Dir ergeben - Roman

von: J. Kenner

Diana Verlag, 2013

ISBN: 9783641121396 , 416 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Dir ergeben - Roman


 

 

1

»Bist du bald fertig?«, frage ich. »Die Sonne ist schon vor fünf Minuten untergegangen.«

Einige Meter von mir entfernt lehnt sich Blaine zur Seite, sodass er teilweise hinter der Leinwand zum Vorschein kommt. Ich rühre mich nicht, kann aber gerade noch seine Schultern, seinen Glatzkopf und sein knallrotes Ziegenbärtchen aus den Augenwinkeln erkennen.

»Aber in meiner Vorstellung bist du immer noch in Licht getaucht. Und jetzt halt still und sei ruhig!«

»Kein Problem.« Ich höre, wie er genervt knurrt, weil ich mich einfach so über seine Regeln hinweggesetzt habe.

Mal ganz abgesehen davon, dass ich nackt in einer Türöffnung stehe, ist das ein ganz normales Gespräch für uns. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt: an die kühle Meeresbrise, die meine Brustwarzen steif werden lässt. An den Sonnenuntergang, der so leidenschaftliche Gefühle in mir hervorruft, dass ich am liebsten die Augen schließen und mich ganz dem intensiven Licht- und Farbenspiel hingeben würde.

Es macht mich nicht mehr nervös, dass Blaines Blick prüfend auf mir ruht, und ich zucke auch nicht mehr zusammen, wenn er sich beim Korrigieren meiner Haltung so weit vorbeugt, dass er beinahe meine Brust oder meine Hüfte berührt. Sogar wenn er »Perfekt! Nikki, verdammt, du siehst einfach perfekt aus!« murmelt, zieht sich mein Magen nicht mehr schmerzhaft zusammen, und ich stelle mir auch nicht mehr vor, dass ich meine Hände zu Fäusten balle und meine Fingernägel in die Handballen grabe. Ich bin nicht perfekt – bei Weitem nicht. Aber ich flippe nicht mehr aus, wenn ich diese Worte höre.

Nie hätte ich mir träumen lassen, einmal so unbekümmert für einen Akt Modell zu stehen. Ich habe zwar den Großteil meines Lebens damit verbracht, auf einer Bühne auf und ab zu laufen – aber selbst als ich noch an Schönheitswettbewerben teilnahm, war ich immer bekleidet. Sogar bei Auftritten im Badeanzug waren die entscheidenden Stellen bedeckt. Ich kann mir gut vorstellen, wie entsetzt meine Mutter wäre, wenn sie mich jetzt so sehen könnte: hocherhobenen Hauptes und mit durchgebogenem Rücken, während meine Hände mit einem roten Seidenband auf den Rücken gefesselt sind, das zwischen meinen Beinen hindurchführt und sich dann sanft um einen Schenkel legt.

Schon seit Tagen habe ich keinen Blick mehr auf Blaines Leinwand geworfen, aber ich kenne seinen Malstil und kann mir vorstellen, wie er mich mit seinen Pigmenten und Pinselstrichen eingefangen hat: sinnlich, unterwürfig.

Eine gefesselte Göttin.

Meine Mutter würde bestimmt ausrasten, aber ich genieße es sehr. Vielleicht gerade deswegen! Aus der braven Prinzessin ist eine Revoluzzerin geworden, und das fühlt sich verdammt gut an.

Ich höre Schritte auf der Treppe und zwinge mich, meine Position beizubehalten, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche, als mich umzudrehen und ihn anzusehen: Damien.

Damien Stark ist das Einzige, an das ich mich in meinem neuen Leben noch nicht gewöhnt habe.

»Das Angebot steht.« Damiens Worte hallen durch das Marmortreppenhaus bis in den dritten Stock. Er hat seine Stimme nicht erhoben, trotzdem strahlt sie eine solche Autorität, ein solches Selbstbewusstsein aus, dass sie den ganzen Raum erfüllt. »Sagen Sie ihnen, sie sollen sich ihre Gewinn- und-Verlust-Rechnung noch mal gut anschauen. Sie machen keinen Profit, und wenn das so weitergeht, gibt es Ende des Jahres nicht einmal mehr die Firma. Sie befindet sich mehr oder weniger im freien Fall, und ist sie erst mal pleite, sind sämtliche Angestellten ihren Job los. Dann ist die Firma endgültig ruiniert, und wenn die Gläubiger ihr Geld einfordern, ist mit einem jahrelangen Rechtsstreit um die Patente zu rechnen. Aber wenn sie sich auf diesen Deal einlassen, werde ich die Firma wieder nach oben bringen. Das wissen Sie so gut wie ich, Charles. Und die wissen das auch!«

Die Schritte verstummen, und ich merke, dass er den obersten Treppenabsatz erreicht hat. Der luftige Raum dient eigentlich dazu, Gäste zu empfangen. Normalerweise wird derjenige, der die Treppe hinaufgeht, mit einem die ganze Zimmerbreite einnehmenden Blick auf den Pazifik belohnt.

Doch Damien hat nur Augen für mich.

»Regeln Sie das, Charles!«, sagt er angespannt. »Ich muss jetzt auflegen.«

Ich kenne diesen Mann mittlerweile so gut – seinen Körper, seinen Gang und seine Stimme. Und ich brauche ihn gar nicht erst zu sehen, um zu wissen, dass die Anspannung in seiner Stimme nichts mit dem Geschäft zu tun hat, das er unbedingt abschließen will. Nein, ich bin dafür verantwortlich – eine Erkenntnis, die mir genauso zu Kopf steigt wie Champagner auf leeren Magen. Ein ganzes Firmenimperium ist von ihm abhängig, trotzdem besteht seine Welt in diesem Moment nur aus mir. Ich fühle mich geschmeichelt. Mir wird schwindelig, und ich bin durchaus erregt.

Außerdem lächle ich, was Blaine scharf kritisiert. »Nikki, verdammt, hör auf zu grinsen!«

»Dabei sieht man mein Gesicht auf dem Bild gar nicht.«

»Aber ich sehe es sehr wohl«, sagt Blaine. »Also hör auf damit!«

Er nimmt mich nur auf den Arm. »Ja, Sir«, sage ich und muss beinahe kichern, als Damien, der offensichtlich selbst ein Lachen unterdrücken muss, hüstelt. Die förmliche Anrede »Sir« ist unser Geheimnis, es gehört zu dem Spiel, das wir spielen. Ein Spiel, das noch heute Nacht offiziell beendet wird – jetzt wo Blaine letzte Hand an das von Damien in Auftrag gegebene Bild legt. Beim Gedanken daran werde ich ganz melancholisch.

Natürlich freue ich mich darauf, nicht mehr stocksteif posieren zu müssen. Selbst die Genugtuung, meiner Mutter und ihrer Prüderie eins auswischen zu können, entschädigt kaum für die Muskelkrämpfe nach diesen Sitzungen. Aber alles andere werde ich vermissen – vor allem das Gefühl, Damiens Blicke auf mir zu spüren. Diese langsamen, leidenschaftlichen, visuellen Erkundungen, bei denen ich ganz feucht werde und mich extrem darauf konzentrieren muss stillzuhalten, weil mich ein so süßes Verlangen packt.

Ja, ich werde auch unser Spiel vermissen. Aber ich will mehr, als nur mit Damien spielen, und kann den morgigen Tag kaum erwarten, an dem es nur noch Damien und Nikki geben wird, sonst nichts. Und was die nach wie vor zwischen uns stehenden Geheimnisse betrifft … nun, mit der Zeit werde ich schon noch dahinterkommen.

Heute kann ich mir kaum noch vorstellen, wie schockiert ich damals von Damiens Angebot war: eine Million Dollar im Tausch gegen ein überlebensgroßes Aktbild von mir. Und gegen meinen Körper, der ihm zu Willen sein muss – wann immer er es verlangt. Der Schock ist schlichtem Pragmatismus gewichen, gemischt mit Begeisterung und Empörung. Schon damals habe ich Damien genauso sehr begehrt wie er mich, aber gleichzeitig wollte ich ihn bestrafen. Weil ich mir sicher war, dass er nur die Schönheitskönigin in mir gesehen hat. Sobald er das entstellte Wrack hinter der polierten Oberfläche sehen würde, würde er entsetzt zurückweichen und sein Geld behalten. Davon ging ich fest aus.

Noch nie habe ich mich so gern getäuscht.

Unser Deal war ursprünglich auf eine Woche beschränkt, aus der dann allerdings zwei Wochen wurden: Weil Blaine sich mit dem hölzernen Pinselgriff ans Kinn geklopft, die Augen zusammengekniffen und stirnrunzelnd gemurmelt hat, dass er noch etwas mehr Zeit braucht, wenn wirklich alles perfekt sein soll – da, schon wieder dieses Wort: Perfekt!

Damien musste er nicht lange überreden – schließlich hat er Blaine beauftragt, weil er nicht nur ein aufsteigender Stern am Künstlerhimmel ist, sondern ein besonderes Talent für erotisch aufgeladene Aktbilder hat. Wenn Blaine mehr Zeit brauchte – bitte sehr!

Auch ich habe mich nicht darüber beklagt, wenn auch aus weniger pragmatischen Gründen: Ich wollte einfach nur, dass diese Tage und Nächte mit Damien kein Ende nehmen. Genau wie mein Bild auf der Leinwand wurde auch ich langsam zum Leben erweckt.

Ich war erst wenige Wochen zuvor nach Los Angeles gezogen – mit dem festen Vorsatz, mit gerade mal vierundzwanzig die Geschäftswelt zu erobern. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass ein Mann wie Damien Stark mich wollen könnte, ganz zu schweigen von meinem Porträt. Aber gegen die Leidenschaft, die zwischen uns entbrannte, als ich ihn auf einer von Blaines Ausstellungen kennengelernt habe, waren wir machtlos. Er ließ nicht locker, obwohl ich mich nach Kräften bemühte, ihn abzuweisen. Ganz einfach weil ich wusste, dass ich ihm das, was er wollte, nicht geben konnte und wollte.

Ich war zwar keine Jungfrau mehr, aber auch nicht sonderlich erfahren. Sex ist nichts Selbstverständliches für jemanden mit meiner Vorgeschichte und meinen Narben. Ich war von einem Mann, dem ich vertraut hatte, schwer enttäuscht worden, und meine Gefühle waren genauso taub wie meine vernarbte Haut.

Damien dagegen scheint diese schlimmen Narben gar nicht zu sehen. Oder besser gesagt, er sieht sie als das, was sie sind: ein Teil von mir. Wunden aus einer Zeit, die ich hinter mir gelassen habe, und gegen deren Dämonen ich immer noch ankämpfe. Während ich in meinen Narben nichts als Schwäche gesehen habe, sind sie für ihn der Beweis meiner Stärke. Und genau diese Fähigkeit – nämlich die, mich so zu sehen, wie ich wirklich bin – zieht mich so unwiderruflich zu diesem Mann hin.

»Du lächelst schon wieder«, sagt Blaine. »Und ich weiß ganz genau, woran du gerade denkst. Oder besser gesagt, an wen. Soll ich unseren Mäzen rauswerfen?«

»Du wirst dich mit ihrem Lächeln abfinden müssen«, sagt Damien, noch...