Nachtjagd - Black Dagger 1

von: J. R. Ward

Heyne, 2011

ISBN: 9783641066918 , 288 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Nachtjagd - Black Dagger 1


 

1


Darius sah sich im Club um und betrachtete das Gewimmel halbnackter Menschen auf der Tanzfläche. Das Screamer’s war heute Abend gerammelt voll, überall saßen und standen in Leder gekleidete Frauen und Männer, die willentlich so aussahen wie Experten auf dem Gebiet diverser Gewaltverbrechen.

Darius und sein Begleiter passten perfekt hierher.

Nur, dass sie tatsächlich Killer waren.

»Du willst das also wirklich durchziehen?«, fragte Tohrment.

Darius sah dem anderen Vampir über den niedrigen Tisch hinweg in die Augen. »Ja. Will ich.«

Tohrment ließ seinen Scotch im Glas kreisen und verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln. Nur die äußersten Spitzen seiner Eckzähne blitzten dabei hervor. »Du bist verrückt, D.«

»Das wusstest du doch schon vorher.«

Tohrment hob achtungsvoll sein Glas wie zum Toast. »Schon, aber diesmal hängst du die Messlatte wirklich hoch. Du willst die Transition eines unschuldigen Mädchens, das keinen blassen Schimmer hat, worauf zum Teufel es sich einlässt, in die Hände eines Mannes wie Wrath legen. Das ist total kaputt.«

»Er ist nicht schlecht. Auch wenn er so aussieht.« Darius leerte sein Bier. »Außerdem solltest du ihm etwas mehr Respekt entgegen bringen.«

»Ich respektiere ihn wie die Hölle. Aber es ist trotzdem eine schlechte Idee.«

»Ich brauche ihn.«

»Bist du dir da ganz sicher?«

Eine Frau in einem ultrakurzen Minirock, Stiefeln bis zu den Oberschenkeln und einer Korsage aus Münzen schlenderte am Tisch vorbei. Ihre Augen funkelten hinter großzügig aufgetragener Wimperntusche, und sie ließ die Hüften kreisen, als hätte sie ein extra Gelenk darin.

Darius schenkte ihr keine Beachtung. Ihm war heute nicht nach Sex.

»Sie ist meine Tochter, Tohr.«

»Sie ist ein Mischling, D. Und du weißt, was Wrath von Menschen hält.« Tohrment schüttelte den Kopf. »Meine Ur-Urgroßmutter war auch ein Mensch. Und, quatsche ich in seiner Gegenwart darüber? Nein.«

Darius hob die Hand, um die Aufmerksamkeit der Kellnerin zu erregen. Er zeigte auf seine leere Flasche und Tohrments fast leeres Glas. »Ich werde nicht noch eines meiner Kinder sterben lassen. Nicht, wenn eine Chance besteht, sie zu retten. Abgesehen davon kann niemand sagen, ob sie überhaupt jemals die Wandlung vollziehen wird. Sie könnte genauso gut ein glückliches Leben führen, und nie etwas von dem Erbe erfahren, dass ich ihr mitgegeben habe. So was hat es schon gegeben.«

Und er hoffte wirklich inständig, dass seine Tochter verschont bliebe. Denn wenn sie die Transition durchmachen müsste, und wenn sie daraus lebendig und als Vampir hervorginge, würde sie gejagt werden. Wie sie alle.

»Darius, wenn er es überhaupt tut, dann nur, weil er dir was schuldig ist. Nicht, weil er es will.«

»Hauptsache, er macht es.«

»Aber tust du ihr einen Gefallen damit? Der Mann ist ungefähr so fürsorglich wie eine Schrotflinte, und das erste Mal kann wirklich hart sein, selbst wenn man vorbereitet wurde. Was bei ihr nicht der Fall ist.«

»Ich werde vorher mit ihr sprechen.«

»Und wie soll das bitte ablaufen? Willst du einfach zu ihr hingehen und sagen: ›Hey, du hast mich zwar noch nie gesehen, aber ich bin dein Papa. Und übrigens, wo wir uns gerade so nett unterhalten: Du hast im Evolutionslotto gewonnen. Du bist ein Vampir! Bring die Wandlung rasch hinter dich und dann fahren wir zusammen nach Disneyland!‹«

»Das ist nicht komisch.«

Tohrment beugte sich vor, und seine massigen Schultern zeichneten sich unter dem schwarzen Leder ab. »Du weißt, ich stehe hinter dir. Ich finde nur, du solltest es dir noch mal überlegen.« Eine lange Pause entstand. »Vielleicht könnte ich es tun.«

Darius warf ihm einen ironischen Blick zu. »Und wie willst du nach der Sache wieder in dein Haus kommen? Wellsie würde dir einen Pfahl durchs Herz rammen und dich in der Sonne verbrutzeln lassen, mein Freund.«

Tohrment zuckte zusammen. »Da könntest du allerdings recht haben.«

»Und danach würde sie sich mich vorknöpfen.«

Beide Männer schauderten.

»Außerdem …« Darius lehnte sich zurück, als die Kellnerin die Getränke vor ihnen abstellte. Er wartete, bis sie wieder weg war, obwohl sie bei dem dröhnend lauten Hardcore-Rap vermutlich ohnehin kein Wort verstanden hätte. »Außerdem leben wir in gefährlichen Zeiten. Wenn mir etwas zustößt – «

»Dann kümmere ich mich um sie.«

Darius schlug seinem Freund auf die Schulter. »Das weiß ich.«

»Aber Wrath ist besser.« In der Bemerkung lag keinerlei Eifersucht. Es war einfach eine Feststellung.

»Keiner ist wie er.«

»Gott sei Dank«, sagte Tohrment mit einem halben Lächeln.

Ihre Bruderschaft, ein enger Zirkel aufrechter Krieger, die Informationen austauschten und gemeinsam kämpften, war diesbezüglich derselben Meinung. Wenn es um Vergeltung ging, war Wrath nicht zu stoppen, er jagte ihre Feinde mit einer Zielstrebigkeit, die schon an Wahnsinn grenzte. Er war der Letzte seines Geschlechts, der einzig verbliebene reinrassige Vampir des Planeten; und wenngleich seine Rasse ihn als König verehrte, verachtete er selbst seinen Status.

Es war beinahe tragisch, dass ausgerechnet er Darius’ Mischlingstochter die besten Aussichten bot, zu überleben. Wraths Blut – so stark, so unbefleckt – würde ihre Chancen, die Transition zu überstehen, erheblich erhöhen. Doch Tohrment lag völlig richtig: Darius hatte dennoch das Gefühl, Casanova eine Jungfrau anzubieten.

Urplötzlich geriet die Menge in Aufruhr, hektisch schubsten sich die Leute gegenseitig zur Seite. Sie machten Platz für etwas. Oder jemanden.

»Scheiße. Er kommt«, murmelte Tohrment. Er kippte seinen Scotch in einem Schluck hinunter. »Nimm’s mir nicht übel, aber ich verziehe mich. Bei eurem Gespräch habe ich nichts verloren.«

Darius sah zu, wie das Meer von Menschen sich teilte, um einen imposanten dunklen Schatten durchzulassen, der über ihnen allen aufragte. Der Fluchtreflex ist eindeutig einer der vernünftigeren menschlichen Instinkte.

Zwei Meter purer Terror in schwarzem Leder. Das war Wrath. Sein Haar war lang und schwarz und fiel von einem spitz zulaufenden Haaransatz gerade herunter. Eine große, gewölbte Sonnenbrille verbarg seine Augen, die er niemals zeigte. Die Schultern waren doppelt so breit wie die der meisten anderen Männer. Sein Gesicht wirkte aristokratisch und brutal zugleich. Er war ein König per Geburtsrecht, aber das Schicksal hatte ihn zu einem Soldaten gemacht.

Und diese Welle der Bedrohung, die stets vor ihm herflutete, war seine Visitenkarte.

Als der kühle Hass Darius traf, setzte er die neue Bierflasche an und nahm einen langen Zug.

Er hoffte bei Gott, dass er das Richtige tat.

 

Beth Randall sah auf, als ihr Redakteur sich auf ihre Schreibtischkante setzte. Sein Blick wanderte ohne Umwege zum V-Ausschnitt ihres T-Shirts.

»Schon wieder so spät noch im Büro«, murmelte er.

»Hallo Dick.«

Solltest du nicht zu Hause bei deiner Frau und den zwei Kindern sein?, fügte sie im Geist hinzu.

»Was machst du denn da?«

»Ich überarbeite einen Artikel für Tony.«

»Weißt du, es gibt noch andere Wege, mich zu beeindrucken. «

Ach was. Das konnte sie sich lebhaft vorstellen.

»Hast du meine E-Mail gelesen, Dick? Ich war heute Nachmittag auf dem Revier und habe mit José und Ricky gesprochen. Sie sind sich absolut sicher, dass ein Waffenhändler in die Stadt gezogen ist. Sie haben frisierte Magnums bei ein paar Drogendealern gefunden.«

Dick tätschelte ihr die Schulter und strich dann wie zufällig über ihren Arm. »Bleib du mal schön bei deinen Polizeiregistern und überlass den großen Jungs die Gewaltverbrechen. Wir wollen doch nicht, dass deinem hübschen Gesicht was zustößt.«

Er lächelte, und seine Augen bekamen einen träumerischen Ausdruck, als sein Blick an ihren Lippen hängen blieb.

Diese Schmachtnummer war schon vor drei Jahren langweilig gewesen, dachte sie entnervt. Ungefähr seitdem sie angefangen hatte, für ihn zu arbeiten.

Eine Papiertüte. Sie bräuchte eine Papiertüte, um sie sich über den Kopf zu ziehen, wenn sie mit ihm sprach. Vielleicht mit einem Bild von Mrs Dick darauf.

»Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte er.

Nur wenn es Frösche und Kröten regnet, du Schleimbeutel.

»Nein, danke.« Beth wandte sich wieder dem Computerbildschirm zu und hoffte, er würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen.

Endlich trollte er sich, vermutlich in die Bar gegenüber, die von den meisten Reportern auf dem Heimweg noch aufgesucht wurde. Caldwell, New York, war nicht gerade ein Karrieresprungbrett für Journalisten, doch Dicks große Jungs gaben sich gern den Anschein, als trügen sie eine schwere gesellschaftliche Last auf den Schultern. Genüsslich machten sie es sich an der Theke im Charlie’s bequem und schwelgten in Erinnerungen an die guten alten Zeiten, als sie noch für größere, bedeutendere Zeitungen gearbeitet hatten. Der überwiegende Teil von ihnen war genau wie Dick selbst: mäßig konservative Männer im mittleren Alter, die zwar kompetent, aber nicht wirklich außergewöhnlich in...