Heilkraft der Alpen

von: Arnulf Hartl, Christina Geyer

BERGWELTEN, 2020

ISBN: 9783711250124 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Heilkraft der Alpen


 

WIESO WANDERN GLÜCKLICH MACHT


EINLEITUNG VON CHRISTINA GEYER


Wäre die Natur als Medikament in der Apotheke erhältlich, der Umfang ihres Beipackzettels entspräche ungefähr jenem dieses Buches. Nicht etwa, weil darin so viele Risiken und Nebenwirkungen angeführt wären, sondern weil die Bandbreite ihrer Wirkungen so groß ist. Ob psychische oder physische Indikation: Es gibt kaum einen Bereich, wo Natur keine Wirkung zu entfalten vermag. Sie sind schlecht gelaunt? Gehen Sie eine Runde spazieren. Sie leiden unter Asthma? Verbringen Sie zwei Wochen an den Krimmler Wasserfällen. Sie haben Depressionen? Unternehmen Sie eine Bergtour. Sie sind von Allergien geplagt? Betreiben Sie Wintersport.

Instinktiv spüren wir, dass Natur guttut. Nach einem Waldspaziergang fühlen wir uns erfrischt und belebt, wir gewinnen neue Perspektiven, sind zuversichtlicher und ausgeglichener. Nach einer Bergtour kann es passieren, dass wir regelrecht euphorisiert sind und uns danach ist, vor Glück Bäume auszureißen. Ruhig und zufrieden fühlen wir uns, wenn unser Blick von wogendem Wasser absorbiert wird. Wir verlieren uns darin, nichts beschwert unsere Gedanken, wir sehen klar.

Oft vermuten wir hinter derlei Gefühlen nicht mehr als eine diffuse Ahnung. Relativ jung ist die Disziplin der Ökomedizin, der medizinischen Untersuchung solcher Empfindungen. Nicht länger nur sind es unbestätigte Annahmen, die sich hinter unseren Glücksgefühlen in der Natur verbergen. Sie sind mittlerweile medizinische Gewissheit. In wissenschaftlich fundierter Beweisführung ist es Pionieren der Ökomedizin gelungen, die Heilkraft der Natur mit klinischen Studien zu belegen. Das subtil mitschwingende Räucherstäbchenimage einer »heilenden Natur« mag Bilder von Alternativmedizinern, Visionssuchenden und Esoterikern heraufbeschwören, die Ökomedizin stellt die heilende Natur auf einen soliden Untergrund, fest verankert in wissenschaftlichen Standards und Normen der modernen Medizin. Forschungsergebnisse bestätigen, was wohl ein jeder von uns schon einmal nach einem Aufenthalt in der Natur empfunden hat: Sie tut uns gut. Und mehr noch: Sie kann uns heilen.

Auch ich habe diese Erfahrung gemacht: Medikamentöse Behandlung, zwei stationäre Aufenthalte, ambulante Therapie, Entspannungsübungen oder Kunsttherapie – es gibt wenig, das ich unversucht gelassen hätte, um mit meinen Depressionen fertigzuwerden. Tatsächlich geholfen hat schließlich das, was ich meine »Naturtherapie« nenne. Sie sieht vor allem Bergtouren für mich vor. Danach fühle ich mich stets deutlich besser, wenn nicht sogar rundum glücklich. Das Bergsteigen setzt Energien in mir frei, von denen ich nicht einmal gewusst habe, dass sie in mir schlummern. Meine Naturtherapie wirkt besser als es sämtliche konventionellen Maßnahmen getan haben.

Die Berge haben schließlich auch meinen beruflichen Werdegang geprägt. Ich begann, als Redakteurin beim Bergwelten Magazin zu arbeiten, und irgendwann erhielt ich den Auftrag, zu recherchieren, weshalb das Wandern so glücklich macht. Damit tat sich für mich eine neue Welt auf: die Welt der Ökomedizin. Im Rahmen meiner Recherche stieß ich auf die Studienergebnisse eines Mediziners aus Salzburg, des Psychiaters Reinhold Fartacek. Der klingende Name seiner Studie: Übern Berg. Sie bestätigte die Erfahrung, die ich selbst gemacht hatte, und belegte eindrücklich die exorbitante Wirksamkeit von Bergsport auf Suizidalität. Wandern wirkt demnach ähnlich potent wie die Verabreichung eines Antidepressivums.

Nicht nur ökomedizinische Erkenntnisse belegen den gesundheitsfördernden Effekt von Bewegung, inzwischen empfiehlt auch die WHO das Zurücklegen von zumindest sieben Kilometern täglich, um eine positive Wirkung für die Gesundheit zu erzielen. Sieben Kilometer jeden Tag, das ist das Quantum, zu dem ich mich im Rahmen meiner Naturtherapie verpflichtet habe. Wo es probate Mittel gibt, gilt es, diese zu ergreifen. Und hier nun wird die Ökomedizin auch für all jene relevant, die möglicherweise nicht an Depressionen, dafür aber an Asthma oder an Stress, an porösen Knochen oder Allergien, Vitamin-D-Mangel oder Übergewicht leiden. Die Ergebnisse der Studie von Reinhold Fartacek sprechen für sich, gleichwohl stellte diese erst den Ausgangspunkt für meine Recherchen dar. Sie erschloss mir die weite Welt der Ökomedizin und mit ihr jene der Natur als sogenannte »evidenzbasierte Heilressource«, als »Agens«, wie es in der medizinischen Fachsprache heißt, also als wirkungsaktives Mittel.

Das Erstaunliche dabei: So unermesslich reich die Welt der Ökomedizin auch ist, sie ist noch weitgehend unerforscht. Gerade einmal etwas mehr als 800 Ergebnisse spuckt Google aus, wenn man nach ihr im Netz sucht. An erster Stelle steht übrigens die Seite des Instituts für Ökomedizin an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg. Wer sich hier einzulesen beginnt, kommt an einem Namen nicht vorbei: Dr. Arnulf Hartl. In seiner Funktion als Leiter des Instituts für Ökomedizin ist er ein Vorreiter der evidenzbasierten Naturmedizin im deutschsprachigen Raum. Im Zentrum seiner Interessen steht die Erforschung von Zivilisationskrankheiten: Adipositas, Muskel-Skelett-Erkrankungen, Depressionen, Angststörungen, Asthma, Allergien, Herz-Kreislauf-Krankheiten. Er vermutet, dass ihr Anstieg mit der Lebensweise des modernen Menschen zu tun hat. Wir leben in immer größeren Städten mit immer weniger Naturreizen, wir bewegen uns immer weniger und verbringen bereits mehr Zeit drinnen als draußen. All das macht uns anfällig für jene Zivilisationskrankheiten, und das ist wissenschaftlich belegt. Das Institut für Ökomedizin forscht an der Schnittstelle von Urbanisierung und Naturverlust. Was macht das Großstadtleben mit dem Menschen? Was passiert mit ihm, wenn er seine Tage hauptsächlich sitzend verbringt? Kann man etwaige Auswirkungen auf die Gesundheit messen? Welche Rolle spielen fehlende Umwelteinflüsse? Wird der Mensch krank, wenn er nicht mehr oder nur noch sehr wenig mit der Natur interagiert?

Um diese Frage mit dem Anspruch wissenschaftlicher Gültigkeit zu beantworten, bedarf es einer über jeden Zweifel erhabenen Beweisführung. In der Sprache der Forschungstreibenden: Es braucht einen evidenzbasierten Ansatz. Es reicht also nicht, zu behaupten, dass die Natur positiv auf unsere Gesundheit wirkt, sondern es bedarf der Beweise. Ebensolche sammeln die Ökomediziner: Sie untersuchen die Wechselwirkungen von Natur und Gesundheit, erfassen physiologische und psychologische Parameter und entwickeln naturbasierte Therapieverfahren zur Behandlung von Zivilisationskrankheiten. Das Institut verfügt über sein eigenes Labor an der PMU, eine futuristisch anmutende Galerie voll rätselhafter High-Tech-Instrumentarien. Hier werden Umweltparameter wie Radioaktivität, Feinstaub, Aerosole, Luftionen und Allergene gemessen, rätselhafte Apparaturen mit Blut- und Speichelproben gefüttert, um Hormone wie Cortison oder Oxytocin zu analysieren, ferner werden Entzündungswerte gesammelt und knochenimmunologische Parameter untersucht. Darüber hinaus arbeitet das Institut mit eigens für die Ökomedizin entwickelten Apps, um psychologische Messungen zu erheben. Auch Gene, Lungenfunktionswerte und die Funktionalität der oberen Atemwege können hier analysiert werden. Ob EKG oder EEG, orthopädische Messeinrichtungen oder Bioimpedanzanalyse, dermatologische Parameter oder Gerätschaften zur Aufzeichnung der kardiorespiratorischen Fitness – es gibt nichts, was es im Labor der Ökomediziner nicht gibt.

Begonnen hat alles irgendwie mit einer Maus, mit einigen hundert Mäusen, um genau zu sein: Im Jahr 2006 wollte Arnulf Hartl in seiner Funktion als Immunologe wissen, ob und wie Wasserfälle als Heilressource bei Asthma helfen können. Und so rückte er aus – mit Team und Mäusen –, um die Krimmler Wasserfälle im Salzburger Pinzgau zu untersuchen. Für einiges an Irritation hat das Bild schon gesorgt, gibt Hartl schmunzelnd zu. Man hätte sie für Sonderlinge gehalten, die ganz offenbar ein besonderes Interesse an den Wasserfällen hegten. Einen ganzen Sommer lang waren die Mediziner mit ihren asthmatischen Versuchstieren am Werk. Und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Die Symptome der asthmatischen Tiere haben sich signifikant verbessert. Man kann unumwunden behaupten: Der Sprühnebel der Wasserfälle ist der Asthmaspray der Natur. Er dringt in Form sogenannter »Wasseraerosole«, winzig kleiner Wassertröpfchen, tief in die Atemwege ein und entfaltet dort seine lindernde Wirkung. Mittlerweile sind die Krimmler Wasserfälle als Heilressource staatlich anerkannt. Bei entsprechender Indikation kann man sie sich per Krankenschein verordnen lassen. Ein Kuraufenthalt am Wasserfall – das mag merkwürdig klingen, aber die Wirkkraft der Krimmler Wasserfälle ist heute unumstritten. Hartl und sein Team haben in klinischen Studien den Beweis dafür erbracht und ein völlig neues Heilmittel für Asthma auf den Markt gebracht – mit hundert Prozent natürlichen Zutaten und ganz ohne...