Die geheime Drachenschule - Die Rückkehr des siebten Clans - Band 3

Die geheime Drachenschule - Die Rückkehr des siebten Clans - Band 3

von: Emily Skye

Baumhaus, 2020

ISBN: 9783751701358 , 272 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Die geheime Drachenschule - Die Rückkehr des siebten Clans - Band 3


 

Nach einer viel zu kurzen Nacht saßen eine müde Lucy und ein noch müderer Henry in der Bibliothek und lauschten dem Unterricht von Master Nicolas.

Der Lehrer hielt seine rechte Hand in die Höhe. Trotz der milden Temperaturen steckte sie in einem wollenen Handschuh, dessen Fingerspitzen er abgeschnitten hatte, um besser in seinen Büchern blättern zu können. Die unterste Etage der Bibliothek war tief in die Klippe, auf der die Wolkenburg stand, gegraben worden. Hier wurde es selbst im Sommer nicht warm.

Die vier Finger des Lehrers (der ganz kleine war ihm irgendwann abhandengekommen) ragten mahnend in die Höhe.

„In vier Wochen habt ihr eure Abschlussprüfungen. Bis dahin solltet ihr alle ehemaligen Reiter eurer Drachen kennen. Und die Jahreszahlen, wann sie euren Drachen geritten haben, und natürlich ihre Verdienste.“

Ein Stöhnen ging durch die Klasse.

„Nein, nein, Leute. 100 % positiv. Kein Grund zur Besorgnis“, rief Arthur, Henrys bester Freund, der manchmal leider ein ziemlicher Besserwisser war. „Das Bündnis der Sieben Feuer gibt es erst seit etwas über siebenhundert Jahren“, sagte er und schien im Kopf nachzurechnen. „Da jeder Reiter immer sieben Jahren mit seinem Drachen verbringt, sind es lediglich Daten und Fakten zu 102 Reitern, die ihr auswendig lernen müsst.“

Ein erneutes Stöhnen ging durch die Klasse, und Arthur blickte sich verwundert um.

„Was habt ihr denn? Ich weiß bereits alles über Pyrothargas’ ehemalige Reiter. Wusste ich sogar schon, bevor Master Nicolas uns die Aufgabe gestellt hat.“

Timothy kramte in seiner Tasche nach einem Defender, einer kleinen Holzkugel, die man beim Drachenball verwendete. Er zielte und warf.

Ein Plock ertönte, und Arthur verstummte erschrocken. Timothys Wurf hatte gesessen. Da Arthur aber mittlerweile neben seiner Brille auch seine Drachenballschutzkappe nur zum Schlafen auszog (sicher war sicher), hatte der Aufprall des Defenders nicht wehgetan.

Einen Schreck hatte Arthur trotzdem bekommen.

„100 % negativ“, äffte Timothy ihn nach. „Bis auf meinen Onkel, der mir damals davon berichtet hat, dass ich für Sieben Feuer auserwählt wurde, kenne ich noch keinen einzigen von Königsbluts ehemaligen Reitern.“

„Tja, dann heißt es ab jetzt wohl mehr büffeln und weniger Drachenball spielen“, entgegnete Master Nicolas ungnädig.

Bis auf Arthur und Henry murrten nun auch alle anderen.

„Was ist denn mit dir los?“, wandte sich Timothy an Henry. „Als ob du dir mehr als drei Dinge auf einmal merken könntest.“

Henry verschränkte grinsend die Arme hinter dem Kopf und begann, auf den hinteren beiden Stuhlbeinen vor und zurück zu schaukeln. „Denk doch mal nach. Phönix ist gerade erst geschlüpft. Ich bin sein erster Reiter. Da gibt es also nicht viel zu lernen.“

Master Nicolas sah ihn erstaunt an. Er zog die Augenbrauen nach oben, und seine Stirn legte sich in Falten.

„Netter Versuch, Henry“, sagte er. „Ich dachte, dir wäre klar, dass du die ehemaligen Reiter von Happy, dem einhörnigen Teufelsgrind, lernst.“

Henry fiel fast vom Stuhl. Die vorderen Stuhlbeine donnerten auf den steinernen Boden der Bibliothekshalle.

„Nicht Ihr Ernst!“

Timothy und Lucy kicherten schadenfroh.

Master Nicolas fuhr unbeeindruckt fort. „Es gibt zwei Möglichkeiten, wie ihr die Namen lernen könnt. Entweder ihr wälzt hier in der Bibliothek die Bücher zu euren Drachen, oder ihr lasst euch die Geschichte eurer Drachen von ihnen selbst erzählen.“

„Positiv“, sagte Arthur. „Ich habe beides gemacht.“

Am liebsten hätte Henry seinem Freund einen weiteren Defender an den Kopf geworfen. Er hatte echt keine Lust, sich in der Bibliothek durch sämtliche Wälzer zu graben. Aber genauso wenig freute er sich darauf, Happy zu befragen. Der alte Griesgram würde sich erst ewig bitten lassen und ihm dann ausführlich von seinen Heldentaten berichten.

Henry seufzte und knüpfte das Band zu Phönix.

Guten Morgen, Henry, begrüßte der junge Drache ihn fröhlich, klang aber noch reichlich verschlafen.

„Hallo, Phönix“, entgegnete Henry und erzählte ihm von der Aufgabe. „Mir wird nichts anderes übrig bleiben, als Happy zu fragen.“

Im Nu war Phönix hellwach. Das ist ja großartig!, freute sich sein Drache. Verrätst du mir, was Happy dir berichtet hat?

Im Gegensatz zu Henry freute sich Phönix über alles Neue, was er lernen konnte. Und er hatte ein riesiges Gedächtnis.

„Du bist fast so ein Streber wie Arthur“, stöhnte Henry.

Ein Streber? Wie Arthur?, fragte Phönix erfreut. Das ist was Tolles. Richtig?

„Wie man’s nimmt“, antwortete Henry und kappte das Band zu seinem Drachen, denn Master Nicolas hatte begonnen, über den großen Abschied zu erzählen.

„Am letzten Schultag müssen sich die Reiter des siebten Jahrgangs von ihren Drachen verabschieden. Das Band, das sie sieben Jahre miteinander verbunden hat, wird zerschnitten. So war es seit jeher. Und so wird es immer sein.“

„Das ist so ungerecht“, beschwerte sich Lucy. „Warum kann man nicht auf ewig mit seinem Drachen verbunden bleiben?“

Master Nicolas verschränkte die Hände unter den weiten Ärmeln seiner Kutte und lächelte Lucy mitfühlend an. „Ewig ist ein großer Begriff, Lucy. Für uns bedeutet ewig ein Menschenleben. Doch unsere Drachen werden mehrere Tausend Jahre alt.“

„Na und?“, fiel ihm Timothy ins Wort. „Dann könnten wir doch zumindest unser kurzes Leben mit ihnen teilen.“

Master Nicolas schüttelte milde lächelnd den Kopf. „So funktioniert das Bündnis der Sieben Feuer aber nicht. Unsere Drachen brauchen euch, genauso wie sie ihre ehemaligen Reiter brauchen. Über die sieben Jahre hinaus. Auch wenn das Band zu eurem Drachen gelöst wird, werdet ihr weiter an Sieben Feuer gebunden sein. Ihr werdet euch ein Leben lang für den Fortbestand des Bündnisses einsetzen. So wie alle Drachenreiter vor euch. Ihr seid verantwortlich dafür, dass Sieben Feuer niemals entdeckt wird und dass alle Versuche der neugierigen Menschen, uns zu enttarnen, verhindert werden. Und dafür braucht es weit mehr als einen Reiter pro Drachen.“

Master Nicolas hielt inne, als er in die traurigen Gesichter seiner Schüler sah.

„He, kein Grund, Trübsal zu blasen. Euch bleiben die gemeinsamen Erinnerungen mit euren Drachen. Die wundersamen und die abenteuerlichen, die glücklichen und die traurigen, die stillen und die großen Momente.“ Er griff in den Ausschnitt seiner Kutte und fischte eine Kette hervor, an der ein tränenförmiger Anhänger befestigt war. Es sah fast so aus, als ob eine kleine Flamme im Innern des Anhängers hin und her zuckte. „Das ist eine Drachenträne.“

„Daraus wird das traurige Elixier gewonnen“, meldete sich Arthur zu Wort. „Um Wunden zu heilen.“

Master Nicolas nickte. „Das stimmt. Doch in diesem Fall heilt die Träne keine körperlichen Wunden, sondern seelische. Sie ist Balsam für den Herzschmerz. In der Drachenträne sind eure gemeinsamen Erinnerungen eingefangen. Die Träne sorgt dafür, dass diese niemals verblassen. Egal, wie viel Zeit vergeht, durch das Amulett fühlt es sich so an, als ob jede Erinnerung an euren Drachen erst gestern gewesen wäre.“ Gedankenverloren hielt Master Nicolas die Träne umfasst. Dann räusperte er sich. „Doch genug davon. Kommen wir zurück zum großen Abschied.“ Er ließ das Amulett wieder unter seiner Kutte verschwinden. „Alle ehemaligen Reiter der Drachen des Abschlussjahrgangs werden nach Sieben Feuer kommen, um den jetzigen Reiter in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Vorher wird der Drache seinem Reiter den Namen seines Nachfolgers nennen. Seine letzte Aufgabe besteht also darin, seinen Nachfolger zu finden und nach Sieben Feuer zu geleiten.“

Henry dachte daran, wie sein Cousin Charles vor nicht mal einem Jahr erst bei seinem Fußballspiel und dann bei ihnen zu Hause aufgetaucht war. Geheimnisvoll, aber auch ein wenig traurig hatte er gewirkt. Jetzt wusste Henry, warum.

„Henry?“ Master Nicolas riss ihn aus seinen Gedanken und blickte ihn fragend an. Henry hatte keine Ahnung, was er von ihm wollte.

„Du bist echt ein Phänomen“, zischte Lucy ihm zu. „Du schaffst es wirklich keine zwei Minuten, dich auf den Unterricht zu konzentrieren, oder?“

„Sag mir lieber, was Master Nicolas von mir will“, murmelte Henry zurück. Dabei lächelte er den Master freundlich an und versuchte seine Lippen beim Sprechen möglichst nicht zu bewegen.

„Anonymus“, half Master Nicolas ihm auf die Sprünge. „Hat der junge Blattfinger dir mittlerweile verraten, wer sein erster Reiter sein wird?“

Henry hob bedauernd die Schultern. „Nö, leider noch nicht.“

In einer Nacht- und Nebelaktion war es Henry und Timothy
gelungen, den jungen Drachen aus den Fängen von Lady Blackstone zu befreien. Jetzt hofften die Master alle darauf, dass er Henry den Namen seines ersten Reiters nennen würde. Doch Fehlanzeige. Was das betraf, schwieg Anonymus.

„Hoffen wir, dass er sich am Tag des Abschieds offenbart“, seufzte Master Nicolas. Er wandte sich an den Rest der Klasse. „Und lasst uns hoffen, dass Henry dieses eine Mal zuhören...