Gestalten des Bösen - Der Teufel - ein theologisches Relikt

von: Eugen Drewermann

Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN: 9783451815577 , 224 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 16,99 EUR

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Gestalten des Bösen - Der Teufel - ein theologisches Relikt


 

I. Gewalt, Leid und »das Böse«
1. Geschichte und Gewalt – Annäherungen an das Böse
Gewaltorgien des Menschengeschlechts sind so alt wie das Menschengeschlecht selbst. Wenn eines verlässlich ist, seit es Menschen auf der Welt gibt, dann sind es Mord und Totschlag sowie ein rücksichtsloser Umgang mit der Natur durch die Menschen. Es wird gemordet, gefoltert, unterdrückt, geraubt und gequält. Über die Jahrhunderte ist die Barbarei perfektioniert worden. Anders gesagt: Das Böse im Menschen scheint für unsere Gattung konstitutionell zu sein. Ebenfalls zu allen Zeiten haben sich die Menschen grundlegend gefragt, woher das Böse kommt. Wer davon redet, denkt meist auch gleich an eine dunkle Macht. Die Neigung zur Personalisierung ist stark ausgeprägt. Für das Böse gibt es eine Figur: den Teufel. Eine Umfrage ergab kürzlich, dass in Deutschland ein Drittel der befragten Menschen an den leibhaftigen Teufel als Verkörperung des Bösen glaubt. Die Vorstellung vom Satan ist bekanntlich nach wie vor Bestandteil der offiziellen Lehre der römisch-katholischen Kirche, doch nicht nur Katholiken, sondern auch viele andere Christen und auch Anhänger des Islams glauben an seine Existenz. In den rauchenden Trümmern des in sich zusammenbrechenden World Trade Centers – 9/11 – soll sich sogar die Fratze des Teufels gezeigt haben, einige glaubten, Osama bin Laden gesehen zu haben. Die Kette terroristischer Anschläge, insbesondere solcher, die im Namen Allahs oder des Korans begangen werden, ist seither nicht abgerissen. Man kann sich sicher sein, dass, wer heute fragt, was »das Böse« oder wer »die Bösen« seien, zur Antwort bekommt: der Islamische Staat und die islamistischen Terroristen.
Was Sie da malen, ist erschreckende und eindrucksvolle Wirklichkeit für jeden Zeitungsleser und Fernsehzuschauer. Wenn wir vom Bösen sprechen, meinen wir eine übermenschliche Macht, die wir im Teufel gegenwärtig finden, eine Gestalt, die fähig ist, uns Menschen gegen den eigenen Willen zu äußerster Destruktion zu treiben, die besten Absichten in ihr Gegenteil zu verkehren, etwas Unheimliches, nicht Durchschaubares, Unbeherrschbares, im Letzten ein Gegenwille zu allem, was mit dem Leben, mit dem Dasein, mit der Schöpfung gemeint sein sollte, ein Wesen, das nur auf die Verneinung und die Destruktion sinnt und die Menschen zu Instrumenten dieses Planes macht. Wer in dieser Art vom Teufel spricht, ver­rät insgesamt die Kapitulation, das Phänomen des Bösen zu begreifen. Das Böse entzieht sich in seiner personalisierten Gestalt der Fassbarkeit. Es ist überwältigend, rasend, ungebärdig, anfallähnlich, im Menschen wirksam und trotzdem jenseits dessen, was Menschen sind und sein sollten. 
Entscheidend bleibt, dass wir mit dem Begriff des Bösen zunächst etwas Moralisches meinen, sonst würden wir es sicher nicht einem Willen zuschreiben, der personifiziert im Teufel vorgestellt wird. Es liegt darin moralisch eine fast exorzistische Abwehrhaltung: Wir dürfen uns darauf nicht einlassen. Wir müssen uns dagegen wehren, ohne freilich so recht zu wissen, wie wir das tun könnten. Dem Teufel abzuschwören, ist für einen Christen sogar im Taufversprechen schon des kleinen Kindes stellvertretend durch die Paten Pflicht: Widersagt ihr dem Teufel mit all seinem Gepränge? Die gleiche Frage wird später bei der Firmung des Kindes mit etwa 13 Jahren ein zweites Mal wiederholt. Wer vom Teufel redet, braucht eine quasi magische, apotropäische Form, ihn von sich selber fernzuhalten. Aber dann entdecken wir das Dämonische, das in uns selber steckt, ohne dass wir verstünden, wieso. Der IS etwa gilt uns als das Böse schlechthin. Osama bin Laden verkörpert den Satan. Wir könnten die Liste solcher Inkarnationen des Bösen endlos fortsetzen. Milošević auf dem Balkan war ein zweiter Hitler, Saddam Hussein der Wahnsinnige in Bagdad, auch er ein zweiter Hitler; und der muss politisch korrekt als die Verkörperung des Bösen an sich betrachtet werden, als eine Heimsuchung der Deutschen, die wie ein Meteorit vom Himmel gefallen ist.
Wenn wir so sprechen, reden wir von etwas Absolutem, das eigentlich keine Vor- und keine Nachgeschichte hat, das uns beherrscht, ohne dass wir damit einen anderen als abwehrenden oder selbstzerstörerischen Kontakt aufnehmen könnten. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang kein Satz verräterischer als die Bemerkung des sogenannten Friedensnobelpreisträgers Barack Obama im Jahr 2013: Diese – damit meinte er den islamistischen Terrorismus – verstehen nur die Sprache der Gewalt. Wenn es so steht, ist nicht nur die Begreifbarkeit dessen, was da geschieht, nicht länger mehr gegeben, es erlischt bereits der Versuch, im Gespräch den Standpunkt des anderen in irgendeiner Weise sich zugänglich zu machen. Es wäre eine unsinnige Mühewaltung, mit dem anderen, den man für das Böse oder den Bösen hält, sich noch weiter auseinanderzusetzen. Er ist identifiziert als die Verkörperung des absolut Schlechten, und deshalb muss er abgeschafft werden. »Die sprechen nur die Sprache der Gewalt« bedeutet: Wir müssen sie töten – alle. Egal wie wir sie numerisch einteilen, wie wir sie identifizieren als Träger des Bösen – wir müssen sie ausrotten. Es ist so viel, wie wenn unser Immunsystem im Körper einen bestimmten Virustyp als lebensgefährlichen Gegner erkannt hat und nicht ruhen darf, bis es das letzte Virus ausgeschaltet hat. Das Immunsystem merkt sich die Oberfläche des Virus, damit, wenn es je wiederkommt, schneller reagiert werden kann; ganz analog jetzt auch im politischen Raum: Das Programm der Ausschaltung des Lebensfeindlichen, des möglicherweise Tödlichen hat einen Kampf auf Leben und Tod zur Folge, bei dem das Bedrohliche bis zum letzten Rest annihiliert, füsiliert, beseitigt werden muss.
Das sind Begriffe aus der Immunbiologie und Physik …
Das Entsetzliche ist: Wir haben es bei diesem Denken mit Menschen zu tun, nicht mit Viren. Wir befinden uns auch nicht im Ersten Weltkrieg, wo wir ab 1915 planquadratweise Franzosen und Briten ausrotten konnten mit Giftgas, wie wenn wir eine Schädlingsbekämpfung durchführen würden. Wir merken in all dem nicht, dass wir alleine dadurch, dass wir Menschen als die Verkörperung des Bösen ins Absolute dämonisieren, uns selber zu Teufeln machen. Wir halluzinieren uns eine Welt, die von allem Bösen befreit wäre, wenn es uns nur gelingen würde, die richtigen Macht- und Zerstörungsmittel zu platzieren. Wir sehen nicht, wie wir die Welt selber in eine Hölle verwandeln. Alles ruft unter solchen Umständen nach einem Ausweg, den wir aus lauter Angst, in gewissem Sinne auch aus lauter Hilflosigkeit und Ohnmacht, uns selber und dem vermeintlichen Gegner kaum noch zutrauen. Wir müssten die Angst überwinden durch Dialog. Wir müssten vor allem die Vorgeschichte, die Herkunft der Phänomene, die wir als böse identifizieren im moralischen Sinne, uns verdeutlichen: Was geschieht eigentlich in Ländern, deren Kultur im Neokolonialismus oder vor 160 Jahren im Kolonialzeitalter über Jahrzehnte, über Jahrhunderte verwüstet wurden, die zerstört wur­den aus Wirtschaftsinteressen, in denen Demütigungen aller Art eine lange Tradition besaßen und in denen alle sittlichen und humanen Werte wie Freiheit, Fortschritt, Menschlichkeit und Wissen bis zur Lüge pervertiert wurden? Darüber nach­zudenken würde unsere Absolutsetzungen infrage stellen, es würde unsere Maßnahmen des sogenannten Antiterrorkrieges selber diskreditieren. Es wäre der einzige Weg, von der blutigen Gewalt, von der Sie sprechen, endlich loszukommen.
Man kann die menschliche Geschichte als eine Orgie nicht endender Gewalt betrachten, ganz ohne Zweifel, aber umso mehr stellt sich die Frage: Was passiert, wenn Menschen dahin kommen, Gewalt als letztes Mittel zur Lösung ihrer Konflikte zu begreifen, und was meinen wir, wenn wir den Teufel als Erklärung für ein derartiges Verhalten einsetzen, ohne entfernt auch nur erklären zu können, was denn der Teufel eigentlich sei. Wir dämonisieren die moralisch verurteilten oder rätselhaften Anteile im Menschlichen, wir verabsolutieren sie und geben uns damit das Recht, in die Methoden, die wir eigentlich anklagen, selber einzutreten; um das Böse auszuschalten, werden wir davon selber infiziert und drehen uns auf endlose Weise im (buchstäblich jetzt:) »Teufelskreis« – eine Blutmühle ohne Ende, in der wir uns weigern, zu ver­stehen, in der wir uns weigern, uns aufzuschließen für die Gründe und Hintergründe des Beklagenswerten, und in der wir uns außerstande zeigen, im Dialog mit dem vermeint­lichen Gegner und einvernehmlich im eigenen Herzen eine Lösung vorzubereiten.
2. Die Ambivalenz der Natur und die verunendlichte Angst
Sie haben schon darauf hingewiesen: Das Böse ist weiß Gott keine Spezialität derer, die im Namen Allahs Terror, Angst und Schrecken verbreiten. Insbesondere die christliche Geschichte des Abendlandes ist ja reich an Beispielen auf diesem Gebiet. Reden wir also über die Spezies Mensch. Thomas Hobbes hat einmal gesagt: »Schlimmer als ein Wolf dem anderen ist der Mensch einem anderen Menschen.« Und ein Blick in die Vergangenheit und in die Gegenwart zeigt: Der Mensch ist der schlimmste aller Mörder geworden, und es hört nicht auf. Wir lassen uns von Wahnsinnigen regieren, maximale Mordkapazität als...