Von Babylon nach Jersusalem

von: Ida Gräfin Hahn-Hahn

Jazzybee Verlag, 2019

ISBN: 9783849655747 , 160 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 0,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Von Babylon nach Jersusalem


 

Ich studierte kommunistische und sozialistische Systeme, um ausfindig zu machen, ob in ihnen der Kern enthalten sei, um welchen eine neue Gestaltung der Welt sich organisieren könne. Allein ich fand nicht, daß sie organische Kräfte, sondern nur mechanische ins Leben riefen; fand keine Einheit, sondern nur Einförmigkeit; keine schöpferische Tatkraft, sondern nur zersetzende Fähigkeit; keine verbindende, sondern nur atomisierende Elemente; mit einem Wort: keine Befähigung zum Leben – geschweige zum ewigen Leben.

 

Es gab damals Personen, welche standhaft die wirkliche Existenz des Kommunismus und seiner Propaganda leugneten, und welche behaupteten, er sei nur in Büchern vorhanden. Darüber wurde sehr viel gestritten und ich sagte einmal:

 

»Es ist impotentes Gesindel, aber durch giftigen Neid wird es uns viel Schaden tun! es wird zerstören und nichts aufbauen. Neid und Impotenz gehen Hand in Hand.«

 

Dann studierte ich Schriften von Luther, die mir bis dahin ganz unbekannt geblieben waren. Vielleicht ließ sich in ihnen das Schöpfungswort für das moderne Chaos entdecken, welches ich bei den Kommunisten nicht fand. Aber dabei erging es mir ganz schlecht. Ich bekam Anwandlungen von Rationalismus, weil ich von diesem dürren Spiritualismus, der mit dem dicksten Materialismus Hand in Hand ging, fürchterlich abgestoßen wurde, und dazwischen dann doch zuweilen einen Brocken fand, der mich in meiner Vorliebe für die angeerbte »Religion des Individuums« bestärkte. So nannte ich den Protestantismus, ohne gewahr zu werden, daß eine solche Religion alles andere eher ist als Religion, als das gemeinsame Band, welches alle Seelen umschlingt, um sie für das Himmelreich zu bilden. Ich schrieb:

 

»Ich bin im protestantischen Land, in protestantischer Zeit geboren, und bin meiner Geistesrichtung nach protestantisch. Aber vor der jetzt modischen evangelischen Kirche ekelt es mich! – Nein! Kirche – wenn Kirche sein soll! – gibt es für mich nur eine, die Katholische; und Sankt Augustinus deutet mir ihre Lehren – wenn Deutung sein soll! – eindringlicher, tiefer inniger als Luther.«

 

Die willkürliche Auffassung und Deutung waren es eben, weshalb ich meine Geistesrichtung protestantisch zu nennen beliebte, und in allen Schriften Luthers gefiel mir nichts so sehr, als das, was er über das Priestertum zum besten gibt:

 

»Ein jeglicher getaufter Christ, der ist auch schon ein Priester; nicht durch den Papst und Menschen dazu geweihet oder gemacht, sondern durch Christum selbst in der Taufe zum Priester gezeuget und geboren. Das ist Not zu wissen, auch um des päpstlichen Greuels willen, welcher den Namen Priester allein auf seinen beschornen Haufen gerissen hat.«

 

Da ich nun so gut getauft war wie jeder andere Christ meine Bibel so gut inne hatte wie mancher, und meiner Erleuchtung durch den Geist der Wahrheit auch nicht sehr mißtraute: so hielt ich mich für vollkommen befähigt, meine eigene Priesterin zu sein und freute mich ungemein, eine Stelle zu finden, in denen sich Luther ganz einverstanden mit dem Priesterinnentum ausspricht:

 

»Wo nicht Männer da wären, sondern eitel Weiber, als in Nonnenklöstern, da möchte man auch ein Weib unter ihnen aufwerfen, das da predigte.«

 

Trotz dieser rand- und bandlosen Zerfahrenheit oder eigentlich so recht mit ihr, eine Kirche bilden zu wollen, war allerdings ein Bestreben, von dem ich mit Recht widerwillig mich abwandte, weil es ohne grobe Selbsttäuschung, ja ohne Lüge nicht unternommen werden konnte. Hätten die Protestanten eine Ahnung von dem Meere der Widersprüche, in welchem ihre Reformatoren schwimmen, sie würden sich eilends flüchten zum Felsen Petri; denn wo keine Konsequenz und keine Einheit ist, kann da die ewige Wahrheit sein?

 

In jenen rationalistisch gefärbten Tagen schrieb ich einer Freundin in diesem Sinne, d.h. ich erklärte nach meiner Weise die Offenbarung und ihren Zusammenhang mit der natürlichen Religion. Nicht gering war mein Schreck, als sie mir eines Tages einen Aufsatz übersendete, in welchem ich eine Zusammentragung aller einzelnen Stellen meiner Briefe zu einem zusammenhängenden Ganzen erkannte – welche eine Person ihres Kreises gemacht hatte – und mich fragte, ob dieser Aufsatz nicht in irgend einem Journal dürfe gedruckt werden. Als ich ihn las, fand ich ihn so unbeschreiblich nüchtern und steril, wie etwa Luthers Erklärung des hohen Liedes, daß König Salomon in demselben die Polizei und das gute Regiment seines Reiches gelobt habe. Mit großer Entschiedenheit verbat ich den Druck des Aufsatzes.

 

Aus dieser platten Seelenstimmung rettete mich ein Ereignis, welches in Norddeutschland ungeheures Aufsehen machte: die Ausstellung des heiligen Rockes zu Trier. Man verstand das gar nicht! was sollte das bedeuten? was wurde damit beabsichtigt? und wie merkwürdig und unbegreiflich, daß Tausende und aber Tausende, rheinauf, rheinab dahin wallfahrteten – nicht etwa nur die niedern Klassen des Volks, sondern die Vornehmen, die Gebildeten ebenfalls! und konnte dieser Rock wirklich das Kleid sein, welches der Heiland getragen hatte? – und waren wirklich die Wunderkuren durch ihn geschehen, von denen die Zeitungen erzählten? – Ich staunte wie alle Übrigen über diese religiöse Begeisterung, von welcher der Protestant nicht die mindeste Ahnung hat. Aber statt sie zu verwerfen oder zu belächeln, tat sie mir wohl. »Ob es derselbe Rock ist, weiß ich nicht – schrieb ich damals – aber es ist derselbe Glaube, der einst das kranke Weib vor Christus niederwarf, um nur den Saum seines Kleides zu berühren und davon zu gesunden.« Mein Instinkt war immer richtig, und mein Räsonnement immer falsch! denn wenn der alte Glaube so fest, so glühend, so unwandelbar in der katholischen Kirche lebte, daß er Wunder hervorrief, wie konnte ich dann sagen: Besser keine Kirche als nur eine Kirche! Und es war keineswegs das Wunder, das Übernatürliche, das mich zurückschreckte! im Gegenteil! ich schrieb:

 

»Der Philister spricht naserümpfend: An Wunder glauben die kleinen dummen Menschen! – So? – Nun, dann haben sie mit den großen und klugen ein und dieselbe Fähigkeit. Denn Gottlob, die großen glauben nicht, daß die platte alltägliche Nüchternheit des Verstandes die Wahrheit ergründe, und daß deren dürftiger Gesetzes-Codex die Grenze der Welt- und Geisterordnung sei.«

 

Es ist eine Vorstellung, welche unzählige Protestanten haben, daß die katholische Kirche den Ihren ganz unerhörte, ganz unmögliche Dinge zumute; daß sie, auch ohne Inquisition, ich weiß nicht was für Mittel anwende, um zum Glauben zu zwingen; – eine ganz absurde Vorstellung, die aber sehr tief in protestantischen Begriffen wurzelt, weil sie aus der Zeit des Abfalls stammt, wo die Reformatoren unermüdlich behaupteten, der menschliche Geist würde durch die katholische Kirche in schmählicher Knechtschaft gehalten und sie wären berufen, dieselbe aufzuheben. Ach, der Wahn des Fortschrittes ist ein fürchterlicher Hemmschuh für die Protestanten. Ich hätte wahrlich gegen diesen Fortschritt des Geistes einiges Bedenken haben sollen, da ich mit richtiger Erkenntnis schreiben konnte:

 

»Denker muß es zu Luthers Zeit gar nicht gegeben haben; das sieht man aus seinen Schriften, die für ein nichtdenkendes Volk geschrieben sind, welches blindlings die Lehre annimmt.«

 

Nun bestand aber mein Fortschritt darin, daß ich diese Lehre verwarf und wähnte, ohne irgend eine mit dem Leben fertig werden zu können. Ein fürchterlicher Wahn, für den man mit fürchterlichem Weh büßen muß!

 

Auf das große Kirchenfest des heiligen Rockes folgte die unwürdige Komödie des Rongeanismus, bei dem ich nie einen anderen Gedanken gehabt, noch ein anderes Wort gesagt habe, als daß ein trockenes Blatt vom Baum der Kirche zu Boden wirbele. Die Ungläubigen unter den Protestanten fanden jenen schlechten Priester ein erhabenes Individuum, welches berufen sei, der katholischen Kirche den längst verdienten Todesstoß zu versetzen und damit alle Religion abzuschaffen. Ein Teil der Strenggläubigen war empört gegen ihn, weil jede Auflehnung gegen die Autorität ihnen mißfiel. Hätten sie die Verwerfung des katholischen Dogmas gebilligt, wie hätten sie alsdann einen Abtrünnigen von ihrer eigenen Konfession, der etwa die heilige Schrift als alleinige Autorität verworfen – tadeln wollen. Andere Strenggläubige konnten sich der Schadenfreude nicht enthalten, diesen, wie sie wähnten, gewichtigen Schlag gegen die katholische Kirche geführt zu sehen. Die schwärmerischen Gemüter jubelten der neuen Zeit entgegen, wo alle konfessionellen Schranken fallen und eine herrliche religiöse Brüderlichkeit die Menschheit beseligen werde. Daß sich die damals so beliebte politische Opposition in diese Larve stecke, weil die Regierungen nur erlaubten, auf religiösem Gebiet frechen Liberalismus gegen Glauben und Kirche an den Tag zu legen, – das wußten einige Wenige; aber wirklich nur sehr Wenige. Das Opposition machen war damals eine so vorherrschende Leidenschaft in...