Chefarzt Dr. Holl 1848 - Drama um die Frauenärztin

von: Katrin Kastell

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2018

ISBN: 9783732572946 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Chefarzt Dr. Holl 1848 - Drama um die Frauenärztin


 

Drama um die Frauenärztin

Plötzlich stand sie unter Anklage

Von Katrin Kastell

Mit Blaulicht und Sirene bringt der Rettungswagen die hochschwangere Myriam Schneider zur Klinik. Sie droht zu verbluten.

„Sie müssen mir helfen“, bittet Myriam ihre Frauenärztin Justine Wallenburg, die den Transport begleitet. „Falls ich die Geburt überlebe, will ich nie wieder schwanger werden!“ Eine an sich vernünftige Entscheidung, denn Myriam hat bereits sieben Kinder, und das Leben der Schwangeren und ihres ungeborenen Kindes hängen an einem seidenen Faden. Eine weitere Schwangerschaft könnte ihren sicheren Tod bedeuten.

Allerdings hat die Sache einen Haken: Myriams streng gläubiger Mann Noah würde einer Sterilisation niemals zustimmen.

Justine Wallenburg würde ihrer Patientin so gerne helfen, aber heimlich und hinter dem Rücken des Ehemannes?

Als Myriam endlich auf dem OP-Tisch liegt, ringt die Frauenärztin noch immer um eine Entscheidung …

„Heute wird es nicht ganz so spät! Versprochen!“ Dr. Justine Wallenburg gab ihrem Mann einen Kuss und umarmte ihn kurz. Es war halb sieben am Morgen, und sie war auf dem Sprung. Eigentlich war sie immer auf dem Sprung.

„Schatz, bitte, sei heute spätestens um neunzehn Uhr da! Nur heute einmal!“, bat ihr Mann, und als er die Fragezeichen in ihren Augen bemerkte, lächelte er traurig. „Es ist unser zehnter Hochzeitstag, du Liebe meines Lebens. Normalerweise sollen es doch immer die Männer sein, die so etwas vergessen, habe ich gehört. Bei uns ist es definitiv umgekehrt. Vielleicht vergisst einfach immer der, der weniger liebt.“

„Zehn Jahre? Unglaublich! Für mich ist es, als ob du schon immer zu meinem Leben gehört hättest, und ohne dich kann ich es mir nicht vorstellen. Du gehörst dazu, bist der beste und schönste Teil davon.“ Sie gab ihm noch einen Kuss, überhörte seine bittere Bemerkung aber bewusst. Was hätte sie darauf erwidern sollen? Es war seine Sicht der Dinge. „Die Zeit fliegt!“

„An uns vorüber …“

„Spätestens um neunzehn Uhr, Valentin! Ich versuche, etwas früher aus der Praxis zu kommen“, gelobte sie.

Es tat ihr unendlich leid, dass er das Gefühl hatte, von ihr vernachlässigt und nicht wirklich geliebt zu werden. Sie wollte, dass es ihm gut ging und er zufrieden war, aber ihr Beruf ließ ihr einfach keine Zeit für ein nennenswertes Privatleben.

Dr. Justine Wallenburg war Frauenärztin. Sie hatte eine unabhängige Praxis am Marienhospital in München und konnte die Kreißsäle und Operationssäle der Klinik mit nutzen. Neben der normalen Tätigkeit als Frauenärztin war ihr die Beratung junger Mädchen und Frauen ein besonderes Anliegen, für das sie sich voll einbrachte.

Einmal in der Woche hielt sie am Vormittag eine offene Sprechstunde ab, und einmal bot sie eine offene Sprechstunde, die um siebzehn Uhr begann und bis zweiundzwanzig Uhr ging. Über mangelndes Interesse konnte sie sich nicht beklagen. Es war erschütternd, wie mangelhaft die Aufklärung vieler junger Mädchen war und was sie alles über Verhütung nicht wussten.

Während ihr Mann als Steuerberater nahezu geregelte Arbeitszeiten hatte und morgens meist nach ihr ging und abends Stunden vor ihr nach Hause kam, verdiente er um einiges mehr als sie. Das führte zwischen ihnen immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen. Er konnte ihre Leidenschaft für ihren Beruf nicht nachvollziehen und fand, dass sie ihren Fokus im Leben vollkommen falsch legte.

„Du arbeitest dich krank und lässt dich ausnutzen. Ich verstehe dich nicht. Zählen unsere eigenen Träume denn gar nichts mehr? Gibt es nur noch deine Patientinnen und deren Sorgen und Träume? Wir wollten Kinder und eine Familie und unser Leben teilen“, warf er ihr dann verletzt vor.

„Aber wir teilen doch unser Leben, Valentin. Niemand ist mir so wichtig wie du, und niemand kennt mich so gut“, versuchte sie immer wieder, ihm ihre Gefühle zu erklären, aber er forderte Beweise, die sie nicht erbringen konnte – noch nicht.

Justine dachte auf der Fahrt zur Praxis an all diese Streitereien und die Fremdheit, die sich unmerklich zwischen ihnen breitgemacht hatte. War ihre Ehe im Grunde bereits am Ende, und sie spielten sich nur noch gegenseitig vor, dass sie an einer gemeinsamen Zukunft festhalten wollten? Sie liebte ihren Mann, aber sie wusste nicht, ob ihre Beziehung diesem Druck noch lange würde standhalten können.

Der zehnte Hochzeitstag bedeutete Valentin offensichtlich viel, und natürlich hatte sie das Datum wie jedes Jahr vergessen. Was war sie für eine Ehefrau? Valentin hatte mehr verdient. An diesem Abend musste sie unbedingt pünktlich sein! Valentin sollte spürte, wie wichtig er ihr war. Sie wollte ihm beweisen, dass es sich lohnte, Geduld mit ihr zu haben und sie nicht aufzugeben.

Mit den besten Vorsätzen trat Justine ihre Arbeit an diesem Freitagmorgen an. Sie hatte vor, um achtzehn Uhr pünktlich mit der letzten Patientin das Marienhospital zu verlassen und heimzufahren. Zum Glück war keine der Schwangeren, die sie gerade betreute, in der geburtskritischen Phase.

Es sah gut aus für einen ungestörten Abend mit ihrem Mann, und sie freute sich darauf. Vielleicht gelang es ihr sogar, etwas früher zu gehen, dann könnte sie noch schnell einen edlen Weinbrand für Valentin besorgen. Damit konnte man ihm immer eine Freude machen.

Valentin Wallenburg schloss an diesem Freitag bereits am Mittag die Tür seines Büros hinter sich ab und fuhr zu einem Delikatessenladen, den er besonders mochte. Er hatte ein aufwendiges Menü im Sinn, das er als Überraschung für Justine kochen wollte.

„Ich habe Ihnen alles, was Sie bestellt haben, zusammengestellt“, sagte die Ladenbesitzerin, mit der er sich immer gerne ein wenig unterhielt, wenn er dort einkaufte. Sie war wie er Anfang vierzig und eine attraktive und vor allem feinfühlige und kluge Frau.

„Danke! Jetzt müssen meine Kochkünste nur ausreichen. Falls es nichts wird, kann ich nicht sagen, dass es an den falschen oder fehlenden Zutaten lag“, scherzte er.

„Bei der Liste bin ich natürlich neugierig. Was soll es denn Feines geben?“, fragte sie lächelnd.

Er weihte sie in sein Menü ein und war dankbar für einige Tipps, die sie ihm gab. Valentin kochte sehr gerne, aber selten. Wenn er sich einmal die Zeit nahm, dann musste es etwas Außergewöhnliches sein.

„Meine Frau und ich haben heute unseren zehnten Hochzeitstag, und ich möchte sie kulinarisch so richtig verwöhnen. Wir haben so wenig Zeit füreinander und sitzen so gut wie nie zusammen an unserem offenen Kamin und genießen, wie schön wir es haben. Ich möchte heute in kein Restaurant“, erzählte er.

„Dann wünsche ich Ihnen einen wunderschönen Abend!“, sagte sie zum Abschied. „Weiß Ihre Frau, was für ein Glück sie hat? Es gibt nicht viele Männer wie Sie.“

„Mm … das ist Honig für die Seele“, meinte er schmunzelnd. „Herzlichen Dank! Ich sollte Justine einmal bei Ihnen vorbeischicken.“

Einige Vorbereitungen für sein Menü hatte Valentin bereits in den vergangenen Tagen getroffen, und von dreizehn Uhr bis kurz vor neunzehn Uhr stand er in der Küche. Er deckte den Tisch im Esszimmer liebevoll und schmückte ihn mit roten Rosen in kleinen Vasen, die er überall verteilte, auch im restlichen Raum.

Um neunzehn Uhr war alles bereit, und er sah sich zufrieden mit seinem Werk um. Im Kamin knisterte ein Feuer, das Essen war fertig, der Tisch gedeckt, und Valentin hatte sich geduscht und in Schale geworfen. Pünktlich zündete er die Kerzen an und sah erwartungsvoll zur Tür. Er freute sich auf einen glücklichen, unbeschwerten Abend mit Justine.

Sie kam nicht.

Gegen halb acht ging Valentin in die Küche, um von der Vorspeise zu retten, was zu retten war. Den Hauptgang hielt er im Ofen warm und sah zu, wie er sich aus etwas Köstlichem in etwas verwandelte, das man gerade noch essen konnte.

Die Freude, mit der er diesen besonderen Abend geplant und vorbereitet hatte, erlosch, als er gegen zwanzig Uhr dreißig die Kerzen ausblies. Es war nur ein Abend wie sehr, sehr viele andere Abende zuvor, und doch war etwas anders. Er wollte so nicht mehr weitermachen. Er konnte es nicht.

Valentin warf die Vorspeise weg, nahm sich etwas vom Hauptgang und aß. Der Geschmack war köstlich. An seinen Kochkünsten hatte es nicht gelegen, dachte er müde.

Dann füllte er etwas für Justine auf einen Teller und stellte ihn in den Kühlschrank, damit sie ihn sich in der Mikrowelle warm machen konnte, wann immer sie kam. Er kannte sie und wusste, dass sie vermutlich seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen hatte.

Gegen zweiundzwanzig Uhr legte er sich im Gästezimmer ins Bett.

Justine kam kurz vor Mitternacht und war absolut erschöpft. Sie hatte den Abend im OP verbracht und eine harte Schlacht nur knapp gewonnen.

Eine ihrer Patientinnen war gerade zu Beginn des fünften Monats schwanger. Die Frau war Mitte vierzig und ohnehin eine Risikoschwangere.

Ihr Mann und sie hatten alles getan, um...