Ronny - I'm a winner

von: Hans van der Geest

Himmelstürmer Verlag, 2018

ISBN: 9783863616823 , 210 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Ronny - I'm a winner


 

„Hast du meinen Vater je gesehen?“

„Ach, Junge!“, sagt die Frau. Sie rutscht ein wenig in ihrem Bett hinauf und zieht das Leintuch nach. „Ich rede nicht gern darüber.“

Ronny schiebt seinen Stuhl ein wenig näher an das Bett seiner kranken Großmutter heran. „Wieso nicht?“

„Ach, es könnte dir wehtun. Es ist alles so lange her.“

„Komm, Omi! Wir reden doch über alles!“

„Nun, gut! Ich habe ihn einmal gesehen, zufällig. Ich hatte Kekse gebacken, wie immer zur Adventszeit. Dann bin ich nach Basel zu Petra, deiner Mutter gefahren, um ihr davon zu bringen.“

„Und da hast du meinen Vater gesehen!“

„Ja. Ich wollte mich gerade verabschieden, da kam er. Das ist das einzige Mal, dass ich ihn gesehen habe.“

„Wie hat er ausgesehen?“

„Ein ziemlich großer Mann. Du wirst sicher auch noch wachsen!“

„Bis jetzt gehöre ich immer zu den Kleineren!“

„Das ändert sich, wart nur ab!“

„Hat er mit dir geredet?“

„Nein, er hat nur Guten Tag gesagt. Er sprach nicht gut Deutsch, man hörte den Akzent.“

„Und sonst?“

„Sonst? Ich weiß es nicht mehr. Blonde Haare, nicht so dunkel wie du, und – nein, ich weiß nicht mehr, ob er blaue Augen hatte. Du hast deine dunklen Augen von Petra und vom Großpapa.“

„Sah er hübsch aus?“

„Ja, ein hübscher Mann! Er war noch jung, zwanzig ungefähr, und eher schüchtern, glaube ich.“

„Nicht so wie ich?“

„Nein!“, lacht sie. „So ein Wasserfall wie du war er nicht, aber vielleicht nur, weil er nicht gut Deutsch konnte.“

„Gibt es ein Foto von ihm?“

„Nein. Petra hat auch kein Foto. Das weiß ich aus der Zeit, da wir nach ihm gesucht haben. Sie war nicht eng mit ihm befreundet.“

„Wieso habt ihr ihn gesucht?“

„Weil Petra schwanger war! Das war so: An einem Nachmittag war er in der Beiz gewesen, wo Petra arbeitete. Dann wollte er später noch mit ihr nach Hause gehen. Und da Petra die Pille nahm, hat sie gedacht: Was soll‘s? Wenn ich dem Jungen ein bisschen Freude bereiten kann, wieso nicht?“

„Dann hat sie doch gar nicht schwanger werden können?“

„Eigentlich nicht, nein. Aber Petra guckt gern zu tief ins Glas, kotzt nachher manchmal – so erklären wir uns, dass sie trotz Pille schwanger wurde.“

„Ging sie noch mit anderen?“

„Nun, ganz sicher weiß ich das natürlich nicht. Mir hat sie geschworen, dass sie in jener Zeit mit keinem anderen Umgang hatte. Bloß dieser Tscheche, der sei zwei- oder dreimal bei ihr gewesen.“

„Also waren sie doch ein bisschen befreundet.“

„Ja, Petra mochte ihn. Aber für ihn war die Bekanntschaft unverbindlich. Er hat ihr nie seinen Familiennamen verraten und keine Adresse hinterlassen. Nur seinen Rufnamen kannte Petra: Zdenek. Er hat ihr nie geschrieben. Im neuen Jahr ist er mit dem Schiff, wo er arbeitete, verschwunden und nachher nie mehr bei ihr aufgetaucht.“

„Sie wollte mich abtreiben?“

„Eben. Sobald sie wusste, was los war, hat sie sich gegen die Schwangerschaft gewehrt. Nur weil Ron und ich uns für das Baby eingesetzt haben, hat sie auf die Abtreibung verzichtet, mit der Bedingung, dass sie es zur Adoption freigeben könne.“

„Wow!“

„Ja, mein lieber Schatz. Das muss dir wehtun, es tut mir leid! Aber du willst ja alles wissen.“

Die Frau streckt ihre Hand nach ihrem Enkel aus und streichelt ihn. „Dein Großvater und ich sind so froh gewesen, als du zu uns gekommen bist! Wir hätten schon so lange gern einen Sohn gehabt, und dann kam in unseren älteren Tagen ein so lieber Junge zu uns! Du hast uns unsagbar glücklich gemacht!“

„War es Petras Idee, dass ihr mich nehmt?“

„Nein! Wenn es nach ihr gegangen wäre, wärst du als Adoptivkind zu fremden Leuten gekommen. Aber sie fürchtete die amtlichen Ausfragereien. Als wir ihr sagten, wir könnten dich doch zu uns nehmen, ohne offizielle Erklärungen und Komplikationen, war sie sofort einverstanden. So haben wir die ganze Sache an den Behörden vorbeigeschmuggelt.“

Ronny lächelt sie an.

Die Frau richtet sich auf und steigt aus dem Bett. „So! Ich bin lang genug gelegen. Ich habe wieder Kraft.“

Seit ihrem Schlaganfall vor zwei Jahren legt sie sich zwei- oder dreimal am Tag für längere Zeit hin. Zuweilen schläft sie ein, meistens blickt sie still vor sich hin. Gegen Abend setzt sich Ronny oft zu ihr und erzählt ihr, was ihm in den Sinn kommt. Regelmäßig fragt er sie über die Vergangenheit aus. So direkt wie heute hat er sich noch nie nach seinem Vater erkundigt.

Ronny ist ihr Ein und Alles. Seit dem Tod ihres Mannes vor sieben Jahren wohnen bloß noch sie zwei zusammen. Ronny hat im Haushalt dauernd mehr Aufgaben übernommen, besonders, seit sie gebrechlich geworden ist. Mit seinen vierzehn Jahren tritt er wie ein selbständiger Mann auf. Er kennt sich im Einkaufen, Putzen und Rechnungen bezahlen bestens aus. In der Oberstufe macht er eine gute Figur, die Lehrerschaft ist zufrieden mit ihm. Für Hausaufgaben braucht er selten viel Zeit.

„Das Abendessen steht bereit, Omi!“, ruft er aus der Küche.

Die Frau bewegt sich an den Tisch. Ronny hat das übliche Essen hingestellt und Tee gemacht.

„Ich kann dir noch etwas über deinen Vater verraten. Das weiß ich von Petra. Er habe in seiner Heimat das Abitur gemacht und wollte studieren. Ihm habe das Geld aber gefehlt, deshalb sei er nach Deutschland gezogen, um dort das Geld für sein Studium zu verdienen. In der Tschechei selbst sei das damals unmöglich gewesen.“

„Es heißt Tschechien.“

„So!“

„Was wollte er denn studieren? Doktor, Ingenieur?“

„Nein, Jura. Er wollte Jurist werden.“

„Der weiß gar nicht, dass es mich gibt.“

„Eben! Er ist davon ausgegangen, dass Petra das verhütet hat.“

„Haben die denn kein Kondom benutzt?“

„Das weiß ich nicht genau. Petra hat mir nur gesagt, dass sie die Pille nahm. Und weißt du, lieber Ronny, sie war und ist ziemlich kopflos, vor allem wenn sie zu viel getrunken hat.“

„Findest du mich gescheit, Omi?“

„Hahaha! Ja, klar! So gute Noten wie du nach Hause bringst!“

„Bei der Gymprüfung bin ich aber durchgefallen!“

„Du wolltest gar nicht aufs Gym! Herr Boner hat dich dazu überredet.“

„Stimmt.“

„Du meinst wohl, du hättest deinen guten Verstand vom Vater? Gut möglich. Dein Bruder kann dir das Wasser nicht reichen.“

 

Ronnys Großmutter hieß Leni. Vor mehr als vierzig Jahren hatte sie geheiratet, als sie zweiundzwanzig Jahre alt war. Ronald Niederberger war zwei Jahre älter gewesen. Es wurden ihnen zwei Töchter geboren, Nora und Petra. Petras Geburt war eine heikle Zangengeburt gewesen. Nachher konnte Leni keine Kinder mehr bekommen.

So dankbar wie die Eheleute für ihre Töchter waren, so traurig waren sie, dass ihnen kein Sohn beschert worden war.

Ronald hatte bei einer Transportfirma gearbeitet, zum Teil als Möbelträger, zum Teil als Buchhalter. Er hatte genügend gelernt, um die Administration der kleinen Firma zu erledigen. Regelmäßig hatte er Kurse absolviert, damit er die neusten Vorschriften für Steuern und Sozialabzüge kennenlernte. Für die Buchhaltung hatte er stets mehr Zeit einsetzen müssen, was für ihn beim Älterwerden nicht schlecht gewesen war: Umso weniger musste er sich mit Möbeln abrackern.

Leni hatte sich der Betreuung ihrer Kinder widmen können. Ronald war stolz darauf gewesen, dass sie nicht arbeiten musste. Sie hatten eine einfache Dreizimmerwohnung bezogen, im ersten Stock eines Hauses an der Florastraße in Olten, und sparsam gelebt.

Gekannt hatten sie sich lange vor der Heirat. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen. Erst als beide an einem Basar der christkatholischen Kirchgemeinde, zu der sie gehörten, mitgearbeitet hatten, waren sie näher miteinander in Kontakt gekommen. Ihre Hochzeit mit einer Feier in der prächtigen Stadtkirche war zum strahlenden Fest geworden.

Während Nora problemlos aufgewachsen und ein liebenswürdiges Mädchen geworden war, hatte Petra ihnen von Anfang an Sorgen bereitet. Sie war oft krank, weinte häufig, vertrug viele Speisen nicht und war auf Milchprodukte allergisch. Die Eltern wussten oft weder ein noch aus.

Im Kindergarten und in der Schule verursachte Petra dauernd Probleme. Sie wurde frech und machte aus jeder Kleinigkeit ein Riesentheater. Mit Mühe und Not schleppte man sie durch die Schuljahre hindurch. Einmal musste sie eine Klasse repetieren.

Nach der Primarschule kam sie in eine Klasse für solche, die für die normale Oberstufe zu schwach sind. Mit dreizehn fing sie an zu rauchen, und oft kam sie am Freitag- oder Samstagabend nicht nach Hause. Weder Aussprachen noch Drohungen halfen, sie...