Fluss mit zwei Brücken

von: Carolin Schairer

Ulrike Helmer Verlag, 2018

ISBN: 9783897419636 , 336 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Fluss mit zwei Brücken


 

Offene Fragen


»Wolltest du heute nicht eigentlich ins Theater?«

Vom Beifahrersitz aus warf Romy der Frau, die sie vom Flughafen abgeholt hatte, einen fragenden Blick zu. Im selben Augenblick sprang die Ampel von rot auf grün. Die Strecke, die tagsüber aufgrund der Verkehrsdichte beinahe einer Weltreise glich, war um diese Zeit – die Uhr am Autodisplay zeigte 21:35 – relativ schnell zurückzulegen.

»Ich habe die Karten zwei meiner Mädchen gegeben«, erwiderte Yvette. »Kleine Freuden erhalten die Arbeitsmotivation. Außerdem hat mich diese flache Komödie, die da zurzeit auf die Bühne gebracht wird, ohnehin nicht interessiert.«

Romy schmunzelte.

»Das hast du bei der letzten Aufführung auch schon gesagt. Vielleicht solltest du die Sache mit dem Abo überdenken.«

»Du weißt, dieses Abo ist eine Art Politikum: Ich unterstütze so das Landestheater und die Kammerspiele, dafür liegen meine Hotelprospekte dort aus und ich bekomme gute Werbekonditionen im Programmheft. Eine Hand wäscht die andere. Und, wie schon gesagt, mit den Karten kann ich ab und zu die großzügige Chefin spielen.«

»Wenn ich mir nur vorstelle, dass ich Clara mit Theaterkarten belohne …«

Yvette machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Das kannst du ja wohl nicht vergleichen. Clara ist in unserem Alter und eine promovierte Kunsthistorikerin. – Außerdem, wenn man einmal damit anfängt, finanzielle Prämien auszuzahlen, geben sie sich mit nichts anderem mehr zufrieden. Ich hatte dich damals gewarnt.«

»Jaja, hast du. Aber glaube mir, Clara hat jeden zusätzlichen Cent verdient, so oft, wie sie derzeit die Galerie alleine schupft«, versicherte Romy. »Weißt du, dass ich seit Beginn dieses Jahres kaum mehr als drei Wochen am Stück im Geschäft stand? – Erst die Grippe, danach die Bronchitis, dann der Tod meines Vaters. Von den Geschäftsreisen ganz zu schweigen.«

»Das Jahr hat wirklich heftig für dich begonnen«, stimmte Yvette zu. »Es kann nur besser werden. Wenigstens entfallen die ständigen Besuche im Pflegeheim, jetzt, da dein Vater endlich erlöst wurde.«

»Ja.« Romy stieß einen resignierten Seufzer aus. »Zumindest das. Seit dem letzten Schlaganfall vor Weihnachten war er kaum mehr ansprechbar. Im Pflegeheim kursieren außerdem laufend irgendwelche Krankheiten, und kränkelnde Menschen tun meinem schwachen Immunsystem definitiv nicht gut, so grausam das auch klingen mag.«

»In deinem Fall ist das einfach eine Tatsache. Als Transplantationspatientin bist du eben anfälliger.« Yvette fuhr rechts heran und stellte den Motor ab. »So, wir sind da. – Soll ich noch mit hochkommen, oder bist du müde von der Reise?«

»Beides.« Romy holte ihren Trolley aus dem Kofferraum des Wagens. »Natürlich kommst du mit hoch.«

Sie sperrte das schmiedeeiserne Tor auf und durchquerte schnellen Schrittes die Hofeinfahrt. Mit geübten Fingern tippte sie den Code ein, der den Eingang zum Haus vor unliebsamen Besuchern schützte, und schob den magnetgesicherten Schlüssel ins Schloss. Bevor sie ihn drehte, gab sie einen zweiten Code ein, der die Alarmanlage deaktivierte. Erst dann sprang die Tür auf.

Gefolgt von Yvette, betrat sie das Gebäude. Noch ehe sie ihren leichten Mantel auszog und in den Garderobenschrank hängte, verriegelte sie die Haustüre von innen, sicherte den Eingang zusätzlich mit der Türkette und stellte die Alarmanlage wieder an. Im Wohnsalon zog sie erst die schweren, bodenlangen Vorhänge zu, ehe sie das Licht einschaltete.

»Magst du ein Glas Wein?«

Yvette hatte sich bereits auf dem ausladenden weißen Ledersofa niedergelassen.

»Danke, nein. Ich nehme dasselbe wie du.«

»Also Wasser.« Mit einem amüsierten Grinsen ging Romy in die Küche. Auf dem Tisch entdeckte sie einen Zettel. Kürbisrisotto wartet im Kühlschrank. Nun, es würde dort wohl bis morgen warten müssen. Sie war von dem mittäglichen Geschäftsessen in Frankfurt noch hinreichend satt. Dennoch war es eine liebe Geste ihrer Haushälterin, sie auf diese Weise willkommen zu heißen.

Als sie mit den Gläsern zurück ins Wohnzimmer kam, blätterte Yvette gerade in einem der Kunstmagazine, deren neueste Ausgaben im Zwischenfach des Wohnzimmertischs bereitlagen.

»Die Surrealisten sind anscheinend wieder im Kommen.«

»Ja, im Moment werden wieder sehr hohe Preise dafür erzielt.« Romy nahm neben ihrer Freundin Platz. »Nicht, dass sie jemals ein Schnäppchen waren, aber durch die zunehmende Nachfrage der Russen sind die Preise noch ein ganzes Stück gestiegen. Mir wurde unlängst ein Hallenburg angeboten. Ich habe etwas zu lange gezögert. Eine Pariser Galerie hat ihn mir quasi vor der Nase weggeschnappt.«

»Oskar Hallenburg? War der nicht eher Dadaist?«

»Beides. Surrealist und Dadaist. Aber seine surrealistischen Werke sind bekannter.«

Romy nahm einen Schluck Wasser, dann lehnte sie sich zurück. Einen Moment lang schloss sie die Augen. In der vergangenen Nacht hatte sie wieder einmal schlecht geschlafen – eine Nebenwirkung der Immunsuppressiva, die sie sich täglich verabreichen musste, damit ihr Körper das Spenderorgan nicht abstieß.

»Liebes, ich kann auch gehen.« Sie fühlte Yvettes Hand auf ihrem Arm. »Du bist müde. Du solltest wirklich ins Bett.«

»Tut mir leid. Ich bin tatsächlich ziemlich kaputt.« Romy hatte ihre Augen wieder geöffnet. »Und eigentlich habe ich gar keine Zeit, mich auszuruhen. Ich bin noch immer nicht dazu gekommen, sämtliche Unterlagen meines Vaters zu sichten und zu ordnen.«

»Was gibt es da noch zu ordnen? – Alles, was mit der Galerie am Graben zu tun hat, hast du doch schon vor Jahren aufgearbeitet.«

»Schön wär’s. Es ist noch einiges durchzusehen. Außerdem gibt es da noch so viele private Unterlagen … irgendwelche Versicherungen, die er abgeschlossen hat, Verkaufsverträge für seine ehemaligen Immobilien … Vermutlich ist nichts wirklich Wichtiges dabei, aber ich muss die Schriftstücke auf jeden Fall sichten. Ich hoffe, ich komme am Wochenende dazu.«

»Eigentlich dachte ich, du begleitest mich morgen in die Matinee zum Gössl. Die neue Kollektion wird vorgestellt, dazu gibt es Brunch und Klaviermusik.«

»Das klingt prinzipiell gut, aber sei mir nicht böse …«

Yvette erhob sich.

»Dann schlaf dich erst einmal aus und entspann dich«, sagte sie, doch Romy hörte die leise Enttäuschung, die in ihrer Stimme mitschwang. Sie wussten beide, dass die liegengebliebene Arbeit ein willkommener Vorwand war. Soweit es ihre gesellschaftliche Stellung und ihre berufliche Position zuließen, mied Romy Menschenversammlungen, und das nicht nur wegen des erhöhten Infektionsrisikos. Rational betrachtet, wusste sie, dass ihre Angst jedweder Grundlage entbehrte, doch die Panikattacken, die sie inmitten einer Gruppe von Leuten überkamen, hielten sich nicht an das, was die Vernunft vorgab.

Sie begleitete Yvette zur Tür.

»Kannst du mir für Mittwochabend bitte einen Tisch bei dir organisieren? – Ein langjähriger Kunde von mir aus Lyon verbringt mit seiner Frau ein Wochenende in Salzburg. Ich will die beiden gerne einladen.«

»Und das nächste Geschäft anbahnen.« Yvette schmunzelte.

»Eventuell. Ich hätte derzeit tatsächlich einiges da, was ihn für seine Sammlung interessieren könnte.«

Mit Küssen auf die Wangen verabschiedeten sie sich voneinander. Vom Hauseingang aus sah Romy zu, wie die Freundin in ihren Wagen stieg und losfuhr. Dann schloss sie die Türe, ging hinauf ins Obergeschoss und ließ Wasser in die Wanne ein. Ein warmes Bad würde hoffentlich die Entspannung bringen, nach der sich ihr Körper und Geist sehnte.

Romy saß an ihrem Schreibtisch, vor sich ein Glas frisch gepressten Orangensaft und einen geöffneten schmalen Ordner. Schon seit über einer Viertelstunde versuchte sie sich einen Reim auf das Schriftstück mit dem Logo einer Privatbank zu machen, bei der ihre Familie lange Jahre Kunde gewesen war, und das ihr gleich zuoberst entgegenprangte.

Sehr geehrter Herr Mag. Dr. Traunburg,

hiermit bestätigen wir die Stornierung Ihres Dauerauftrags mit der zugewiesenen Geschäftsnummer 8-0263 in Höhe von 8.300 Schilling p.m. per 31.10.1984.

Hochachtungsvoll, MMag. Heinrich Zauber, Filialleiter.

Achttausenddreihundert Schilling im Monat – das entsprach einer...