entlassen, sie aber auch nicht voll bezahlen. Das bot gute Voraussetzungen, um nach den Krisenjahren wieder sofort wettbewerbsfähig mit hoher Auslastung produzieren zu...