Die geheime Drachenschule - Der Drache mit den silbernen Hörnern - Band 2

Die geheime Drachenschule - Der Drache mit den silbernen Hörnern - Band 2

von: Emily Skye

Baumhaus, 2020

ISBN: 9783751701341 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die geheime Drachenschule - Der Drache mit den silbernen Hörnern - Band 2


 

Die Insel Sieben Feuer zeigte sich an diesem Morgen weder von ihrer guten noch von ihrer schlechten Seite. Wie so oft zeigte sie sich gar nicht. Stattdessen lag sie versteckt hinter dichten Nebelschleiern, die die schroffe Landschaft in Watte packten. Henry stand an einem der schmalen Fenster im Turmzimmer der Wolkenburg und blickte verschlafen in das graue Nichts. Ein kalter Wind wehte ihm um die Nase.

Auch schon wach?, ertönte eine Stimme in seinem Kopf, und Henry zuckte zusammen. So ganz hatte er sich noch nicht daran gewöhnt, dass sein Drache Phönix sich immer wieder in seine Gedanken schlich.

Lust auf einen Morgenritt? Wir könnten raus aufs Meer fliegen und der Sonne beim Aufgehen zusehen.

Henry lächelte. „Bin dabei. Treffen vor der Wolkenburg in zehn Minuten?“

Prima!, jubelte Phönix und verstummte. Was genau sind zehn Minuten?, fragte er nach einer Weile.

„Egal, komm einfach rübergeflogen. Wir treffen uns gleich vor der Burg.“

Jetzt sag schon. Was sind diese Minuten?, drängelte Phönix.

Henry stöhnte. Sein Drache war erst vor Kurzem geschlüpft. Er wusste also noch fast gar nichts, war aber auf alles neugierig. Henry blieb also nichts anderes übrig, als ihm den lieben langen Tag die Welt zu erklären. Während er sich sein Wams über den Kopf zog, schickte er Phönix in Gedanken das Bild einer Uhr.

„Wenn der größte der drei Zeiger sich einmal im Kreis gedreht hat, ist eine Minute vergangen. Wenn der zweitgrößte sich einmal im Kreis gedreht hat, ist eine Stunde vergangen. Und wenn der kleinste sich zweimal im Kreis gedreht hat, ist ein Tag vorbei.“

Phönix blieb einen Moment lang still. Ihr Menschen teilt die Zeit in Kreise ein?, fragte er ungläubig.

„Hm … irgendwie schon“, antwortete Henry und zog sich seinen Kilt über die Lederhose.

Ihr seid schon seltsam, befand Phönix.

„Komm einfach vor die Burg und warte dort auf mich“, befahl Henry.

Okay, das sollte ich in zehn schnellen Kreisen schaffen, sagte Phönix eifrig und verschwand aus Henrys Kopf.

Als Henry sich gerade seine schweren Stiefel anzog, schob sich der Vorhang vor Arthurs Bett zur Seite. Zum Vorschein kam ein zerknittertes rundes Gesicht, aus dem ihn zwei kleine Maulwurfsaugen anblinzelten. Henrys Freund Arthur tastete nach seiner Brille. „Rein statistisch gesehen, braucht der Mensch in unserem Alter mindestens acht Stunden Schlaf, besser neun“, stöhnte Arthur vorwurfsvoll und gähnte.

Henry hob die Schultern. „Rein statistisch gesehen, dürfte es auch keine Drachen geben.“

„Das sagst du doch nur so. Hast du es jemals nachgerechnet?“, fragte Arthur müde.

„Rein statistisch gesehen, bekommt ihr beide gleich eins auf die Nase, wenn ihr nicht aufhört zu quatschen“, kam es giftig vom Vorhang, hinter dem sich Timothys Bett befand.

Henry grinste. Er stand auf und schlich, so leise es seine schweren Stiefel erlaubten, zum Kamin in der Mitte des Turmzimmers. Über Nacht waren die Torfstücke fast völlig verbrannt, und nur noch eine kleine Glut glühte unter einer dicken Aschehaut. Kein Wunder, dass sie alle rochen wie geräucherte Schinken. Aber so hatten sie es nachts wenigstens warm. Und trotz allem liebte Henry den Geruch von brennendem Torf. Er erinnerte ihn immer daran, was für ein großartiges Abenteuer er gerade erlebte. Denn er war dabei, ein echter Drachenreiter zu werden!

Es war noch gar nicht so lange her, dass man ihn auserwählt hatte, die geheimnisvolle Schule von Sieben Feuer zu besuchen. Ein Ort, von dem alle Kinder in England träumten. Dabei wusste kaum jemand, wo diese Schule überhaupt lag. Geschweige denn, was sie so besonders machte.

Henry wusste es genau. Wer auf der Wolkenburg zur Schule ging, wurde zum Drachenreiter ausgebildet. Denn hier, auf einer abgelegenen Insel, vergessen vom Rest der Welt, lebten sie – die letzten Drachen! Kluge, magische Wesen, die sich alle sieben Jahre einen neuen Schüler aussuchten, der zu ihrem Begleiter wurde. Vorausgesetzt, dem Schüler gelang es, das magische Band zu seinem Drachen zu knüpfen.

Henry seufzte. Leider hatte er ein besonders altes, griesgrämiges Exemplar erwischt. Happy (der ihm für diesen Namen noch immer am liebsten den Hosenboden verbrennen würde) hatte es ihm nicht gerade leicht gemacht, das Band zu ihm zu knüpfen. Es hatte Henry einige wilde Drachenflüge und unzählige blaue Flecken gekostet. Und nur mithilfe seiner Freunde Lucy, Arthur und all den anderen hatte er schließlich herausgefunden, warum der Drache ihn so abweisend behandelte: Happy hatte Henry nicht seinetwegen nach Sieben Feuer gerufen, sondern damit er das Band zu Phönix knüpfte, einem jungen Drachen, der damals noch in seinem Ei schlummerte und darauf wartete zu schlüpfen …

Henry lächelte, als er an Phönix dachte. Dann griff er sich ein Stück Torf aus dem Korb, der neben dem Kamin stand, legte es auf den Aschehaufen und blies so lange in die Glut, bis kleine Flammen züngelten. Die anderen würden ihm dankbar sein, wenn sie aufstanden und es noch warm war.

Ausgestattet mit einer Thermoskanne Tee und einer Packung Kekse, die er sich in der Küche stibitzt hatte, ging Henry wenig später durch das eiserne Tor der Wolkenburg.

Auf dem Vorplatz lag Phönix und schnappte träge nach einem Spatz, der über seinen Rücken hüpfte. Empört zwitschernd flog der Vogel davon.

Da bist du ja endlich!, beschwerte sich der Drache.

„Ich hab doch gesagt, dass ich zehn Minuten brauche.“

Ihr mit euren Zeitkreisen, murrte Phönix. Da soll mal einer schlau draus werden. Komm, spring auf! Der einzige Kreis, der darüber bestimmen darf, wann Tag und wann Nacht ist, steigt gleich aus dem Meer auf und nennt sich Sonne.

„Auch wieder wahr“, sagte Henry und kletterte auf Phönix’ Rücken.

Seitdem der Drache geschlüpft war, waren seine orangen Schuppen nachgedunkelt und leuchteten jetzt so rot wie die Blätter der Laubbäume im Herbst. Zudem war er ein ganzes Stück gewachsen und schon fast so groß wie die Vierhörner, die Henrys Klassenkameraden Timothy und Edward ritten.

Der junge Grind wurde seinem alten Artgenossen, dem grimmigen Happy, immer ähnlicher.

Henry machte es sich hinter der dreizehnten Schuppe in Phönix’ Rückenkamm bequem, und während sich der junge Drache in die Luft erhob, knabberte Henry einen seiner Kekse und goss sich etwas Tee in den Deckel seiner Thermoskanne – und das, ohne auch nur einen einzigen Tropfen zu verschütten. Was das Fliegen anging, waren sie vom ersten Tag an ein perfektes Team.

So sausten die beiden Richtung Meer.

Was ist eigentlich eine Thermoskanne?, fragte Phönix in die Stille hinein.

Nicht schon wieder!, dachte Henry, versuchte aber seine Ungeduld im hintersten Winkel seines Herzens zu verstecken. Schließlich wollte er seinen Drachen nicht verletzen.

Thermos! Klingt wie ein Drachenname oder wie der Name eines Gottes. Hat die Kanne etwa mal einem Gott gehört?, fragte Phönix aufgeregt.

Henry musste grinsen. „Ja, dem Titanen Henry.“

Er schraubte den Deckel wieder zu und verstaute die Kanne unter seinem Wams. Gerade noch rechtzeitig, denn sonst wäre sie ihm schon im nächsten Moment aus der Hand gefallen und zusammen mit den Keksen ins Meer gestürzt.

Ein Sirren erfüllte die Luft, und dann ging alles ganz schnell. Phönix drehte sich auf die Seite und tauchte ab. Reflexartig presste Henry seine Oberschenkel fester an den Körper des Drachen und krallte sich in die Rückenschuppe vor ihm.

„Hey, was soll …“ Weiter kam er nicht.

Gut festhalten!, befahl Phönix und jagte durch den bleigrauen Himmel irgendetwas hinterher, das längst von den Wolken vor ihnen verschluckt worden war. Doch der junge Grind konnte sich auf seine Instinkte verlassen. Einen Wimpernschlag später riss er sein Maul auf und schnappte nach dem Etwas, das das sirrende Geräusch verursacht hatte. Ein hässliches Knacken ertönte, und das Sirren erstarb.

„Was zur Hölle war das denn?“, entfuhr es Henry.

Keine Ahnung, aber es hat uns angegriffen.

„Ist … ist es tot?“, fragte Henry.

Na ja, es sirrt zumindest nicht mehr, und wenn ich mich nicht täusche, besteht es jetzt aus mindestens drei Teilen, erwiderte Phönix kauend und mit vollen Backen.

Henry wurde flau im Magen. „Lass uns auf dem Haupt des Riesen landen und es uns genauer ansehen.“

Das Haupt des Riesen war der höchste Punkt von Sieben Feuer. Eine Steilklippe, an der die Drachen ihre Höhlen hatten.

Ich könnte es auch einfach runterschlucken, und wir tun so, als ob nichts gewesen wäre, schlug Phönix vor.

Henry schüttelte den Kopf. „Wenn ich hier eins gelernt habe, dann, dass man sich seinen Geheimnissen stellen muss“, seufzte er.

Wie du willst, sagte Phönix und steuerte auf die Steilklippe zu.

Sie landeten, und während Henry vom Rücken seines Drachen stieg, spuckte Phönix ein vollgesabbertes Etwas aus.

Henry traute sich gar nicht hinzusehen. Vorsichtig spähte er über den Vorderlauf seines Freundes und erblickte …

„Ein Holzfrisbee?“, fragte er ratlos.

Was ist ein Frisbee?, wollte Phönix wissen, der dabei war, das dreiteilige Puzzle mit seiner Schnauze zusammenzuschieben.

Bevor Henry antworten...