Kerngesund mit der Kraft des Waldes

von: Maximilian Moser

Servus, 2020

ISBN: 9783710450358 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 16,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Kerngesund mit der Kraft des Waldes


 

WAS GESUNDHEIT IST


Gesundheit ist viel mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Sie ist Ausdruck von Selbstorganisation des menschlichen Organismus, Widerstandsfähigkeit und Lebenswille.

Es ist spannend, die verschiedenen Definitionen von Gesundheit im Lauf der letzten Jahrzehnte zu betrachten. Vom »Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens« der WHO aus dem Jahre 19461 bis zum kargen »ohne Befund« (o. B.) der medizinischen Ausschlussdiagnose des modernen Arztes spannt sich ein weiter Bogen möglicher Definitionen. Zynische Ärzte behaupten ja, dass ein Gesunder nur noch nicht ausreichend untersucht worden sei. Es ist klar, dass »ohne Befund« kein guter Ansatzpunkt für eine aktive Pflege der Gesundheit ist, und tatsächlich lernen Ärzte heute in ihrem Studium sehr viel mehr über die verschiedenen Krankheiten und ihre Behandlung als über die Erhaltung und Pflege der Gesundheit. Auch in der ärztlichen Fortbildung, die sehr oft von der pharmazeutischen Industrie veranstaltet wird, wird über die Erhaltung und Pflege der Gesundheit wenig gesprochen, dafür viel über den richtigen Einsatz von Medikamenten.

Gesundheit und Krankheit sind kontinuierliche Zustände, die fließend ineinander übergehen. Mit zunehmendem Grad der Krankheit steigen auch die Kosten exponentiell, sodass Prävention von Erkrankungen die bei Weitem sinnvollste und ökonomischste Form der Medizin wäre. (Grafik: Human Research Institut)

Aus diesem Grund sollten wir in der Medizin völlig neue Wege gehen, was die aktive Pflege von Gesundheit und die Gesundheitsprävention betrifft. Ein »Gesundheitsleitsystem« wäre notwendig, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Gesundheitsindikatoren immer wieder, auch ohne Blutabnahme, bestimmen zu lassen und sie am besten selbst visuell erleben zu können. Wäre es nicht schön, die Auswirkung von Änderungen des Lebensstils, gesunder Ernährung, ausreichender Bewegung und anderen Maßnahmen, die der Gesundheitsbildung dienen, direkt sehen und erleben zu können? So ein Gesundheitsleitsystem könnte auch Bonuspunkte für das Erreichen gesetzter Gesundheitsziele geben und Anreize bieten, mehr für die eigene Gesundheit zu tun. Es könnte gesundheitsbildende Maßnahmen vorschlagen und die Sensibilität für die eigene Gesundheit stärken.

Der »gesunde Apfel« im Krankenhaus, womöglich aus konventionellem Anbau und dreißigmal chemisch gespritzt, und eine »Behübschung« von Krankenkassen durch Umbenennung in »Gesundheitskassen« wird auf keinen Fall ausreichen, um die Umorientierung von der krankheits- zur gesundheitsgeleiteten Medizin zu schaffen. Da wir derzeit bereits über zehn Prozent unseres Bruttonationalprodukts für Krankheiten ausgeben, würde eine solche Umorientierung auch positive wirtschaftliche Konsequenzen haben.

Leider hat die heutige Medizin mit ihrem Fokus auf Krankheiten und deren Erkennung wenig Instrumente entwickelt, um Gesundheit messbar zu machen. Diese Tatsache wurde mir erstmals richtig bewusst, als wir im Jahre 1989 von russischen Raumfahrtmedizinern eingeladen wurden, an einem Weltraumprojekt an der Raumstation Mir (»Frieden«) teilzunehmen. Bei den Gesprächen mit den russischen Weltraummedizinern tauchte relativ bald die Information auf, dass Kosmonauten einfach »nicht krank werden dürfen«. Es gibt ja nur selten Ärzte im Weltraum, und ein kranker Kosmonaut kann auch nicht ohne Weiteres zur Erde zurückgebracht werden, da nur bestimmte Zeitfenster für eine mögliche Rückholung offen sind. Aus diesem Grund waren die russischen Weltraummediziner an einem System zur ganzheitlichen Messung der Gesundheit interessiert, das wir gemeinsam mit ihnen entwerfen sollten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir gerade Methoden entwickelt, mit denen man die Zeitpunkte des Herzschlages ganz genau messen konnte, und damit die sogenannte Herzrhythmusflexibilität. Das ist das auch als Herzratenvariabilität bekannte Mitschwingen des Herzschlages mit äußeren Bedürfnissen wie auch mit den Organen des restlichen Organismus. Ein gesundes Herz schlägt nämlich nicht regelmäßig, sondern es tanzt mit anderen Organen in deren Rhythmus: wenn unser Organismus entspannt ist – mit der Atmung, wenn wir konzentriert arbeiten – mit dem Blutdruck, und wenn wir Emotionen empfinden – mit der Durchblutungsrhythmik unserer Hautgefäße. Durch Messung dieser verschiedenen Schwingungen aus der Abfolge der Herzschläge ergibt sich die Möglichkeit, dem vegetativen Nervensystem, das alle diese Rhythmen steuert, bei der Arbeit zuzusehen. Dieses vegetative Nervensystem koordiniert unsere Organfunktionen und reguliert alle Vorgänge im Körper bei Gesundheit und Krankheit. Wir können also am Typus der Herzrhythmen sehen, ob der Organismus gerade auf Leistung oder auf Erholung abgestimmt ist. Die Herzrhythmusflexibilität eignet sich dadurch zur Überprüfung des Gesundheitsstatus wie kein zweiter Indikator.

Krankheiten, hier Burn-out, können frühzeitig im menschlichen Zeitorganismus erkannt werden. Sie machen sich vor allem in der Zeitstruktur der Nacht (jeweils oberes Bild, Mitte) bemerkbar, wenn der Herzschlagrhythmus sich nicht mehr

im Rhythmus der Atmung bewegt. Es fehlt dann die waagrechte Linie im ChronoCardioGramm, die für eine gesunde Herzrhythmusflexibilität in der Nacht charakteristisch ist. (Grafik: Human Research Institut, 2020)

Anatomisch besteht das Vegetativum aus zwei Ästen, Sympathikus und Vagus, die gegeneinander oder auch zusammenwirken können. Da auch das Herz von der Aktivität des vegetativen Nervensystems beeinflusst wird – der Sympathikus lässt das Herz schneller schlagen, der Vagus langsamer –, konnten wir für die Medizin ein Verfahren entwickeln, das den Grad der Gesundheit direkt messbar macht, und das ist eine große Innovation. Die russischen Weltraummediziner waren von diesem System sehr fasziniert und verwendeten es über zehn Jahre bei allen Kosmonauten, und zwar als Gesundheitskontroll- und -leitsystem für die Kosmonauten bis zum Ende der MIR-Mission um die Jahrtausendwende.

Vegetatives Nervensystem


Sympathikus

Flucht, Kampf, Wut, Leistung, Adrenalin, Cortisol

Parasympathikus (Vagus)

Erholung – Schlaf, Regeneration, Heilung, Aufbau und Fortpflanzung entzündungshemmend im Schlaf besonders kräftig

Sympathikus und Vagus, die beiden Äste des vegetativen Nervensystems, steuern alle Organe unseres Körpers. Unser Leistungsnerv (Sympathikus) ermöglicht Kampf und Flucht, während der Erholungsnerv (Vagus) die untertags passierten Verletzungen in der Nacht heilt und verbrauchte Leistungsreserven wiederaufbaut.

Ein Gesundheitsleitsystem sollte in der Lage sein, Abweichungen vom optimalen Gesundheitszustand relativ rasch und frühzeitig anzuzeigen und Gegenmaßnahmen zu ermöglichen, bevor noch Krankheiten ausbrechen oder sich chronifizieren, das heißt dauerhaft werden. Wenn ein Arzt am Röntgenbild oder am Computertomografen die räumliche Veränderung durch eine Krebserkrankung sieht, ist es eigentlich schon viel zu spät, um einzugreifen. Mithilfe der von uns entwickelten, chronobiologischen Methoden2 sind Abweichungen vom Gesundheitszustand schon wesentlich früher erkennbar und könnten, wenn die medizinische Forschung ihren Schwerpunkt auf den Bereich der Prävention verlegen würde, mit großer Wahrscheinlichkeit mit Lebensstilveränderungen zu verhindern sein – und das ist Prävention. Leider liegt der Schwerpunkt derzeit, wie bereits erwähnt, auf der Behandlung und dem Management von Krankheiten und nicht auf der Bildung und Erhaltung von Gesundheit.

Franz Viehböck (links) und der Leiter der russischen Kosmonautenausbildung, Alexander Wolkow (rechts), mit unserer Sensorjacke in der Raumstation Mir in Oktober 1991. Dieses erste »Wearable« im Weltraum enthielt acht Sensoren für Körperfunktionen, die den Gesundheitszustand des Kosmonauten unter anderem aus der Herzrhythmusflexibilität bestimmen konnten. Die Sensorgehäuse waren aus Holz gefertigt, was sich als extrem nützlich herausstellte (vgl. Kapitel »Holz als Hightech-Material«) (Foto: HRI).

Zum Glück sind heute viele Menschen bereits selbst aktiv, stellen ihren Lebensstil um und leben gesünder, sodass sehr zu hoffen ist, dass der Druck auf die Medizin und die Ärzte immer größer wird, ihre Tätigkeiten stärker in den Bereich der Prävention und der Gesundheitsbildung zu verlegen. Auch die Universitäten werden hier gefordert sein, und erste Ansätze, salutogenetische (seelische Gesundheit bildende) und hygiogenetische (körperliche Gesundheit bildende) Vorlesungen anzubieten, sollten...