Agarax - Der Hexenfluch

von: Leo Aldan

BookRix, 2019

ISBN: 9783739634883 , 391 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Agarax - Der Hexenfluch


 

Kapitel 1


 

Das kleine Auto holperte über die Schotterpiste. Zu beiden Seiten säumten sie die braunen Holzpfosten der endlosen Stacheldrahtzäune. Wie schwarze Punkte wirkten die Rinder auf den ausgedehnten Weiden. Gelegentlich sah Jeff grasende Pferde und hin und wieder ein Farmhaus, von dem er sich nicht sicher war, ob überhaupt noch jemand darin wohnte. Waldige Höhen, über die sich zerklüftete Felskronen erhoben, warfen lange Schatten in das Tal. Blue Ridge Mountains.

Take me home, country roads.

Jeff schaltete das Radio ab. Außer dem lokalen Sender bekam er nichts rein. Und den Mist wollte er nicht schon am frühen Morgen hören.

Schon von weitem sah er den gelben Schulbus heranbrausen, der eine lange Staubfahne hinter sich herzog. Jeff fand eine Ausweichbucht. Der Schotter knarzte unter den Reifen, als er abbremste. Er musste nicht lange warten, bis der Bus vorüberrauschte. Jeff winkte den Kindern nach, die ihn aus dem Rückfenster anstarrten. Früher war auch er mit diesem Bus zur Schule nach Williamstown hinuntergefahren.

Damals, als sein Vater noch lebte.

Der Staub setzte sich langsam und legte sich als ockerfarbene Schicht auf die Scheiben. Jeff betätigte die Waschanlage und schaute zu, wie sich zunächst eine braune Matsche bildete, die dann in Schlieren abgewaschen wurde.

Verdrecktes Hinterland. Eigentlich hatte er nie wieder hierher zurückkehren wollen, aber wie es schien, konnte er nur an seinem Geburtsort Antworten finden.

Er nahm den Fuß von der Bremse und fuhr weiter.

Nach zwei Meilen rückten die Bergflanken näher und schließlich wand sich die Straße in engen Serpentinen durch einen dichten Mischwald immer höher hinauf. Dogwood und Giftefeu wucherten zwischen verrottendem Bruchholz.

Der Gedanke, der ihn seit Wochen beschäftigte, stieg ihm wieder ins Bewusstsein: Vater und Großvater waren beide im Alter von achtundzwanzig Jahren gestorben. Er selbst wurde dieses Jahr so alt und er wurde das Gefühl nicht los, dass es auch ihn erwischen könnte.

Er trat aufs Gas. Die Straße wurde steiler. Waschbrettpiste. Die Räder ratterten und das Lenkrad vibrierte so stark, dass er es kaum halten konnte. Jetzt hätte er gerne einen von diesen riesigen Geländewagen gehabt. Die Automatik schaltete in den niedrigsten Gang und mit heulendem Motor nahm Jeff die letzte Haarnadelkurve. Dahinter öffnete sich das Hochtal. Morgentau funkelte an den Spitzen der Gräser und wenige Meilen entfernt duckte sich Pine Dale unter die langgestreckte Bergkulisse.

Es sah alles noch so aus, wie er es von seiner Jugend in Erinnerung hatte: die kerzengerade Straße, ein paar Dutzend buntgestrichene Holzhäuser, die alte Kirche und der Friedhof dahinter. Gegenüber die City Hall mit der Zementfassade und den Lorbeerbäumen zu beiden Seiten des feldsteingerahmten Eingangs. Alles menschenleer.

Jeff ließ das Auto bis zur einzigen Kreuzung rollen und hielt an der Tankstelle mit der Handpumpe. Die war bestimmt schon hundert Jahre alt! Und der Alte, der mit seinem Stuhl an der Wand neben dem Eingang lehnte, musste Hank sein. Jeff erinnerte sich, dass es drinnen einen winzigen Imbiss gab. Limonade, Dosenbier, Hot Dogs und die Schokoriegel, die er als Kind so gemocht hatte.

Hank starrte misstrauisch auf das Nummernschild.

Jeff musste grinsen. Mit Sicherheit verirrte sich kein Auto mit New Yorker Kennzeichen in dieses Kaff. Er ließ das Fenster ganz herunter. »Hi! An der City Hall habe ich kein Schild mit Öffnungszeiten gesehen.«

»Da fragen Sie am besten beim Pfarrer nach. Der ist auch Bürgermeister.«

Im Schritttempo fuhr Jeff die Main Street hinunter. Ein Stückchen davon war sogar asphaltiert. Ob es den alten Reverend Bickerstaff noch gab? Lang wie ein Baum mit schwarzer Soutane und ernstem Gesicht. Er würde ihm sicher gestatten, die Dokumente einzusehen.

Jeff passierte den Saloon, so retro, wie sie nur noch in Western-Filmen vorkamen. Hier hatten sie sich ihr erstes Bier besorgt. Klammheimlich. Damals, als Charley, der Wirt, beschäftigt war, hatte Brian gezapft, während Bob Schmiere stand. Mit klopfendem Herzen und stolz wie siegreiche Rodeoreiter hatten sie es hinter Hanks Werkstatt getrunken. Wer ein Mann sein wollte, trank Bier. Und sie wollten so schnell wie möglich Männer werden, Brian, Bob und er. Jeff musste grinsen. Wie naiv sie damals gewesen waren. Besonders Bob. Wie viele Jahre waren vergangen, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte? Seit Großmutter Audrey gestorben war und das war schon eine Ewigkeit her. Mit Brian traf er sich gelegentlich in New York, aber Bob hatte er aus den Augen verloren. Wie mochte es ihm gehen?

Jeff fuhr weiter, bis er linker Hand die Kirche mit der großen Uhr am Glockenturm erreichte. Vor ihm breitete sich der Kirchplatz aus und sein Blick fiel auf den schwarzen Fleck in der Mitte des uralten Pflasters. Die alten Weiber hatten gemunkelt, dass dort einmal eine Hexe verbrannt worden sei. Als Kind hatte er sich davor gegruselt. Er lächelte in sich hinein. Ammenmärchen. Bestimmt waren an dieser Stelle andere Pflastersteine verwendet worden. Dunklere.

Er parkte und wandte sich dem blitzsauberen Häuschen des Pfarrers zu, das sich an die Kirche anschloss.

Durch den Vorgarten, dessen Rasen rundgeschnittene Büsche säumten, erreichte er die Pforte und betätigte den Messingklopfer. Schwere Schritte erklangen hinter der Tür. Ein Mann in schwarzer Soutane öffnete. Er war kleiner als Jeff, hatte ein pralles Bäuchlein und eine knollige Nase. Ein schütterer Haarkranz säumte den kahlen Schädel des Geistlichen, wasserblaue Augen lugten aus einem runden Gesicht mit Hängebäckchen und gaben ihm das Charisma eines Beichtvaters, dem man alles anvertraute. »Sie wünschen?«, fragte er.

»Ist Reverend Bickerstaff zu sprechen?«

Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht des Geistlichen. »Der ist schon seit Jahren im Ruhestand. Ich bin Pater Crusenberry.«

Jeff schüttelte die dargebotene Hand. »Mason. Jeff Mason. Ich wollte fragen, ob ich die Sterbeurkunden meiner Vorfahren einsehen könnte.«

Pater Crusenberry musterte ihn und strich sich mit der Hand über die Glatze. »Selbstverständlich werde ich Ihnen helfen, aber ausgerechnet heute habe ich einen auswärtigen Termin.«

Jeff überlegte nicht lange. »Dann bedanke ich mich ganz herzlich. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Pfarrer, werde ich morgen wiederkommen.« Er nickte dem Geistlichen freundlich zu und wandte sich zum Gehen. Die gewonnene Zeit könnte er für einen Überraschungsbesuch bei Bob nutzen.

Jeff warf einen kritischen Blick auf die schnell aufziehenden schwarzen Wolken und lief über den Kirchplatz. Er steuerte auf die enge Gasse der Meadow Lane zu. Das dritte Haus auf der linken Seite war es gewesen. Im Augenwinkel nahm er wahr, dass sich der Vorhang eines Fensters im Haus der verrückten Aunt Ruth bewegte. Jeff hatte sie als runzelige Frau mit strähnigen, weißen Haaren in Erinnerung. Offensichtlich lebte sie noch. Eigentlich war sie ja nicht seine Tante, aber jeder nannte sie Aunt. Sie hatte ihn immer mit Justinian angesprochen. Jeff presste die Lippen zusammen. Wenn er etwas hasste, dann war es dieser Name: Justinian! Der war echt krank! Die anderen Dorfbewohner hatten ihn als Kind wenigstens Justy gerufen, aber auch den mochte er nicht sonderlich. Jetzt benutzte er seinen zweiten Vornamen Jeffrey und ließ sich Jeff nennen.

Während er das Türchen zu Bobs Grundstück öffnete, klatschten die ersten Regentropfen herunter. Er achtete nicht darauf. Seine Vorfreude, Bob zu sehen wuchs, als er auf dem gekiesten Weg des Vorgartens auf die schlichte Eingangstür zusteuerte. Das war Teil seiner Kindheit gewesen: hier entlangzustürmen und Bob aus dem Haus zu locken. Früher wuchsen im Garten überall bunte Blumen. Wehmütig ließ Jeff seinen Blick über die unkrautüberwucherten Beete schweifen und Zweifel schlichen sich in sein Herz. Ob Bob überhaupt noch hier wohnte? Vielleicht hatte er geheiratet und war mit seiner Frau fortgezogen.

Wind kam auf und kalte Tropfen fielen in seinen Kragen.

Ein Namensschild gab es nicht. Jeff betrachtete den Türklopfer, der die Form eines Pferdekopfes hatte. Das Messing war über die Jahre stumpf geworden. Entschlossen packte er den Metallring und klopfte - die Tür gab nach. Verwundert trat er ein. Muffige Luft schlug ihm entgegen, durchsetzt von Zigarettenrauch und Bier - und noch etwas anderem. Er konnte es nicht deuten.

»Bob?«

Keine Antwort.

Die erste Böe fuhr herein und riss an Jeffs Jacke. Er schob die Tür zu. Stille.

»Bob! Ich bin's, Jeff.«

Er sah sich um. Hier hatte sich nichts verändert.

Der abgetretene Teppich, der abgewetzte Polstersessel neben dem teakfarbenen Beistelltisch, und in der Wohnzimmerecke stand immer noch das Harmonium, auf dem Pam, Bobs jüngere Schwester, stundenlang denselben Fehler repetiert hatte.

Es schien niemand im Haus zu sein. Vielleicht war Bob arbeiten. Aber dass die Eingangstür nicht richtig geschlossen war, wunderte Jeff.

Plötzlich rüttelte eine Böe an den Fensterläden und wirbelte Papiere durch die Tür des Arbeitszimmers. Das kam Jeff komisch vor. Misstrauisch ging er hinüber und sah die eingeschlagene Scheibe. Regen peitschte herein. Verdutzt blieb er...