Psychologie Heute 01/2020 - Bilder der Kindheit

von: Psychologie Heute Redaktion

Beltz - Psychologie heute, 2019

ISBN: E012003401677 , 108 Seiten

Format: PDF, Online Lesen

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 6,99 EUR

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Psychologie Heute 01/2020 - Bilder der Kindheit


 

Das war nun eine wirklich missliche Situation: zu dritt eingeschlossen in unserem kleinen Bad, meine Mutter mit mir als Säugling auf dem Wickeltisch und meinem Bruder als Kleinkind neben sich. Was war passiert? Damit sie meinen Bruder im Blick behalten konnte, während sie mich wickelte, hatte meine Mutter die Badezimmertür von innen abgeschlossen. Mein Bruder – getreu dem Motto: Wenn ich hier nicht rauskomme, kommt hier keiner raus – nahm den Schlüssel und warf ihn durchs geöffnete Fenster nach draußen. Gott sei Dank hörte ein Nachbar, wie meine Mutter um Hilfe rief, sammelte den Schlüssel draußen ein und befreite uns.

Nein, an diese Geschichte habe ich selbst natürlich keine Erinnerungen, aber sie wurde im Familienkreis immer wieder erzählt: „Wisst ihr noch, als wir alle im Bad eingeschlossen waren …“ Kinder werden in eine narrative Welt geboren; von Beginn an erschaffen Eltern und Kinder gemeinsame Erzählungen – und diese Familienerzählungen prägen unsere Erinnerungen, unsere Wertvorstellungen, unsere Identität.

Robyn Fivush ist Psychologieprofessorin an der Emory University in Atlanta in den USA und untersucht, wie wir Familienerlebnisse erinnern und in Geschichten erzählen. „Mütter sind tendenziell die Bewahrer der Familienerzählung“, sagt Robyn Fivush. „Sie strukturieren diese Geschichten mehr, fragen stärker nach Details und stellen sicher, dass die Anekdoten immer wieder erzählt werden.“ Väter, so ihre Erfahrung, verleihen den Erzählungen häufig eine witzige oder unterhaltsame Qualität und berichten Erlebnisse von harter Arbeit und Erfolg (dies sei aber nur eine grobe Tendenz und vor dem US-amerikanischen Hintergrund ihrer Forschung zu sehen, das ist der Professorin wichtig.) Die Familienerzählungen bestehen aber nicht nur aus Geschichten darüber, was Eltern und Kinder gemeinsam erlebt haben. In sie fließt auch die Vergangenheit der Eltern ein, was sich in deren Leben vor der Geburt der Kinder ereignet hat, und auch, was die Großeltern über ihr Leben berichten, bis hin zu alten Familienmythen. Wie kann ich als Erwachsener „dekodieren“, wie all diese Familienerzählungen meine Identität geprägt haben, habe ich Robyn Fivush gefragt. „Fangen Sie an, die Familiengeschichten aufzuschreiben, die Sie kennen. Aber schreiben Sie auch das auf, was Sie nicht wissen, zum Beispiel: ,Ich weiß nichts über die Ex-Freunde meiner Mutter.‘ Und beginnen Sie, über die Erzählungen und die Lücken nachzudenken. Es wird Ihnen helfen, Ihren Familienkontext zu verstehen – und wer Sie selbst sind in dieser Familie.“

Diese Ausgabe von Psychologie Heute erreicht Sie vermutlich rund um das Weihnachtsfest – vielleicht eine gute Zeit, um mit der Familie über gemeinsame Erinnerungen zu sprechen. „Bilder der Kindheit“ haben wir unsere Titelgeschichte über unsere frühen Kindheitserinnerungen genannt (ab Seite 16). Ich wünsche Ihnen spannende Erkenntnisse, bei der Lektüre wie in Gesprächen.