Henkersweib

von: Ute Zembsch

Burgenwelt Verlag, 2018

ISBN: 9783943531817

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 4,99 EUR

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Henkersweib


 

Kapitel 2

 

Runhild dankte der Heiligen Jungfrau für die letzten warmen Herbsttage. Milderte doch die Sonne auf ihrem Gesicht ein wenig die Furcht in ihrem Herzen, wenn sie es sich lange genug einredete. Nach dem abendlichen Mahl setzte sie sich auf die Bank neben dem Webhaus und besserte die Kleidung des Gesindes aus. Ständig war sie wachsam, um dem Bauern aus dem Weg zu gehen, so es ihr möglich war. Die Schritte, die sich näherten, waren jedoch zu leicht für den feisten Drecksack. Sie sah auf.

»Dietmar.« Runhild atmete befreit aus und lächelte. Ihr Liebster besuchte sie am Ort ihres ersten Stelldicheins. Hastig erhob sie sich.

Seufzend schlurfte er auf sie zu. »Ihm bereitet es Spaß, dich zu nehmen. Und dir wohl auch. Sonst würdest du dich schließlich wehren.«

Runhilds Herz verkrampfte sich. »Hat er dir das eingeredet? Du kennst die Wahrheit.«

»Er brachte Agnes bei, willig die Buhle zu spielen, und wird es bei dir auch schaffen.«

Sie fror plötzlich und zog ihr Tuch eng um sich. Langsam sank sie auf die Bank. Wie sollte der alte Mistkerl sie je zu so etwas Widerlichem bringen? »Mir wird jedes Mal speiübel, wenn er auf mir liegt. Nur aus Angst vor seinen Schlägen rühr ich mich nicht, bis er fertig ist. Das wird sich nie ändern.«

»Ich hab ihn angeschrien, dann angefleht, dass er von dir ablässt. Mutter weiß, dass er nur seinem Trieb folgt, und lässt ihn gewähren.«

»Aber du liebst mich doch noch?« Sie hielt den Atem an.

Schnaubend ließ er sich neben ihr nieder. »Ich bin so wütend, weil er sich nimmt, was ich will. Ständig stell ich mir vor, was ihr gemeinsam tut.«

»Was er mir antut.« Runhild griff seine Hand. »Bitte, Dietmar. Lass nicht zu, dass er sich zwischen uns drängt. Das könnt ich nicht ertragen.« Sie schniefte und bemerkte, wie ihre Wangen feucht wurden.

Behutsam wischte er ihr eine Träne weg. Das war ihr Antwort genug. Mit beiden Händen strich sie über seine Brust. Er schloss sie in seine Arme. Ihre Lippen näherten sich einander und vereinten sich in einem innigen Kuss. Seine Berührung fühlte sich so weich an. Doch unvermittelt löste er sich. Mit einem Ruck wandte er sich von ihr ab. Seinen Mund fest zusammengepresst, starrte er auf die Felder.

»Dietmar?« Verwirrt kniete sie sich vor ihn, suchte seinen Blick. »Ich brauch dich. Dein Kuss ist Balsam für mein Herz. Du willst mich und wenn wir zusammenliegen, könnt ich das Grauen für eine Weile vergessen.«

Sein Brustkorb hob und senkte sich. Er stand auf und schaute den Weg entlang. »Nein. Nicht solange er dich benutzt. Es ist widerlich, ausgerechnet mit dem eigenen Vater die gleichen Schenkel zu teilen.« Ohne sie eines Blickes zu würdigen, marschierte er davon.

Runhild durchflutete es heiß, ihr schwindelte. »Nein!« Heftig schlug sie auf die Stelle ein, wo er gesessen hatte. »Ich liebe nur dich.« Sie krampfte sich zusammen und schluchzte.

Der angeekelte Tonfall in Dietmars Worten traf sie umso härter, nachdem er sie zuvor liebkost hatte. Zerriss ihn die Schändung genauso wie sie? Warum verlangte er nicht sein Erbteil und ging mit ihr fort, wie sie es erträumten? Er wusste, dass sie für ihn keusch bleiben wollte. Mehr denn je dürstete sie nach seiner Umarmung.

Jemand streichelte ihren Kopf. Dietmar? Hoffnungsvoll rieb sie sich die Augen. Durch ihren Tränenschleier erkannte sie jedoch nur Agnes, die sie in ihre Arme nahm und wiegte.

 

In der folgenden Nacht wälzte sie sich ruhelos herum. Immer wieder sah sie Dietmar vor sich, der sich von ihr abwandte. Seine Mutter nannte sie eine Hure, wie die Buhlen, die es für ein paar Münzen schamlos mit den Kerlen trieben.

Runhild drehte sich auf die andere Seite und schniefte. Sie ließ ihren Herrn gewähren, weil er sie sonst totprügeln würde. War das ehrenhafter? Sie zweifelte. Das Kopfkissen fing ihre Tränen auf. Irgendwann forderte ihr erschöpfter Körper sein Recht und sie sank in einen traumlosen Schlaf. Eine kalte Leere breitete sich in ihr aus.

Sie schwieg beim Weben, jegliche Plauderei schien ihr bedeutungslos. Vorsichtig tastete sie zwischen Rock und Bank, wo das Küchenmesser verborgen lag. Das Metall fühlte sich eisig an. Doch der Tod war niemals warm und weich.

»Ich bin gleich zurück«, hörte sie Agnes’ Stimme.

Die Türe klapperte. Endlich allein. Sie griff das Messer und strich zärtlich darüber. »Bring mich weg von hier. Schlimmer kann es in der Hölle auch nicht sein. Heilige Jungfrau, vergib mir.« Runhild packte die Klinge fest mit beiden Händen und richtete die Spitze gegen ihren Leib. Sie zitterte, bald war es vorüber. Noch einmal atmete sie tief durch, dann schloss sie die Augen und holte aus.

»Runhild! Nicht!«

Ihr Kopf zuckte herum. Agnes stand bleich und keuchend in der Tür.

Verwirrt ließ Runhild die Waffe sinken, vor ihrer Freundin vermochte sie es nicht zu tun.

»Ich muss mein Leid beenden«, wisperte sie.

»Du landest in der ewigen Verdammnis, wenn du dich umbringst. Ist es das wert?« Agnes eilte die Stufen hinab und legte ihre Hand auf Runhilds.

»Dietmar. Ich weiß nicht, wie sehr er mich noch liebt. Meinst du, wir können wieder glücklich miteinander sein, wenn der Herr von mir ablässt?« Runhild blinzelte den Tränenschleier weg.

Ihre Freundin seufzte. »Du weißt genau, dass es keine gemeinsame Zukunft für den Spross eines Hörigen und einer Leibeigenen gibt. Warum quälst du dich so?«

»Er versprach mir die Ehe, bevor es passierte.« Runhild sah an Agnes vorbei.

»Vergiss ihn. Es ist besser für deinen Seelenfrieden und für dein Leben.« Agnes streichelte ihre Schultern. »Margarete erzählte mir, dass sein Vater eine Braut für ihn sucht.«

Runhilds Herz setzte einen Moment aus. »Das ist nicht wahr. Herrin Dietlind sagte, Dietmar will mich freikaufen.« Ihre Finger krampften sich um den Griff des Messers.

Agnes öffnete ihr sanft, aber unnachgiebig die Hand und entwand ihr die Klinge. »Ich hab keine Ahnung, was er wirklich für dich empfindet. Aber was Herr Kunolf befiehlt, ist für ihn Gesetz. Und er wird einsehen, dass er mit einer jungen Bäuerin samt Mitgift lohnender dran ist.«

Seufzend wischte sich Runhild über die Nase. »Mechthild hatte mich schon davor gewarnt, aber die Liebe zwischen ihm und mir ist besonders.«

Agnes schüttelte den Kopf. »Versprich mir, dass du keine Dummheit begehst, mein Kätzchen!«

Verreckte der Bauer doch nur bald durch Krankheit oder Unfall, dann könnte Dietmar selbst entscheiden, ob er sie zum Weib wollte. Diesen Hoffnungsschimmer behielt sie jedoch für sich. Niemand würde sie verstehen.

»Du hast Recht.« Runhild richtete sich auf. »Ich bin so töricht.« Heftig schoss sie das Schiffchen durch die Kettfäden und schlug schroff die Lade an.

»Nein, nur eine Träumerin.« Agnes begab sich zurück an ihren Webstuhl.

 

An jedem Sonntag betete Runhild zur Jungfrau Maria. Um ein Unglück für ihren Peiniger wagte sie nicht zu bitten, doch sollte die Heilige zumindest ihre Seele retten. Aber was wusste eine Jungfrau vom Leid einer Geschändeten? Selbst die Gemahlin ihres Herrn, deren Bauch­umfang stetig zunahm, vermochte es sich nicht vorzustellen. Gewiss bestieg Kunolf Dietlind nie gegen ihren Willen.

 

»Du schaust so verbissen, meine Kleine.«

Runhild drehte sich zu ihrer Mutter um und entspannte sich. »Es ist wegen Dietmar. Das ist jetzt der zweite Gottesdienst, nach dem er bei Käthe steht.« Sie ballte die Fäuste.

»Ärgere dich nicht. Vielleicht ist er nur freundlich zu Herrn Heinrichs Tochter?« Gelsa nahm sie in die Arme.

»Gott straft mich für meinen Hochmut. Oder meine Torheit. Warum straft er Herrn Kunolfs Ehebruch nicht damit, dass ihm sein Schwanz abfällt.« Sie löste sich aus der Umarmung. »Er beschimpft mich als träges Stück Fleisch. Wenigstens prügelt er mich nicht, wenn ich gehorche. Ich schließe die Augen und denke ganz fest an das Bildnis der Heiligen Jungfrau.«

Dass es nicht mehr ihr Leib war, dessen er sich bemächtigte, da ihr dieser Körper von Mal zu Mal fremder erschien, erwähnte sie nicht. Ihre Mutter sorgte sich ohnehin genug, ohne helfen zu können. Und wer auch immer Runhilds Vater war, über den Gelsa beharrlich schwieg, er vermochte gegen diesen Mistkerl sicher nichts auszurichten. Wie so oft nach der Kirche, schmiegte Runhild sich an die Schulter ihrer Mutter, um Trost zu finden.

 

Nach Weihnachten begannen die Tage länger zu werden, doch sah Runhild kein Zeichen darin, dass die Dunkelheit gleichfalls aus ihrem Leben schwand.

»Wenn doch nur jemand seinen Betrug dem hohen Herrn zutragen würde.« Sie schielte kurz zu Agnes und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf ihre Spindel.

»Damit er auf diesem Weg die Strafe erhält, die er verdient? Er ist der reichste Bauer hier, niemand wird sich trauen, aus Angst, dass Kunolf nach seiner Strafe Rache an ihm übt.«

»Stimmt. Unser Grundherr würde ihn womöglich nur auspeitschen lassen. Es macht vermutlich kaum Sinn, wenn ich mit Pfarrer Alba über ihn sprech.« Runhild schmunzelte bitter. »Bei dem vielen Wein, den dieser Heuchler ihm spendet für das Abendmahl und sein Mittagessen.«

 

Die letzten kalten Tage endeten und sie konnten die Tür während der Arbeit wieder öffnen. Der Frühlingsduft schlich sich vorsichtig herein. Selbst Runhild lächelte beim Anblick der ersten Frühlingsfarben in Gestalt von Gänseblümchen, Huflattich und...