Venturia (Band 1): Juwelen und Verfall

von: Regina Meißner

Sternensand Verlag, 2018

ISBN: 9783038960119 , 364 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Venturia (Band 1): Juwelen und Verfall


 

II - Über Roben und Bälle


 

»Ich habe das Kleid an der Hüfte etwas enger geschneidert, sodass es Eure schmale Silhouette besser zur Geltung bringt. Außerdem habe ich mir die Freiheit herausgenommen und die Ärmel etwas gekürzt. Auf diese Weise liegt der Fokus auf dem Goldschmuck, dem Ring und dem Armband, das Ihr von Eurer Mutter geschenkt bekommen habt.«

Mura Rocher strich über den Reifrock, in dem es mir schwerfallen würde, eine Tür zu passieren. Kritisch beäugte ich mich in dem schmalen Spiegel, der in der Nähstube aufgebaut worden war.

Das Kleid, das ich trug, war mitternachtsblau, mit schwarzen Nuancen. Dunkle Sterne bedeckten das Oberteil, das sich wie eine zweite Haut an mich schmiegte. Am Abend des Balles würde man mir die Haare am Hinterkopf in Mondform hochstecken und sonnengoldene Schuhe anziehen.

»Niemandem sonst ist es erlaubt, dieses Blau zu tragen«, verkündete Mura Rocher und korrigierte meine Haltung, sodass das Kleid besser zur Geltung kam. »Ihr werdet die Allerschönste im ganzen Palast sein und jeder Mann wird nur Augen für Euch haben.«

Im Spiegel sah ich ihr strahlendes Gesicht und weil ich sie nicht enttäuschen wollte, lächelte ich ebenfalls. Mura Rochers Arbeit war großartig, weswegen sie auch schon seit vielen Jahren in unseren Diensten stand. Mit dem Ballkleid hatte sie sich selbst übertroffen. Ich musste mir eingestehen, dass es mir schon jetzt außergewöhnlich gut stand – und das, obwohl meine Haare noch nicht hergerichtet waren und ich keinen Schmuck trug.

»Seid Ihr schon aufgeregt?«, wollte die Schneiderin wissen.

Ich drehte mich zu ihr um und versank für einen Moment in ihren mütterlichen Augen.

War es Aufregung, die ich verspürte? Nein, denn Aufregung hatte immer etwas Gutes, etwas, dem man entgegenfieberte.

Als Kind hatte ich meine Nöte oft mit Mura Rocher geteilt, weil ich wusste, dass sie eine Lösung für all das kannte, was mich belastete. Aber ich war erwachsen geworden und verstand, dass nur ich selbst gegen meine eigenen Dämonen ankämpfen konnte. Und dennoch – manchmal tat es gut, sich mitteilen zu können. Vor allem in einem Leben, das Reichtum, Gold und Silber, aber keine eigene Meinung gestattete.

Ich blies mir eine Strähne aus der Stirn und holte tief Luft. »Ich glaube nicht, dass ich schon so weit bin«, gab ich aufrichtig zu und sah die Hofschneiderin an, deren freundliches Gesicht auch nicht verschwand, als ich ihr meine Zweifel mitgeteilt hatte.

Aufmunternd klopfte sie mir auf die Schulter und lächelte mich an. »Niemand fühlt sich je wirklich bereit. Dennoch solltet Ihr auf Eure Fähigkeiten vertrauen.«

Fähigkeiten? Traurig lachte ich auf, denn mir wollten keine einfallen.

Sechs Bälle. Sechs Wochen. Was erwartete mich danach? Ein Käfig? Ein Leben in Gefangenschaft?

Meine Eltern ließen mir die Wahl, aber entscheiden musste ich mich. Wenn nicht, würden sie das für mich übernehmen. Und auch wenn ich meinen eigenen Geschmack kaum kannte, kannte ich den meiner Eltern. Mein Vater versuchte schon seit Angedenken, mir meinen Cousin Josen schmackhaft zu machen. Er war zwei Jahre jünger als ich, einen Kopf kleiner und etwa doppelt so schwer. Schon in meiner Kindheit hatte ich ihm nichts abgewinnen können und immer das Weite gesucht, wenn er seinen Besuch ankündigte.

Der Geschmack meiner Mutter war erlesener, aber vollkommen auf optische Merkmale bezogen. Und genau darin lag das Problem. Was nützte mir ein Mann, der groß, breitschultrig war und über ein hübsches Gesicht verfügte, wenn er ein Herz aus Stein hatte oder sich nicht mit Regierungeschäften auskannte?

»In Euren Augen tobt ein Sturm«, bemerkte Mura Rocher in diesem Moment.

Ich wandte mich von meinem Spiegelbild ab und drehte mich zu ihr um.

»Wenn Euch etwas auf der Seele liegt, bin ich für Euch da. Das wisst Ihr.«

Ihre mütterliche Stimme bescherte mir einen Kloß in der Kehle und ließ mich an die vielen Male denken, in denen ich als Kind zu ihr gekommen war. Ich hatte keine Geschwister – und meine Zofe war eine garstige Frau, die es liebte, meine Haare und mich zu schikanieren. In meinen ersten Jahren war Mura Rocher meine Vertraute gewesen.

Traurig blickte ich in ihr Gesicht, das in den letzten Jahren älter geworden war und in dem sich erste Falten zeigten. So gern hätte ich ihr mein Herz ausgeschüttet und ihr wie früher mein Leid geklagt. Aber ich war eine Prinzessin. Und mittlerweile wusste ich, dass meine Pflichterfüllung über allem stand.

»Ich komme zurecht«, flüsterte ich und nickte zweimal, als müsste ich mich selbst überzeugen. Mein Lächeln misslang.

»Ihr seid stark, Tiana, das wisst Ihr, oder?« Sie griff nach meiner Hand und drückte sie fest. »Ihr werdet die richtige Entscheidung treffen.«

»Aber wie?«, brach es aus mir heraus, bevor ich mich zügeln konnte. Mura Rochers Mund verzog sich zu einem Lächeln, doch die Unsicherheit in mir wurde größer. »Ich kann nur mutmaßen, wie viele Junggesellen meine Eltern an den Hof bestellen werden. Es sind sechs Bälle, sie dauern die ganze Nacht und finden in unserem größten Saal statt. Ich werde kaum Zeit haben, alle Männer kennenzulernen oder auch nur mit ihnen zu sprechen. Wie soll ich mich da für einen entscheiden? Wie soll ich mich für den Richtigen entscheiden?« Gedankenverloren zupfte ich an den Ärmeln meines Kleides.

»Ihr müsst ja gar nicht alle kennenlernen«, meinte Mura Rocher verschmitzt. »Es reicht, wenn der Eine dabei ist.«

Der Eine.

Missmutig ließ ich die Schultern hängen. »Ich weiß ja nicht einmal, wer das sein soll.«

»Das ist einfach.« Mura Rocher legte ihre Hände auf meinen Schultern ab und wartete, bis ich sie ansah. Wenn sie lächelte, entstanden kleine Grübchen um ihren Mund. »Wie stellt Ihr Euch Euren Zukünftigen vor? Wie soll er sein? Was muss er haben?« Neugierig sah sie mich an.

Ihr zuliebe ließ ich mich auf das Spiel ein. Und während ich über die Fragen nachdachte, wurde mir bewusst, dass ich mich nie recht damit beschäftigt hatte. Zwar war mir immer klar gewesen, dass ich einmal heiraten würde, aber dieses einmal lag in so weiter Ferne, dass ich es nicht greifen oder näher bestimmen konnte.

Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe herum und versuchte, mir mich an der Seite eines Mannes vorzustellen, der mit mir über unser Reich regierte. Mich selbst sah ich gestochen scharf, aber der Mensch neben mir blieb verschwommen und unbestimmt.

»Nun ja«, stammelte ich, um Zeit zu schinden. »Wahrscheinlich wäre es von Vorteil, wenn er sich mit den Regierungsgeschäften auskennt und in Ahnenkunde besser aufgepasst hat als ich selbst. Außerdem sollte er … diplomatisch sein und Talent für Verhandlungen besitzen. Überhaupt würde es mir nichts ausmachen, wenn er …« Überrascht hielt ich inne, weil ich sah, wie die Hofschneiderin den Kopf schüttelte.

»Der Mann Eurer Träume soll also ein Ass in der Regierung sein?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, woraufhin ich stöhnte. »Natürlich schadet das nicht, aber wonach sucht Ihr wirklich? Wie soll der Mensch sein, der Euer Herz erweicht, Tiana?«

Mura Rochers Blick durchdrang mich wie ein Pfeil. Wenn sie mich so ansah, brachte es nichts, auszuweichen.

»Ich glaube nicht, dass ich den Mann meiner Träume in diesem Palast finden werde. Ich glaube, der Mann meiner Träume ist noch nicht einmal geboren. Was ihn perfekt macht.«

Meine letzten Worte waren mehr genuschelt als klar gesprochen, dennoch hatte Madame Rocher mich verstanden.

Ich warf einen kurzen Blick zur Tür, um mich zu vergewissern, dass wir allein waren, dann meinte ich: »Ich will mich nicht binden. Nicht jetzt. Irgendwann einmal vielleicht, aber ich fühle mich noch nicht bereit. Ich will … noch so vieles entdecken, so viel sehen. Ein Mann an meiner Seite würde mich nur einengen und mich in eine Rolle pressen, die ich nicht erfüllen will.« Japsend holte ich Luft.

Mura Rochers Stirn lag in Falten. »Nicht alle Männer sind schlecht, Tiana«, meinte sie. »Vor allem in den letzten Jahren kommt immer wieder der Fortschrittsgedanke auf. Frauen werden nicht länger als unterlegen angesehen. Ein guter Mann weiß seine Gattin zu schätzen.«

»Das weiß ich doch.« Ich nickte. »Und ich bin mir sicher, dass meine Eltern auch einige geeignete Männer für mich gefunden haben. Und doch … will ich noch nicht heiraten.«

Mura Rocher sah mich mitleidig an. Mit ihrem rechten Daumen strich sie mir über die Wange. »Vielleicht glaubt Ihr mir nicht, aber Ihr seid erwachsen geworden. Ihr seid nicht mehr das ungestüme Kind«, bemerkte sie.

»Das mag sein. Aber in mir … ist der Drang, mehr zu sein. Mehr zu sehen, mehr zu spüren, mehr zu fühlen. Da draußen wartet eine ganze Welt auf mich und ich habe keine Möglichkeit, sie zu entdecken.«

»Ihr werdet noch viel von dieser Welt sehen, Tiana«, meinte Mura Rocher weise. »Gutes wie auch Schlechtes. Es gibt für alles eine Zeit, fürs Reisen wie fürs Heiraten.«

»Aber wieso muss die Zeit fürs Heiraten unbedingt jetzt sein? Sechs Wochen vergehen so schnell! Danach muss ich mich entschieden haben.« Hilfe suchend sah ich sie an. »Kannst du mir einen Tipp geben? Irgendetwas, damit ich nicht vollständig versage?«

Mura Rocher sah mich nachdenklich an. Es lag so viel Schwere in ihrem Blick, die mich manchmal selbst niederdrückte. Wahrscheinlich dachte sie an ihren Ehemann Hekin zurück, der in einer Schlacht vor vielen Jahren gefallen war und an den ich mich kaum erinnern konnte. »Schaut ihnen in die Augen, wenn sie mit Euch sprechen. Viel Verborgenes...