Die Geisel

von: Joel C. Rosenberg

Festa Verlag, 2018

ISBN: 9783865526984 , 100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 4,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Die Geisel


 

Was bisher geschah

Al-Hummar-Palast

Amman, Jordanien

In diesem Moment zogen zwei der jordanischen F-16-Jets meine Aufmerksamkeit auf sich. Immer noch flogen die Düsenjäger in Kampfformation, um jedes verirrte Flugzeug, sei es nun jordanisch oder nicht, aus dem vollständig abgeriegelten Luftraum über dem Palast fernzuhalten. Die Auffälligkeit betraf ein konkretes Duo, beide Maschinen waren noch weit entfernt. Und doch kam es mir seltsam vor, dass sie bisher das Areal von links nach rechts, also von Nord nach Süd überflogen hatten, jetzt jedoch einer der beiden Jets abdrehte und direkt auf den Palast zuhielt. War das geplant? Es erschien mir nicht logisch. In der letzten halben Stunde waren immer jeweils zwei Kampfflieger in geraden Bahnen über den Horizont geflogen, stets in der gleichen vorhersehbaren Weise. Weshalb diese Abweichung?

Ich lehnte mich hinüber zu Yael. »Was hältst du von dem Flugzeug auf zwölf Uhr direkt voraus?«, flüsterte ich und reckte das Kinn unauffällig gen westlichen Horizont.

Sie folgte meinem Hinweis. »Keine Ahnung. Frag doch Ali.«

Der Jet war noch einige Kilometer entfernt, aber es bestand jetzt kein Zweifel mehr, dass er in unsere Richtung unterwegs war. Die Frage nach dem Warum ließ mir keine Ruhe. Ich wandte mich flüsternd an Said.

»Was ist mit dieser F-16 los?«, fragte ich. »Sie ist aus ihrer Formation ausgebrochen.«

Said hatte sich offenbar auf das Publikum im Innenhof konzentriert und nicht auf das Geschehen über unseren Köpfen, denn er antwortete nicht sofort. Einen Augenblick später erteilte er auf Arabisch eine Anweisung über das Funkgerät an seinem Handgelenk.

»Bleibt ruhig, aber kommt bitte beide mit«, flüsterte er zurück.

Ich war verwirrt. Es fiel mir schwer, den Blick von der herannahenden F-16 abzuwenden, als ich bemerkte, dass er unauffällig aufgestanden war und sich zum Gehen anschickte. Also folgte ich ihm zu der Tür, durch die wir vorhin gekommen waren.

Yael blieb dicht hinter mir. Die Kapelle spielte ein weiteres Stück.

»Wo gehen wir hin?«, fragte ich Said.

»Ins Kommandozentrum.«

»Was glauben Sie, was hier los ist?«

»Ich bin nicht sicher«, gab er zu. »Aber ich werde Seiner Majestät nicht gestatten, aufs Podium zu gehen, bevor ich es weiß.«

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als ich mich umwandte, um einen letzten Blick auf die F-16 zu erhaschen. Im selben Augenblick bemerkte ich ein kurzes Aufblitzen und einen Kondensstreifen, der sich bildete. Der Pilot hatte gerade eine Rakete abgefeuert.

Einen Moment später explodierte der Palast um uns herum.

Ich sah mich kurz nach Yael um. Auf ihrer Stirn klaffte eine große Platzwunde, die heftig blutete. Ich bat um einen Erste-Hilfe-Koffer, und einer der wachhabenden Offiziere kam mit einem angelaufen. Als ich Yael verarztete, keuchte sie. Zuerst glaubte ich, ich hätte ihr wehgetan. Sobald ich bemerkte, dass auch ihre Augen vor Entsetzen geweitet waren, wandte ich mich um, um zu sehen, was sie so erschreckte.

Die Szene auf einem der Monitore glich auf gespenstische Weise dem, was ich in Abu-Ghuraib erlebt hatte. Lkws, Müllwagen und Zementmischer, die man mit Explosivstoffen beladen hatte, schossen mit Höchstgeschwindigkeit auf die äußeren Zufahrtstore des Palasts zu. Soldaten feuerten ihre automatischen Waffen ab. Ein Fahrzeug nach dem anderen raste in die Tore und detonierte.

Große Lücken klafften in den äußeren Absperrungen, da erschienen Hunderte Kämpfer in schwarzen Skimasken und lieferten sich einen rücksichtslosen Schusswechsel mit den jordanischen Soldaten, die verzweifelt versuchten, sich selbst und ihren geliebten König zu schützen.

In diesem Augenblick zuckten wir alle zusammen, da die massive Tresortür hinter uns aufschwang. König Abdullah kam aus dem Panikraum zu uns.

»Ali, wir müssen gehen. Sofort«, befahl er.

Kaum hatten wir die Palastmauern hinter uns gelassen, flogen schon Kugeln über mich hinweg. Patronen pfiffen an mir vorbei und schlugen in die Flanken der gepanzerten Wagen um mich herum ein. Eine Salve nach der anderen traf die kugelsicheren Scheiben, auch wenn diese glücklicherweise nicht splitterten. Aber als ich die andere Seite des SUV erreichte, stoppte ich auf der Stelle. Premierminister Lavi und Präsident Mansour lagen nebeneinander, umgeben von mehreren toten Agenten.

Der König hatte sich über sie gebeugt. Ich konnte nicht erkennen, was er tat, ob er versuchte, sie wiederzubeleben, oder nur um sie trauerte. Egal was es war, es half nichts. Sie waren tot. Nichts vermochte sie ins Leben zurückzuholen. Wir mussten hier weg. Jede weitere Sekunde bedeutete tödliche Gefahr.

In diesem Augenblick fühlte sich alles in mir taub an. Ich spürte, wie ich langsam in einen Schockzustand glitt, und konnte nichts dagegen tun. Ich kam nicht dagegen an.

Dann, wie durch einen Tunnel, hörte ich, wie jemand meinen Namen rief.

»Collins, sie leben!«, schrie der König. »Sie sind bewusstlos, aber sie atmen noch. Beide haben einen Puls. Wir müssen sie in die SUVs schaffen. Geben Sie uns Deckung!«

Ich konnte es nicht glauben. Sie waren nicht tot? Sie wirkten tot. Sie bewegten sich nicht. Aber die erfreuliche Nachricht riss mich prompt aus meiner Starre.

Said öffnete die Heckklappe des nächstbesten Fahrzeugs und legte den Rücksitz um, um Platz zu schaffen, während Yael ihm die rechte Flanke deckte. Dann half Said dem König dabei, Premierminister Lavi vorsichtig auf die Freifläche zu betten.

Ich war wieder voll da, flog herum und erledigte, was man mir aufgetragen hatte. Aus mehreren Richtungen wurde geschossen. Ich gab mich nicht der Illusion hin, dass es uns gelingen würde, alle Rebellen zu töten. Egal, ich war fest entschlossen, niemanden aus der königlichen Familie und keines der Staatsoberhäupter in gegnerische Hände fallen zu lassen. Alles, was ich tun musste, war, uns Zeit zu verschaffen. Die Frage war, ob diese Zeit reichte.

Als Nächstes legten der König und Said Präsident Mansour in den Wagen. Ich feuerte weiter. Dann hörte ich, wie der Motor von einem der Wagen ansprang. Als ich zur Seite sah, erkannte ich, dass einer der Suburbans mit zwei Amerikanern auf den Vordersitzen davonraste. Der Secret Service fackelte in solchen Fällen nicht lange. Sie hatten ihren Mann in einen kugelsicheren Wagen verfrachtet und brachten ihn nun auf kürzestem Weg zum Flughafen.

Wir mussten ebenfalls weg. Und zwar sofort.

Rasch schloss ich die Heckscheibe, während mich der König auf den Al-Kodos-Highway lotste, der in südwestlicher Richtung aus dem Stadtgebiet hinausführte.

Ich fuhr mittlerweile mit rund 160 km/h, doch schon tauchte eine neue Komplikation auf: Der König telefonierte gerade mit seinem Bruder, der uns darüber informierte, dass am nächsten Autobahnkreuz, an der Abfahrt zum Queen-Alia-Highway, eine Straßensperre errichtet worden war. Der Kontrollpunkt selbst stellte nicht das Problem dar. Eher schon, dass er laut Angaben des Bruders von IS-Rebellen eingenommen worden war, die uns nun mit Granatwerfern und Maschinengewehren vom Kaliber 50 erwarteten.

»Wie weit ist es noch bis zum Autobahnkreuz?«, wollte ich wissen.

»Bei dieser Geschwindigkeit höchstens zwei Minuten.«

»Was empfehlen Sie, Eure Majestät?« Ich war nicht sicher, ob ich langsamer oder eher noch schneller fahren sollte.

»Glauben Sie an die Kraft von Gebeten, Collins?«, fragte er. »Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, damit anzufangen.«

»Ich habe keine Munition mehr«, schimpfte Yael. »Hat noch jemand Nachschub?«

»In meiner Waffe steckt ein volles Magazin«, verriet ich.

»Und wo ist die?«

»Hier«, meldete sich der Kronprinz von der Rückbank. Er hob mein Maschinengewehr vom Boden auf, warf das Magazin aus und reichte es Yael.

In der Ferne tauchte nun der Kontrollpunkt auf. Sollten wir einfach hindurchfahren? Das schien mir reiner Selbstmord zu sein. Aber ich war nicht bereit zu sterben.

Eine Sekunde später erledigte sich die Frage quasi von selbst. Über einer Art Damm auf der rechten Seite der Fahrbahn tauchten plötzlich zwei Apache-Helikopter auf und schossen in niedriger Höhe auf uns zu. Yael bemerkte sie als Erste und wies uns darauf hin. Wir starrten sie wie gelähmt an. Eine unbeantwortete Frage schwebte wie ein Damoklesschwert über uns: Auf welcher Seite standen sie?

Der Kontrollpunkt rückte rasch näher. Ebenso wie die Apache-Hubschrauber. Und im Rückspiegel sah ich nun, dass sich ihre 30-Millimeter-Abschussrohre öffneten.

Das machte die Sache klar. Ich wusste Bescheid. Von Kabul bis Falludscha hatte ich das schon Dutzende Male oder öfter gesehen: Jemand hatte gerade eine Rakete abgeschossen. Ich konnte ihren Kondensstreifen sehen, der sich hinter uns über der Autobahn bildete. Sie schoss direkt auf uns zu. Die Königin schrie auf. Ich trat aufs Gas und machte gerade noch rechtzeitig einen Ausfall nach rechts. Die Rakete schlug gegen meinen Außenspiegel und raste weiter, ohne ihre zerstörerische Gewalt an unserem Fahrzeug zu entfesseln.

Aber die nächste tat es vielleicht.

In diesem Augenblick blendete mich der Blitz eines weiteren Abschusses. Dieser kam von dem anderen Hubschrauber und sah nicht nach einer simplen Granate aus. Eine wärmeorientierte Hellfire. Ihr konnte man nicht ausweichen oder vor ihr fliehen. Wir würden in einem Feuerball verglühen.

Es war vorbei.

Aber zu...