Das Tantenerbe

von: Trix Niederhauser

Ulrike Helmer Verlag, 2018

ISBN: 9783897419568 , 278 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Das Tantenerbe


 

2. Kapitel


Am Samstag erledigte Simone meist liegengebliebene Arbeiten in ihrem Büro, während ich zu Hause über meinen Texten brütete. So auch diesmal. Kurz nach 16 Uhr holte ich sie ab.

Ich stand neben der Eingangstür und wartete auf sie. In der Hand hielt ich eine schöne rote Rose.

»Für mich?«, fragte sie freudig. Ohne ein Wort überreichte ich ihr die prächtige Blume. Genießerisch roch sie daran. »Danke, Schatz«, sagte sie mit ihrem gewinnenden Lächeln und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.

Dieses »Schatz« fräste sich durch mein Gehirn, es tat mir fast weh. »Nenn mich bitte nicht Schatz! Du weißt, dass ich das nicht mag.« Verständnislos zuckte sie mit den Schultern.

Als ich ihr morgens am Telefon aufgeregt geschildert hatte, wer meine Tante war, war sie erstaunlich ruhig geblieben. »Jane Blackriver? Ja, kenne ich, halte ich aber für überbewertet«, war alles, was sie dazu sagte.

Wir stiegen in meinen Wagen. »Iiih, hast du darin gegessen?« Angeekelt wischte Simone über den Sitz, wo vier Krümel lagen, und nahm seufzend Platz. Sie fuhr nicht gern mit mir. Die Kurven nahm ich ihrer Meinung nach zu zackig, generell raste ich, bei jeder Ampel trat sie mit auf die Bremse, das Auto war zu klein und und und … In ihrem teuren Wagen wäre mehr Platz gewesen, aber für die Fahrt aufs Land wollte sie das Fahrzeug nicht beschmutzen. Während sie stur geradeaus starrte, fuhren die Gefühle Schlitten mit mir.

Simone und ich – eigentlich passten wir nicht zusammen. Durch Zufall hatten wir uns vor drei Jahren in der Frauenbuchhandlung kennengelernt. Ich trug einen Stapel Bücher Richtung Kasse, als ich an einer Tischkante hängen blieb und mir einige Titel entglitten. Gleichzeitig rempelte ich eine Frau an, die einen ähnlich hohen Turm in ihren Händen balancierte. Es gab einen heftigen Knall, als die vielen Bücher zu Boden fielen. Erschrocken starrten wir uns an. Ihre großen dunklen Augen nahmen mich sofort ein.

»Es tut mir leid«, stotterte ich und ging in die Knie, um die Werke aufzuheben. Die Frau blieb reglos neben mir stehen.

»Wir scheinen ähnliche Vorlieben zu haben.« Erstaunt sah ich, dass wir teilweise die gleichen Romane ausgesucht hatten. Inzwischen ging auch die andere neben mir in die Hocke und half beim Aufteilen. Liebevoll errichteten wir zwei Stapel.

Anschließend lud ich sie ins Café ein und während wir uns über Literatur unterhielten, begann ich mich in die Frau, die sich als Simone vorstellte, zu verlieben. In ihren braunen Haaren, die sie halblang trug, entdeckte ich einen leichten Rotstich. Sie gefiel mir.

Sie mochte an mir meine Leichtigkeit und meinen Lebensstil, der in ihren Augen etwas Abenteuerliches, Künstlerisches besaß. Die Bezeichnung Autorin wirkte anziehend und verrucht. Ich trank zwar keine Unmengen Alkohol, meine Wohnung war nicht verqualmt von unzähligen Zigaretten und ich hatte auch keinen Dreitagebart, aber wenn sie mich mitten im Schreiben unterbrach, reagierte ich verwirrt und durcheinander, bis ich wieder in der normalen Welt auftauchte. Sie fand das charmant. Ich verkörperte das Bild der versponnenen Schriftstellerin, die ich nicht war, was Simone aber nicht daran hinderte, diese Illusion aufrechtzuerhalten. Außerdem lebte ich von der Hand in den Mund. Das mag aufregend klingen, kann aber anstrengend sein.

Am Anfang war unsere Beziehung fantastisch. Alles war neu und prickelnd, der Alltag weit weg.

Simone steckte in einer Weiterbildung und verfügte über wenig Zeit. Wir sahen uns mehr oder weniger nur am Wochenende. Für sie zählte der Beruf, sie war im Begriff, aufzusteigen und Karriere zu machen. Freizeit kannte sie kaum und wenn sie einmal welche hatte, wusste sie nichts damit anzufangen.

Meine Arbeit für das Heavy Metal-Magazin stieß sie ab. Sie hasste die harte Musik, die ich leidenschaftlich gern hörte. Oft fuhr ich zu Konzerten, um darüber zu berichten. Sie begleitete mich nie, fühlte sich unter den Kerlen in ihren Lederjacken nicht wohl. Natürlich herrschte dort ein ruppiger Umgangston, aber die Liebe zur Musik verband mich mit ihnen und ich traf immer wieder auf die gleichen Männer, die akzeptiert hatten, dass ich nichts von ihnen wollte, außer zusammen der Musik lauschen und ein Bierchen trinken.

Ich erwartete von Simone gar nicht, dass sie meine Musik mochte. Wenn sie kam, drehte ich das Radio an, während bei ihr zu Hause Modern Jazz aus den Boxen jaulte.

Sie legte viel Wert auf Äußerlichkeiten, trug meist teure Kleidung aus kleinen Boutiquen, obwohl sie sich darin nicht immer wohlfühlte. »Ich muss repräsentieren«, betonte sie, auch wenn es nichts zu repräsentieren gab. Meine Jeans und die T-Shirts waren ihr ein Dorn im Auge. Oft sah sie mich von oben bis unten an und schüttelte leicht den Kopf, vor allem, wenn ich meine Lederjacke trug. »Du siehst so jugendlich aus in deinen Klamotten. Für dich ist das Leben nur ein Spaß.«

Mit dem letzten Satz hatte sie nicht Unrecht, für mich war das Leben in der Tat ein Spaß, den ich mir nicht verderben lassen wollte, auch von ihr nicht.

Und trotzdem ließ ich es zu.

Simone wurde häufig zu Vernissagen eingeladen. Beruflich kümmerte sie sich um die Versicherungen von Galerien, steckte aber auch selber viel Geld in Kunst. Ihre Eltern hatten ihr ein beträchtliches Vermögen hinterlassen, welches sie in Gemälde investierte, die sie weiterverkaufte. Sie verstand viel von diesem Geschäft und machte damit ordentlich Gewinn.

Beinahe jedes Wochenende sahen wir uns Bilder an, in jede noch so kleine Galerie wurde ich geschleppt. Am Anfang fand ich es interessant, mich auf eine andere Welt einzulassen, nur verlief die Expedition sehr einseitig. Mein eigenes Umfeld wollte Simone nicht näher kennenlernen. Auch Alex passte ihr nicht. Sie merkte rasch, dass mir meine beste Freundin wichtig war und ich viel wert auf deren Meinung legte. Prompt führte Simone sich wie eine Konkurrentin auf und reagierte eifersüchtig auf Alex. Ich vermied Begegnungen zwischen den beiden und saß zwischen den Stühlen, eine Rolle, die mir gar nicht gefiel. Ich wollte mich nicht für eine von ihnen entscheiden müssen.

Im Lauf der Zeit und mit dem Anstieg von Simones Karriere kamen neue Bekannte hinzu. Es folgten Einladungen zu stilvollen Essen. Am Anfang begleitete ich Simone, saß mit Menschen am Tisch, für die gänzlich andere Dinge wichtig waren als für mich und mit denen ich nicht ins Gespräch kam. Ich fühlte mich fremd, auch in den Klamotten, die ich trug. Simone konnte mich nicht verstehen, sie mochte Einladungen dieser Art, wo jeder sich präsentierte und die teuersten Weine aufgetischt wurden.

Mit der Zeit blieb ich zu Hause und schob die Arbeit vor. Mit ihr darüber diskutieren wollte ich nicht, es führte nirgends hin.

Und jetzt überlegte ich mir tatsächlich, ob ich mit ihr in mein Haus ziehen sollte! Das konnte nicht gut gehen, wie Alex richtig bemerkte. Vielleicht suchte ich nach einem Strohhalm, um unsere Beziehung zu retten. Trotz all der Schwierigkeiten hielt ich an Simone fest. Ich wollte den Menschen nicht loslassen, den ich geliebt hatte und der mir langsam entglitt. Die einst zärtliche, liebevolle Frau verwandelte sich in eine Businesswoman, der ich nicht entsprechen konnte und wollte. Ihre Versuche, mich zu ändern und mir ein neues Image aufzudrücken, passten mir nicht. Ich ließ viel zu, zuviel vielleicht. Wenn ich die Notbremse nicht zog, würde ich mich verlieren.

Je näher wir dem Haus kamen, desto nervöser wurde ich. Mein Herz raste, als ich am Straßenrand hielt. Simone verzog keine Miene. Einen Moment blieb sie vor dem vergitterten Tor stehen, sah durch die Stäbe, dann drehte sie sich um und ließ ihren Blick über das Land schweifen. Beim Bauernhof blieb ihr Kopf stehen. Ich näherte mich von hinten, um sie in die Arme zu nehmen.

»Oh nein, Kühe und Schafe! Vor lauter Glockengebimmel wirst du hier nicht schlafen können. Und bestimmt riechen die eklig!« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber das musst du wissen.«

Ich ließ meine Arme sinken. Einmal mehr hatte ich einen unsichtbaren Schlag ins Gesicht erhalten. Am liebsten wäre ich ins Auto gestiegen und weit weggefahren – ohne Simone. Aber die war bereits die Treppen hinaufgeeilt, stand nun bereits vor der Haustür und tippte mit der Fußspitze ungeduldig auf den Boden. Ich nahm mich zusammen, zog den Schlüssel aus der Tasche und öffnete die schwere Tür. Kaum stand ich im Haus, überkam mich ein wohliges, warmes Gefühl der Geborgenheit.

Neugierig blickte sich Simone um. Ich öffnete die erste Tür links, packte ihren Arm und zog sie ins große Badezimmer.

»Oje, keine Dusche«, rümpfte sie die Nase und ließ ihren Blick über die altmodischen Kacheln gleiten.

Moderne Architektur sah...