Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen - Leitlinien der Ergotherapie, Band 8

von: Katharine Preissner, AOTA

Hogrefe AG, 2018

ISBN: 9783456957791 , 192 Seiten

Format: PDF, Online Lesen

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 35,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen - Leitlinien der Ergotherapie, Band 8


 

3 Der ergotherapeutische Prozess bei Klienten mit NDK (S. 23-24)

Dieses Kapitel beschreibt den Prozess der Dienstleistungen der Ergotherapie für Klienten mit NDK; speziell die Überweisung, Evaluation und Interventionen. Es beginnt mit einer kurzen Beschreibung der üblichen Settings, in denen Ergotherapeuten mit Klienten mit NDK arbeiten. Im Kapitel Interventionen sind Zusammenfassungen der Resultate systematischer Literaturübersichtsarbeiten wissenschaftlicher Artikel bezogen auf die Best Practice in der Ergotherapie bei Klienten mit NDK aufgenommen. Anschließend folgt eine Erläuterung zur Ergebnisüberwachung und zum Abschluss der Ergotherapie.

3.1 Settings

Ergotherapeuten arbeiten mit Klienten mit NDK und ihren Angehörigen in einer Vielzahl von Settings. Praxissettings sind die Kontexte des ergotherapeutischen Prozesses (Pendleton & Schultz-Krohn, 2013). Der Fokus der Ergotherapie ist in allen Settings der gleiche: Menschen ermöglichen, sich an Alltagsaktivitäten oder Betätigungen zu beteiligen, um Gesundheit, Wohlbefinden und Partizipation zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz und im gesellschaftlichen Leben zu erreichen (AOTA, 2014). Ergotherapeuten arbeiten mit Klienten mit NDK in medizinischen und in gemeindenahen Settings.

Medizinische Settings beinhalten Krankenhäuser, stationäre Rehabilitation, Frührehabilitation, ambulante Rehabilitation und Pflegeeinrichtungen. Zum Beispiel könnte ein Klient mit ALS mit einer Lungenentzündung oder verschlechterter Mobilität in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Dort könnte eine Ergotherapeutin beauftragt werden, die Klienten zu evaluieren und Interventionen anzubieten, mit dem Fokus auf Klienten- und Angehörigenedukation, zur angepassten Ausführung von Alltagsaktivitäten (ADL) wie baden, Toilettengang oder ankleiden. Ein hospitalisierter Klient beim Ausbruch einer TM könnte in eine stationäre Rehabilitation verlegt werden, um das vorherige Funktionsniveau erreichen zu können oder um die Funktionsfähigkeit mit den neuen Beeinträchtigungen zu maximieren.

Klienten mit NDK werden auch von Ergotherapeuten in gemeindenahen Settings aufgesucht. Dies betrifft beispielsweise Klienten mit NDK nach einem Klinikaufenthalt, welche zu Hause ergotherpeutisch therapiert werden, beispielsweise bei IPS zur Edukation kompensatorischer Techniken und Hilfsmittel, um die Effekte der Bradykinese während der Selbstversorgungs- und Haushaltsaktivitäten zu reduzieren, und für Empfehlungen in der häuslichen Umwelt, um die Sicherheit und Performanz zu erhöhen. In anderen Situationen könnte eine Ergotherapeutin mit einem Klienten mit NDK an seinem Arbeitsplatz arbeiten wie bei Klienten mit Fatigue, Gleichgewichts- und Mobilitätsproblemen und kognitiven Veränderungen aufgrund einer MS-Erkrankung. Verschiedene Interventionen könnten angeboten werden, um es dem Klienten zu ermöglichen, weiterhin zu arbeiten. Diese Interventionen könnten Empfehlungen zu Anpassungen der physischen Umwelt beinhalten (zum Beispiel Organisation von Schränken und Regalen, um die körperliche Belastung zu reduzieren und um die am häufigsten benutzten Gegenstände einfach erreichen zu können), zum Einsatz von Hilfsmitteln (zum Beispiel eine Sackkarre, um Gegenstände zu transportieren) oder zum Einsatz von Technologien (zum Beispiel Telefonapplikationen oder Apps zur Erinnerung an Verabredungen und Aufgaben).

Schließlich erhalten manche Klienten mit NDK und ihre Angehörigen Ergotherapie durch gemeindenahe Dienstleister. Zum Beispiel könnte ein Klient mit MS eine Schulung über Fatigue-Management besuchen, die durch eine Ergotherapeutin angeboten wird, die bei einem Dienstleister angestellt ist. Und die Partnerin oder der Partner könnte an einer Schulung für betreuende Angehörige von kranken Menschen teilnehmen.

3.2 Aktivitätsanforderungen

Entscheidend dafür, ob ein Klient eine Aktivität ausführen kann, sind nicht nur die Performanzfertigkeiten, Performanzmuster und Klientenfaktoren eines Menschen, sondern auch die Anforderungen, die eine Aktivität an einen Klienten stellt. Die Aktivitätsanforderungen sind Aspekte einer Aktivität sowie die zur Ausführung dieser Aktivität benötigten Werkzeuge, der Raum und die sozialen Anforderungen, die die Aktivität erfordert, und die notwendigen Aktionen und Performanzfertigkeiten, um sich an dieser Aktivität zu beteiligen. Während des Evaluierungsprozesses identifiziert die Ergotherapeutin, ob die Partizipation eines Klienten aufgrund von Performanzfertigkeiten, Performanzmustern, Klientenfaktoren, Aktivitätsanforderungen oder von einer Kombination dieser Faktoren eingeschränkt ist. Falls die Aktivitätsanforderungen die volle Partizipation beeinträchtigen, werden Ergotherapeuten eine Aktivitätsanalyse zur Identifikation der Aktivitätsanforderungen an die Klienten durchführen, um festzulegen, was notwendig ist, um die Beteiligung an der gewünschten Aktivität zu ermöglichen (AOTA, 2014).

Manchmal werden die Aktivitätsanforderungen die individuelle Fähigkeit übersteigen, sich vollständig oder teilweise an der gewünschten Betätigung zu beteiligen. Außerdem wird sich die Fähigkeit eines Klienten mit NDK, die Anforderungen einer gewünschten Aktivität zu erfüllen, im Laufe der Zeit verändern, aufgrund des fortschreitenden Charakters der Krankheit. Mit einer Aktivitätsanalyse kann die Ergotherapeutin möglicherweise Aspekte der Aufgabe identifizieren, die angepasst werden können (z. B. Veränderungen an den Werkzeugen, am Raum und an den sozialen Anforderungen, die die Aktivität erfordert, oder an den notwendigen Aktionen und Performanzfertigkeiten, um sich an dieser Aktivität beteiligen zu können). Während des Prozesses der Intervention kann sie die Aktivität anpassen, damit die Fähigkeiten des Klienten mit den Aktivitätsanforderungen besser übereinstimmen.

3.3 Screening

Screening in der Ergotherapie verweist auf den Prozess, in dem relevante Informationen gefiltert werden, um festzulegen, ob ein potenzieller Klient eine ergotherapeutische Evaluierung benötigt oder, falls dies nicht der Fall ist, ihn an andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen weiterzuverweisen (AOTA, 2013a). Screenings sind normalerweise knappe Durchsichten und können sich auf die Sichtung der Klientenakten beschränken: Ein Beispiel: Eine Ergotherapeutin im Akutbereich ist verantwortlich für die Analyse der medizinischen Akten aller Klienten auf der neurologischen Abteilung. Sie könnte beispielsweise die Akte eines Klienten mit IPS screenen, der wegen Stürzen und verminderten Funktionsfähigkeiten im häuslichen Bereich in die Klinik aufgenommen wurde, und eine ergotherapeutische Evaluierung empfehlen. In einem anderen Setting könnte das Screening einen direkten Klientenkontakt beinhalten: Eine MS-Ambulanz bei einem Neurologen könnte auch eine Ergotherapeutin im Team haben. Diese kann alle Klienten der Klinik screenen, beispielsweise durch ein Gespräch über ihre täglichen Betätigungen zu Hause und einige kurze Assessments (zum Beispiel zu Koordination, Kognition, Gleichgewicht).

3.4 Überweisung

Eine Überweisung eines Klienten mit NDK an die Ergotherapie ist dann notwendig, wenn ein Klient Beeinträchtigungen erfährt in der Beteiligung an Betätigungen wie Performanzeinschränkungen in den ADL oder instrumentellen ADL (IADL), bei Freizeitaktivitäten, Arbeit oder Bildungsaktivitäten, in der sozialen Partizipation oder bei Pausen und Schlaf. Eine Überweisung zur Ergotherapie kann durch einen Arzt oder andere Gesundheitsberufe, durch Angehörige oder den Klienten selbst initiiert werden. Ergotherapeuten müssen die staatlichen Gesetze und Verordnungen zum Zugang zu Ergotherapie kennen sowie die Praktiken der Kostenträger wie der Versicherungsgesellschaften (AOTA, 2010a).