Der Doctor und die Lady

Der Doctor und die Lady

von: Kate Hardy

CORA Verlag, 2019

ISBN: 9783733727840 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Der Doctor und die Lady


 

1. KAPITEL

Am Mittwochvormittag kam Jake unauffällig in die Neurologie – einen Tag vor seinem offiziellen Arbeitsbeginn. Auf diese Weise konnte er am besten feststellen, wie es in seiner neuen Abteilung wirklich zuging. Niemand würde sich von seiner Schokoladenseite zeigen, da man ihn nicht erwartete.

Es schien alles in Ordnung zu sein. Es war viel los, aber dennoch ging alles ruhig und leise seinen Gang. Offenbar war das Mitarbeiterteam wirklich gut eingespielt. Die Station wirkte sauber, und an jedem Bett stand ein Spender mit Sterillium. Das war ein gutes Zeichen. Jake hatte in einigen grauenhaften Krankenhäusern gearbeitet, wo die Verwaltung das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster warf und wesentliche Dinge wie Hygiene dagegen völlig vernachlässigt wurden.

Eine Tafel zeigte an, wo Ärzte und die Stationsschwester sich aufhielten und wer welchen Patienten betreute. Also funktionierte die interne Kommunikation ebenfalls gut. Ohne Zweifel war diese Abteilung hervorragend organisiert.

Plötzlich trat vor ihm eine Frau aus einem der Zimmer. Dem offenen weißen Kittel und dem Namensschild nach zu schließen handelte es sich um eine Ärztin. Jake stockte der Atem – sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Sie war groß, über einsfünfundsiebzig, besaß unglaublich lange Beine, und das dunkle Kostüm verbarg keineswegs ihre fantastische Figur. Dunkle, wellige Haare, die zu einem Nackenknoten geschlungen waren. Graublaue Augen. Und ein Mund, der zum Küssen einlud.

Jake war wie elektrisiert. Einen Moment lang vergaß er, wo er war. Er verspürte ein unwiderstehliches Verlangen, auf sie zuzugehen, sie in die Arme zu ziehen, ihre Haare zu lösen, ihren Kopf nach hinten zu biegen und sie zu küssen. Genau wie im Film.

„Kann ich Ihnen weiterhelfen? Suchen Sie jemanden?“

Der aristokratische Akzent ließ seinen Traum augenblicklich zerplatzen und brachte ihn unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Sex-Göttinnen wurden normalerweise nicht mit einem Silberlöffel im Mund geboren. Und diese Frau hier war entschieden eine Aristokratin … und reich, denn bei näherer Betrachtung sah das Kostüm wie ein Designermodell aus. Jakes Erfahrung nach warteten Ärzte aus dieser Gesellschaftsschicht, die nicht in einer Privatklinik arbeiteten, irgendwo in einer bequemen Nische, bis sich ihnen etwas Besseres bot.

Hinzu kam, dass sie demnächst seine Kollegin sein würde, und damit war sie für ihn tabu. Jake traf sich grundsätzlich nie mit Mitarbeiterinnen aus seiner eigenen Abteilung. Wenn eine solche Beziehung endete, wirkte sich dies negativ auf das Arbeitsklima aus.

„Nein, danke. Ich komme schon zurecht“, erwiderte er kühl. Dennoch konnte er nicht so tun, als sei er gerade zufällig von draußen hereingekommen. Immerhin musste er ab morgen mit Dr. Victoria Radley – so stand es auf ihrem Namensschild – zusammenarbeiten. „Ich bin Jake Lewis.“ Er streckte die Hand aus.

„Sie sind einen Tag zu früh dran.“

Verärgert bemerkte er, dass ihm eine leichte Röte in die Wangen stieg. Warum benehme ich mich wie ein ungezogener Schuljunge, der vor seiner Klassenlehrerin steht? Schließlich bin ich ihr Vorgesetzter, dachte er. „Ich war zufällig hier in der Gegend und dachte, ich schau mal rein.“

Reinschauen? Er wollte uns wohl eher mal testen, bevor er anfängt, grübelte Vicky.

Genau das hätte sie an seiner Stelle auch getan.

Sie gab ihm die Hand. Fester Händedruck, trockene Handfläche – gut. Aber da war noch etwas. Obwohl er sie nicht mehr berührte, konnte sie immer noch seine Haut spüren. Und auch wenn es ein förmlicher Händedruck gewesen war, hatte er sich seltsam intim angefühlt, beinahe zärtlich.

Rasch verscheuchte Vicky diesen Gedanken. Wie albern. Sie hatte niemals solche Fantasien – und schon gar nicht in Bezug auf Kollegen.

Im Vergleich zu anderen Fachärzten war Jake Lewis anders. Legerer Anzug, bequeme Schuhe. Die meisten Oberärzte, die Vicky kannte, legten großen Wert darauf, ihre maßgeschneiderte Kleidung und die handgefertigten italienischen Schuhe zu präsentieren. Vielleicht interessierte Jake Lewis sich nicht für Mode, sondern tatsächlich mehr für die Medizin.

Doch das war ihr im Moment gleichgültig. Er war ein Kollege, kein potenzieller Liebhaber.

Vicky riss sich zusammen. „Die Visite haben Sie gerade verpasst. Aber wenn Sie wollen, kann ich den Kollegen Bescheid geben, die hier sind.“

„Nein, damit warte ich lieber bis morgen.“

Ziemlich schroff. Hmm, dachte sie. Hoffentlich geht er mit den Patienten etwas freundlicher um. Schade. Wenn er mal lächeln würde, sähe er sogar richtig gut aus. Er war groß genug, um ihr in die Augen zu schauen. Dunkle, seelenvolle Augen. Dunkles Haar, das ihm in die Stirn fiel und im Nacken ein klein wenig zu lang war. Und ein Mund, den sie nur zu gerne berühren würde …

Nein, natürlich nicht. Abgesehen davon, dass er ab morgen ihr Vorgesetzter war, hatte Vicky für so etwas nichts übrig. Die Arbeit hatte oberste Priorität in ihrem Leben, da war für Beziehungen kein Platz. So war es schon immer gewesen und würde es auch immer sein. Zumindest so lange, bis sie Professorin für Neurologie geworden war. Danach wäre sie eventuell bereit, die Situation noch einmal zu überdenken. Aber bis dahin auf gar keinen Fall.

„Möchten Sie sonst noch irgendwas sehen?“, erkundigte sie sich. „Es spart morgen vielleicht Zeit, wenn ich Ihnen zeige, wo das Stationszimmer, die Schließfächer und die Küche sind.“

Jake rief sich energisch zur Räson. Er hoffte, dass er keinen allzu dämlichen Ausdruck im Gesicht hatte. Victoria Radley war es sicherlich gewohnt, dass ihr die Männer zu Füßen lagen. „Nein, das ist nicht nötig. Ich bin bloß spontan vorbeigekommen.“

Ihre Miene verriet, dass sie ihm kein Wort glaubte.

„Und ich bin sicher, dass Sie genug zu tun haben“, fügte er hinzu.

Als sich ihre Miene bei seinen Worten verdüsterte, wurde ihm bewusst, was er da gerade gesagt hatte. Er hatte es so gemeint, dass er ihre Zeit nicht in Anspruch nehmen wollte, doch Dr. Radley hatte es zweifellos als Kritik an ihrer Arbeitseinstellung verstanden.

Kühl erwiderte sie: „Ganz recht. Dann sehen wir uns morgen, Dr. Lewis.“ Damit drehte sie sich um und ging davon.

Jake fluchte im Stillen. Falls er dieses Missverständnis nicht aufklärte, würde sie morgen ihm gegenüber eisig sein. Und vermutlich erzählte sie ihren Kollegen, dass der Neue sich wer weiß wie aufspielte. Aber wenn er hinter ihr herlief, um die Sache richtigzustellen, würde er wie ein Idiot dastehen. Da war eisige Professionalität noch das kleinere Übel. Deshalb beschloss er, erst am nächsten Tag mit Victoria Radley zu sprechen.

„Ob Jake Lewis wohl Single ist?“, fragte die Stationsschwester.

Vicky zuckte mit den Achseln. „Mich interessiert eher, ob er gut in seinem Job ist.“

Gemma warf ihr einen prüfenden Blick zu, den Vicky geflissentlich ignorierte. Wann würden die Kollegen denn endlich begreifen, dass sie nicht an einer Beziehung interessiert war, bevor sie ihre beruflichen Ziele erreicht hatte? Und für Jake Lewis, den neuen Oberarzt, hatte sie nun wirklich nichts übrig. Sie war ihm noch immer böse wegen gestern. Sie hatte sich bemüht, ihn willkommen zu heißen, und er hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie ihre Pflichten vernachlässigte.

Seinen Irrtum würde er jedoch bald genug erkennen. Victoria Charlotte Radley war kein Faulpelz, ganz im Gegenteil.

„Er scheint nett zu sein. Und du musst zugeben, dass er gut aussieht“, fuhr Gemma fort. „Groß, dunkel und sehr attraktiv. Und diese Augen … wie geschmolzene Schokolade.“

Vicky seufzte tief. Entweder hatte Gemma die Botschaft nicht verstanden, oder sie wollte sie einfach nicht verstehen. Doch ehe Vicky ihren Standpunkt deutlich machen konnte, piepte ihr Pager. Sie schaute auf das Display. „Ich werde in der Notaufnahme gebraucht. Ich mache die Visite später weiter, und ich rufe durch, sobald ich weiß, in welchem OP ich bin.“

„Okay. Ich trage dich auf der Tafel ein.“

„Danke.“ Vicky lächelte ihr zu, bevor sie in die Notaufnahme eilte.

„Ich bin Dr. Radley. Sie haben mich gerufen?“, erkundigte sie sich bei der jungen Frau dort am Empfang.

„Ja. Es geht um einen von Dr. Francis’ Patienten. Ich sage dem Doktor Bescheid, dass Sie hier sind.“ Sie ging in einen Nebenraum und kam wenig später mit einem jungen Arzt zurück.

„Hugh Francis, Assistenzarzt. Danke, dass Sie gekommen sind, Dr. Radley“, meinte er. „Ich habe einen Zehnjährigen mit Verdacht auf ein subdurales Hämatom.“

„Ist er gestürzt?“, fragte Vicky.

„Er ist gestolpert und hat sich den Kopf an einer Skateboard-Rampe aufgeschlagen.“

„Hat er denn keinen Helm getragen?“

„Ich konnte leider nicht viel aus ihm rauskriegen“, gestand Hugh. „Er war ziemlich eingeschüchtert. Aber einer Schwester hat er erzählt, dass er in der Schule terrorisiert wird. Eine Gruppe von Jungs hat ihm heute Morgen auf dem Schulweg aufgelauert und ihn die ganze Zeit verspottet, dass er dies und jenes auf der Rampe nicht könne. Sie haben ihm so lange zugesetzt, bis er es doch probiert hat, obwohl er keinen Helm dabeihatte. Sie verspotteten ihn als Feigling, wenn er sich nicht ohne trauen würde.“

„Und er dachte, sie würden ihn in Ruhe lassen, wenn er tut, was sie verlangen.“

„So ungefähr.“

Kinder können grausam sein, erinnerte sich Vicky. Sie dachten sich Schikanen aus, um...