Armee ohne Auftrag - Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik

Armee ohne Auftrag - Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik

von: Wilfried von Bredow

OrellFüssli, 2020

ISBN: 9783280091012 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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Armee ohne Auftrag - Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik


 

Weltpolitische Klimaverschlechterung


Alle reden vom Klima und sind besorgt über den globalen Klimawandel. Das betrifft nicht nur das Wetter, sondern auch das politische Klima. Als sich die ohnehin immer brüchiger gewordene Ost-West-Bipolarität um 1990 aufgelöst hatte, drängten sich neue Schlüsselbegriffe zur Kennzeichnung der weltpolitischen Entwicklung auf: Paradoxe Globalisierung, Verblassen des internationalen Regelkonsens, Überdrehung der Finanzmärkte, Staatsabschwächung und Staatsverfall auf mehreren Kontinenten, Scheitern der US-amerikanisch geführten Weltordnungspolitik, Aufstieg der Volksrepublik China, wachsendes Destruktionspotenzial religiös begründeter Politik, neue Formen der Kriegsführung. Wahrlich unübersichtlich, das alles! Oder anders gesagt: Die Welt von heute hat es mit einem höheren Maß an Gefahren und Unsicherheit zu tun. Das trifft auch dann zu, wenn man in Rechnung stellt, dass die direkte nuklearstrategische Konfrontation der damaligen weltpolitischen Vormächte USA und UdSSR in dieser Form heute nicht mehr existiert.

Zugleich hat sich in den letzten Jahren die Zahl jener existenziellen Weltprobleme erhöht, die mit Aussicht auf Erfolg nur mittels gemeinsamer Politik gelöst oder wenigstens gemildert werden können. Aber wie sollen zum Beispiel umwelt- und klimapolitische Ziele erreicht werden, wenn die – metaphorisch so bezeichnete – weltpolitische Klimaverschlechterung weiter anhält?

Kleiner historisch-politologischer Exkurs


Weltpolitik, die diesen Namen sozusagen geografisch zu Recht trägt, gibt es noch gar nicht so lange, erst seit drei, vier Jahrhunderten. In den Zeiten davor blieb die im Bewusstsein der Menschen und für die Politik eines Staates relevante Außenwelt in der Regel territorial beschränkt. Die »Welt« umfasste noch nicht den gesamten Globus. Die Erde als politisch vorstellbare Einheit gab es noch nicht. Die Menschen kamen erst langsam dazu, global zu denken. Trotzdem existierten und konkurrierten kleine und große Reiche, gab es expansive Kulturen; und freilich jede Menge Kriege und Feldzüge. Manche, wie etwa die Alexanders des Großen, halfen, das Weltbewusstsein der Zeitgenossen erheblich zu erweitern.

Wenn sie das gesamte Beziehungsgefüge der Staaten und anderer grenzüberschreitend aktiver Organisationen und Akteure beschreiben, benutzen die Politologen den Begriff des internationalen Systems. Er ist zunächst rein formaler Natur und soll ein Gebilde kennzeichnen, dessen Zusammenhang und Zusammenhalt inhaltlich auf der allgemeinen Anerkennung eines mal kleineren, mal etwas größeren Minimums von Regeln und Umgangsformen der beteiligten Staaten besteht. Daraus ergibt sich schon rein aus Gründen der wechselseitigen Betroffenheit, der Macht des Faktischen, die Notwendigkeit zur Kommunikation untereinander. Die muss nicht freundlich sein, denn die Konkurrenzen und Interessenkonflikte bestehen ja auch innerhalb eines solchen internationalen Systems. Aber ein Mindestmaß an gültigen Regeln, rechtlich fixiert oder informell, darf nicht unterschritten werden.

Früher blieben internationale Systeme groß-regional beschränkt, etwa das der griechisch-römischen Zeit des Mittelmeerraums. Seit dem 15./16. Jahrhundert expandierte das eurozentrische internationale System des Mittelalters schrittweise über den ganzen Erdball. Es führte im 17. Jahrhundert festere rechtliche und politische Umgangsregeln ein und wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu dem ersten wirklich globalen, d. h. erdumspannenden internationalen System.

Diese Expansion beruhte auf politischen, wirtschaftlichen und technologischen Impulsen, allesamt in sich konfliktreich. Der Erwerb von Kolonien und ihr Zusammenbinden in überseeische Besitztümer ging nicht ohne brutale Eroberungs- und Unterwerfungskriege ab, zugleich aber auch nicht ohne Kriege zwischen den konkurrierenden europäischen Mächten um die Vorherrschaft in Europa. Historiker wie Paul Kennedy haben diesen quasipermanenten Streit um die Vorherrschaft und die Anstrengungen der einzelnen Staaten, sich in der Rangfolge der mächtigsten Staaten besser oder sogar möglichst ganz oben zu positionieren, als einen der Gründe ausgemacht, warum gerade das europäische internationale System sich globalisiert hat.

Jedoch ist die Bezeichnung dieses internationalen Systems als europäisch nur insofern korrekt, als Europa sein Ursprungskontinent ist. Die hier entwickelten Vorstellungen über Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur fassten auch auf anderen Kontinenten Fuß, hauptsächlich über die Migration (aus sehr unterschiedlichen Gründen) und die Übernahme dieser Vorstellungen in manchen der sich früh von Europa politisch emanzipierenden Kolonien. Die »amerikanische Revolution« von 1775/1776 ist dafür das leuchtende Beispiel.

Weltordnung, allgemein


Der französische Politikwissenschaftler Raymond Aron definierte ein internationales System als die Gesamtheit politischer Einheiten, welche untereinander reguläre Beziehungen unterhalten und in einen allgemeinen Krieg hineingezogen werden können. Über die Art der regulären Beziehungen ist damit noch nichts ausgesagt. Angesichts der Verschiedenheit politischer Einheiten, was ihre territoriale Ausdehnung, ihren Ressourcenreichtum und ihre militärische Macht angeht, kann man sich jedenfalls gut vorstellen, wie kompliziert es ist, solche Beziehungen auf längere Dauer aufrechtzuerhalten. In der Regel geht das nicht ohne eine durchsetzungswillige und -fähige Ordnungsmacht. Tatsächlich lehrt ein Blick in die Geschichte, dass es immer wieder solche Ordnungsmächte gab, die dem jeweiligen internationalen System – entweder im Alleingang oder mit einer anderen Macht konkurrierend, entweder eher kooperativ oder durch Zwang – ihre Ordnungsvorstellungen aufprägen wollten.

In der Rangfolge von Staaten stehen solche Ordnungsmächte ganz oben. Sie streben nach Hegemonie, auch weil sie ihren Rangplatz nicht verlieren wollen. Hegemonie kann aber auf längere Zeit nur funktionieren, wenn sie nicht nur der Vormacht selbst, sondern auch den anderen Mächten etwas einbringt, wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten etwa und Sicherheit im doppelten Sinne des Wortes – als Verlässlichkeit der Beziehungen untereinander und als ein gewisser Schutz vor Bedrohungen von außerhalb des internationalen Systems. Den Begriff der Weltordnung kann man entweder sozusagen inhaltsneutral als den gerade bestehenden Zustand des internationalen Systems verstehen. Oder als durch Ordnungsmächte durchgesetzte, von bestimmten und weitgehend akzeptierten Welt- und Wertvorstellungen charakterisierte, also inhaltlich bestimmte Ordnung.

Seit dem 17. Jahrhundert war das europäische internationale System mit seinen überseeischen Außenstellen, sprich: Kolonien und sonstigen Einflussgebieten, als Staatensystem definiert, das auf der (rechtlich definierten) souveränen Gleichheit der Staaten und dem daraus folgenden Grundsatz der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten beruhte. Auch eine gewisse, wenn auch nicht sehr wirkungsvolle Einhegung des Krieges war ein Element dieses »Westfälischen Systems der internationalen Beziehungen« (benannt nach dem Westfälischen Frieden am Ende des 30jährigen Krieges). Der Krieg galt im Übrigen als ein völlig legitimes Mittel zur Durchsetzung staatlicher Interessen, auch expansiver Interessen.

Die Detailgeschichte dieser, wenn man so will, »Westfälischen Weltordnung«, ihrer inneren Widersprüche, ihres Wandels infolge von Revolutionen und anderer Umbrüche, des Abfalls, aber auch des Auf- und Ausbaus vieler zunächst nur als Wirtschaftsobjekte wahrgenommener Kolonien zu Imperien, der imperialen Konkurrenz, die in zwei Weltkriegen kulminierte, all das ist spannend zu verfolgen, aber hier nicht unser Thema. Festzuhalten gilt, dass der Zusammenhalt eines internationalen Systems, gleichviel ob er mehr auf einer Balance mehrerer Mächte oder der Dominanz einer einzigen Ordnungsmacht beruht, immer gefährdet ist. Das Wohlergehen und die Sicherheit der Menschen können niemals garantiert, allenfalls auf Zeit stabil gehalten werden.

Paradoxe Globalisierung


Hier kommt ein weiterer Begriff ins Spiel, die Globalisierung. Also die Ausdehnung des ursprünglich europäischen internationalen Systems mit seinen Ordnungselementen und -versprechungen über den gesamten Globus. Dieser Prozess hat alle anderen politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen auf der Erde in der einen oder anderen Weise in Mitleidenschaft gezogen. Seine Dynamik hat in den letzten Jahrzehnten weiter zugenommen und wird sich in den vor uns liegenden Jahrzehnten voraussichtlich kaum verlangsamen. Das private, berufliche und das öffentliche Schicksal von immer mehr Menschen wird weltweit mindestens indirekt, meist jedoch direkt von der Globalisierung beeinflusst. Sie hat die verschiedensten Lebensbereiche erfasst, von der Wirtschaft, deren Märkte zu »Weltmärkten« werden, und der Politik, über die Unterhaltungsindustrie, den...