Warum so kühl, Dr. O'Doherty?

von: Susan Carlisle

CORA Verlag, 2019

ISBN: 9783733727888 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Warum so kühl, Dr. O'Doherty?


 

1. KAPITEL

Aufmerksam betrachtete der Kinder-Neurochirurg Dr. Ryan O’Doherty den kleinen Jungen in dem Bett auf der Intensivstation des Angel Mendez Children’s Hospital in New York, während er mit dem Vater sprach.

„Ich habe von dem Tumor so viel wie möglich entfernt. Alles konnte ich leider nicht entfernen, um keine zusätzlichen Schäden zu riskieren.“

Ryan legte großen Wert darauf, die Wahrheit nicht zu beschönigen, wenn er mit den Eltern seiner kleinen Patienten sprach. Er hatte für das Kind getan, was er konnte. Nicht alle wurden geheilt. Das mussten die Eltern einfach akzeptieren.

„Ich verstehe. Dann werden seine Mutter und ich ihn mit nach Hause nehmen und ihm so lange unsere Liebe schenken, wie wir können“, antwortete der Vater tränenerstickt.

Da klingelte auf einmal Ryans Handy. Er tippte auf das Display, um den schrillen Klingelton abzustellen, und las die Nummer. Die Personalabteilung. Das hatte er völlig vergessen. Was konnte bei den Bürokraten schon so wichtig sein, dass er unbedingt dort gebraucht wurde?

Er sah den Vater wieder an. „Der Neurologe wird Ihren Sohn weiter behandeln. Aber ich bin da, falls es nötig sein sollte. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden?“

„Danke für alles, was Sie getan haben.“

Ryan nickte. Das war schließlich sein Job.

Zehn Minuten später ging er mit langen Schritten durch das Labyrinth grauer Flure zur Personalabteilung. Wie in den meisten Krankenhäusern lagen deren Büros im Keller und in der hintersten Ecke des ältesten Gebäudeteils. Seit er vor fünf Jahren seine Stelle angetreten hatte, war er nicht mehr hier gewesen.

Er wusste nicht genau, weshalb er gerufen worden war. Doch gestern hatte er eine E-Mail erhalten, in der um seine Anwesenheit gebeten wurde. Ryan war sicher, dass die Angelegenheit komplette Zeitverschwendung sein würde. Da man ihn in Kürze zu einer Fallbesprechung erwartete, musste er die Sache schnell hinter sich bringen.

Schließlich kam er durch eine mit Holzfolie beklebte Tür in einen tristen Warteraum, der nur durch farbenfrohe Kinderbilder an den Wänden etwas aufgehellt wurde.

Ryan ging direkt auf die Sekretärin an ihrem Schreibtisch zu. „Dr. O’Doherty. Ich möchte zu Mr Matherson.“ Er lächelte, obwohl ihm nicht danach zumute war. Denn er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es klug war, seine Gefühle zu verbergen.

„Er erwartet Sie“, erwiderte die Sekretärin.

Anstatt sich zu setzen, wartete Ryan neben ihr, als sie ihn über die Gegensprechanlage ankündigte, und schaute sich um.

Eine junge Frau, etwa Ende zwanzig, saß auf einem der Stühle an der Wand und sah zu ihm auf. Ihre großen blauen Augen erinnerten ihn an einen Sommernachmittag. Doch es lag eine tiefe Traurigkeit darin. Rasch wich der melancholische Ausdruck einem direkten Blick, ehe sie wegschaute.

Den Telefonhörer am Ohr, sah die Sekretärin zu der Frau auf dem Stuhl hinüber. Diese hatte die Knöchel gekreuzt und die Hände im Schoß verschränkt. Es war nichts Auffälliges an ihr außer ihren großen Augen und dem dicken Zopf, der ihr über die Schulter fiel. Sie trug ein hellgraues Business-Kostüm und darunter eine dünne apricotfarbene Bluse. Ryan fand sie ein bisschen zu gouvernantenhaft für seinen Geschmack.

Allerdings war ihre Kleidung von guter Qualität. Vermutlich lag es an den ausgedehnten Shopping-Trips mit seinen Schwestern, dass er das beurteilen konnte.

„Ms Edwards, Mr Matherson möchte Sie und Dr. O’Doherty jetzt gerne sprechen.“

Wer war diese Ms Edwards, und was hatte sie mit ihm zu tun? Als sie aufstand, blieb sein Blick an ihr hängen. Sie war groß und gertenschlank, und in ihren Augen lag nun ein resoluter Ausdruck.

Da erschien auch schon Mr Matherson, ein fülliger Mann mit beginnender Glatze. „Dr. O’Doherty und Ms Edwards, bitte kommen Sie in mein Büro.“

Ryan ließ Ms Edwards vorgehen. Sie reichte ihm bis zur Schulter. Das hellblonde Haar hatte sie auf besondere Weise geflochten. Wie hieß das noch gleich? Ach ja, ein französischer Zopf. Auch das hatte er von seinen Schwestern mitbekommen. Selbst mit dem Zopf reichte ihr das Haar bis zur Rückenmitte. Ob es ihr wohl bis zur Taille fiel, wenn sie es offen trug?

Ms Edwards Augen wurden schmal. Hatte sie seine Gedanken womöglich erraten?

„Bitte nehmen Sie Platz.“ Mr Matherson trat an seinen Schreibtisch und wartete, bis die beiden anderen sich auf den dunkelroten Plastikstühlen niedergelassen hatten, ehe auch er sich setzte. „Dr. O’Doherty, dies ist Lucy Edwards. Sie ist gerade neu zu uns gekommen.“

Lächelnd streckte Ryan ihr die Hand entgegen. „Ryan O’Doherty.“

Für einen Sekundenbruchteil zögerte sie, ehe sie ihm die Hand gab. Ihr Händedruck war fest, ihre Finger schmal und weich. Es war nur eine kurze Berührung, aber sie fühlte sich gut an.

Ryan sah Matherson erwartungsvoll an. Er hatte es eilig, denn sein Kollege wartete auf ihn. „Also, weshalb sind wir hier?“

Mr Matherson räusperte sich. „Ms Edwards ist Familienberaterin. Von ihrer letzten Arbeitsstelle bringt sie die besten Referenzen mit. Offenbar war sie diejenige, die regelmäßig von den Familien angefordert wurde.“

Lucy Edwards wirkte verlegen und wurde unwillkürlich ein wenig rot. Es gefiel ihr offensichtlich nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Ryan war überrascht. Seiner Erfahrung nach genossen Frauen es, wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkte.

„Unsere Klinik startet ein neues Programm zur Patientenversorgung, in dem jeweils ein Berater und ein Arzt ein Team bilden“, fuhr Matherson in wichtigem Ton fort. „Ms Edwards ist Ihre Partnerin, und Sie werden bei allen Fällen mit ihr zusammenarbeiten.“

Ryan beugte sich vor und fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Haben wir so was nicht schon vor ein paar Jahren mal ausprobiert und festgestellt, dass es nicht funktioniert?“

Matherson wirkte zerknirscht. „Ähnlich, aber das hier ist anders. Sie beide sind sozusagen der Betatest. Wenn es funktioniert, werden wir die übrigen Abteilungen dazu veranlassen, das Modell zu übernehmen.“

„Ist das wirklich notwendig? Ich bin sicher, Ms Edwards und ich können unsere Zeit sinnvoller nutzen.“

Entschlossen richtete sie sich auf. „Sprechen Sie bitte nicht für mich.“ Sie sah ihn an. „Doktor O’Doherty, ich kann Ihnen versichern, je enger die Beziehung zwischen Berater und Arzt, desto besser ist es für den Patienten.“

Sie sprach in einem weichen, gedehnten Südstaatenakzent, aber dennoch mit einem stählernen Unterton. Diese Frau hatte also Rückgrat. Interessant.

Lächelnd zog er die Brauen hoch. „Sooo.“ Er zog das Wort in die Länge, um ihren Akzent zu imitieren. „Sie glauben, dass eine enge Zusammenarbeit mit dem Arzt wichtig ist.“

Wieder wurde sie rot.

„Ich wollte damit nicht Ihre Arbeit in Zweifel ziehen“, setzte Ryan hinzu. „Ich bin lediglich der Ansicht, dass es nicht nötig ist, sich persönlich über jeden Patienten zu unterhalten. Immerhin bespreche ich mit meinen Patienten ganz andere Dinge als die, mit denen Sie sich befassen. Sie können also gerne Ihre Eintragungen in der Patientenakte über alles machen, was ich wissen sollte. Die werde ich dann lesen.“ Er stand auf.

Zu seiner Überraschung erhob sich auch Ms Edwards, um ihm die Stirn zu bieten. „Unsere Beziehung ist rein professioneller Natur“, erklärte sie gepresst. Sie atmete tief durch, ehe sie hinzufügte: „Die Patienten und ihre Angehörigen brauchen Trost und Zuwendung, die Sie Ihnen nicht geben können.“

Da hatte sie allerdings recht.

„Das ist mein Job, und ich bin gut darin.“ Energisch straffte sie die Schultern.

„Mag sein, aber ich werde meine Zeit nicht mit Besprechungen verschwenden, obwohl uns ein hervorragendes Computersystem als Kommunikationsmittel zur Verfügung steht. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden.“

„Dr. O’Doherty.“ Mr Matherson warf ihm einen strengen Blick zu. „Ich weiß nicht, ob Sie wirklich verstehen, worum es hier geht. Dies ist ein Versuchsprogramm, das der Vorstand einstimmig beschlossen hat. Ihre Kooperation diesbezüglich wird mit Sicherheit wohlwollend zur Kenntnis genommen.“

Ryan presste den Mund zusammen. Matherson spielte auf die Tatsache an, dass man ihn bei der Besetzung der Chefarztstelle der Neurochirurgie übergangen hatte, und eine Kooperation sich gut in seinem Lebenslauf machen würde. Eigentlich hätte die Position ihm zufallen sollen, doch der Vorstand hatte stattdessen Alex Rodriguez eingestellt.

Mit schmalen Lippen musterte Ryan sein Gegenüber. Na schön, wenn dieses alberne Projekt ihm Pluspunkte einbringen konnte, würde er eben mitspielen. Oder zumindest so tun als ob.

Achselzuckend meinte er: „Okay.“ Er sah Ms Edwards an. „Also sind wir jetzt wohl ein Team.“

Misstrauisch erwiderte sie seinen Blick. Würde sie es ihm durchgehen lassen, so wenig wie möglich für das Projekt zu tun? Vielleicht steckte hinter dieser unscheinbaren Frau mehr, als er ursprünglich gedacht hatte. Jedenfalls wäre es eine Herausforderung, sie zum Lächeln zu bringen.

„Gut, dann wäre das geregelt“, erklärte Mr Matherson erfreut. An Ryan gewandt, sagte er: „Falls Sie jetzt wieder in die Neurochirurgie hochgehen, würden Sie Ms Edwards freundlicherweise den Weg zeigen?“

Lucy schaute auf den egozentrischen Arzt, der einen halben...