Krötensex - Roman

Krötensex - Roman

von: Franka Frei

Heyne, 2021

ISBN: 9783641240158 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Krötensex - Roman


 

1.


Amerika also. In diesem Kaff waren wir nun für ein Semester zu Hause.

Keine Menschenseele auf den abendlichen Straßen.

Entlang der spärlich beleuchteten Herbstalleen nur vereinzelt Häuser, die einen bewohnten Eindruck machten.

Die Adresse führte uns zu einer alten Stadtvilla auf einem Hügel. Hinter einem Eisengitter das efeubewachsene Haus. Punkt 20 Uhr. Miro zog die Handbremse fest.

»Oh Scheiße, ich muss echt mal für kleine Königstiger!« In seinen fleckigen Jogginghosen und der Basecap mit der Aufschrift »Bronx« machte er ohnehin nicht den besten Eindruck. Jeden Moment würde Herr Zankzahn auftauchen und uns die Schlüssel überreichen. Also verbot ich meinem Mitbewohner, in den Vorgarten der Villa zu pinkeln.

»Das ist doch wie in einem schlechten Film.« Kenny schnaubte kleine Wölkchen aus Panik und Raucherlunge in die Luft. »Hier bleib ich kein Semester. Hier bleib ich keinen einzigen Tag.« Eilig fummelte er sich einen Filter aus seiner hippen Bauchtasche in den Mund. Seine Finger zitterten empört. Stimmt, dachte ich. Was ein schlechter Film. Drei Berliner Hipsterkids in der sächsischen Einöde. Von wegen große Freiheit. Amerika war ein kleines Provinzloch. Zweifelsfrei hatte sich die GmbH, die uns das Studium an der »International School Of Business« verkauft hatte, im Vertrag bewusst äußerst vage ausgedrückt, als es um das Pflichtsemester in »Amerika« ging. Die genauere Ortsbezeichnung »Landkreis Mittelsachsen« auf Seite sechs war mir erst aufgefallen, als das Geld schon unwiderruflich auf dem Konto der privaten Institution gelandet war. Ätschbätsch, reingefallen. Jetzt war es zu spät.

In der Ferne hörte man eine Eule. Oder war es eine Nachtigall? Ich hatte keine Ahnung. Unser Atem war in der dunklen Nacht nicht vom Zigarettenqualm zu unterscheiden. Einige unheimliche Momente vergingen. Miro seufzte.

»Wann kommt der Kerl denn? In der Zeit hätte ich ja zehnmal pissen gehen können! Außerdem frieren meine Klöten gleich ab.«

»Ich ruf mal an.« Mit eingefrorenen Fingern fischte ich in der Jackentasche nach meinem Handy, da vibrierte es bereits.

»Guten Tag, Herr Zankzahn, wie geht es Ihnen?« Pipifreundlich wie immer, ließ ich unsere akute Pinkelnot und das Klötenklirren erst mal unerwähnt.

»Fräulein Flieker? Ja, wärum gömm se denn nisch rein?«

Plötzlich bewegte sich im ersten Stock etwas am Fenster. Der alte Spion drückte sich bereits hinter der Gardine rum und beobachtete uns mit grimmiger Miene.

Miro wisperte ängstlich unter seiner Kappe hervor. »Würde mich nicht wundern, wenn der bei irgendeiner Stasi-Organisation im Vorstand war.« Im selben Moment öffnete der streng aussehende ältere Herr mit Strickjoppe und bedrohlich gezwirbeltem Schnurrbart die imposante Eingangstür. Ich entdeckte eine Überwachungskamera. Gut, dass Miro hier nicht hin­gepinkelt hatte.

Herr Zankzahn wirkte nicht gerade wie ein Mitglied des dörflichen Kuschelvereins.

»Na denn, fölgense mia.«

Die Altherren-Pantoffeln stapften bis in den obersten Stock. Im Treppenhaus lagen Deko-Kürbisse.

»Gömmse rauf. Hier is des Zimmöa vom Ivööh.« Schnaufend öffnete der übellaunige Onkel eine kleine Tür, auf der drei farbenfrohe Holzlettern vom ehemaligen Bewohner zeugten: Ivo. ­Dahinter verbarg sich eine steile Wendeltreppe. Miro und ich wechselten vielsagende Blicke. Der Dachboden war klein und staubig. Auf der Erde lagen zwei kleine und eine große Matratze.

»Zu dritt is eng. Öba das wissense ja selbor.«

Wie abgemacht überreichte ich dem grimmigen Hausherrn die Miete und Kaution in bar.

Die Summe, die auf der dubiosen Vermittlungsseite durch Begriffe wie »Loft«, »gemütlich« und »Erholung pur« legitimiert wurde, wirkte auf einmal viel zu hochgegriffen. Aber ein Zurück gab es nicht. Wir hatten uns die Kacke selbst eingebrockt. Wer war denn auch so blöd und las das Kleingedruckte nicht?

»Ach ja, und nüscht is mit Rauchen. Weil isch hab schon gesehen, dass mindestens einer von Ihnen Raucha is!«

Herr Zankzahn schien mit naiven Großstadtkids wie uns Erfahrung zu haben. Der alte Geheimagent zeigte noch einmal mit ausgestrecktem Oberlehrerfinger auf Miro, bevor er die kleine Treppe hinabstieg.

Kenny zündete sich bereits unbehelligt eine Kippe am kleinen Dachfenster an. »Das ist doch Betrug!«

Mit einer Mischung aus Unglauben und Verachtung schnaubte er Rauch in die Wohnung.

»Na ja.« Schulterzuckend zog ich auf meinem Smartphone eine Landkarte in die Größe. »Das Kaff heißt wirklich so. Guck, hier. Hat sogar einen Bahnhof.«

»Digga. Solange wir am Ende hier ’ne Bachelorurkunde ­bekommen, ist mir das scheißegal.« Miro ließ sich mit einem ironischen Grinsen auf eine der Matratzen plumpsen. »Und wer weiß, ob nicht doch irgendein Steve Jobs hier studiert hat!«

»Oder ein Karl Marx«, warf ich ein. Chemnitz war ja nicht weit. Leider fiel mir spontan keine weibliche Ökonomin ein, die gesellschaftskritische Abhandlungen verfasst hatte. Nicht, dass ich besonders viele kluge Bücher gelesen hatte – auf meiner imaginären Liste standen Werke wie »Das andere Geschlecht« von Simone de Beauvoir schon lange –, aber mit Feminismus und warum er wichtig war, hatte ich mich immerhin schon mal beschäftigt. Und um hin und wieder etwas von mir zu geben, was klug klang, reichte es meistens aus, einfach nur die Namen zu nennen.

Miro beeindruckte mein Name-Dropping nicht. »Simone de Beauvoir? War das nicht die Alte von Sartre?«

»War Satre nicht der Alte von ihr?«

»Hä?«

»Oh Gott …« Kenny lugte beängstigt aus dem Fenster. »Meint ihr, die sprechen hier alle so fucking weirdes Deutsch?«

»Das wäre echt awkward!« Möglichst unironisch lehnte ich mich an die Küchenzeile aus weißem Allzwecklaminat. »Sollten alle mal anständiges Deutsch lernen.«

Miro grinste. »Vielleicht gibt es ja ’nen Laden, wo man Bier trinken kann!«

»No chance«, lästerte Kenny abfällig. Mit spitzen Fingern schnippte er sich einen glühenden Aschekrümel vom farbenfrohen Vintagehemd.

»Ich geb mir hier sicher keinen Stammtisch!« Hektisch fingerte er eine kleine Plastiktüte aus seiner Bauchtasche hervor. »Dann lieber ’nen Gemütlichen mit ’nem Tütelchen.«

Fragend richtete sich Miro an mich. »Und du? Erst mal was trinken auf den Schreck?«

»Mhh.« Nachdenklich kratzte ich mich am Kopf. »Also, eigentlich … wollte ich die Zeit hier nutzen, um mal ’n bisschen zu detoxen … Eigentlich.«

Wenig später streunten Miro und ich durch die verlassene Ortschaft. Tatsächlich vernahmen wir irgendwann in Uni-Nähe ganz leichte Basswellen. Eindeutig eine Party.

Am Rande eines Walds wurden wir fündig. »Studentenklub« stand auf dem kleinen Häuschen.

Bingo. Menschen. In unserem Alter. Und Bier. Für einen Euro. Neben der Dartscheibe lockten zwei Barhocker mit billigen Sitzpolstern.

Abwechselnd gaben wir eine Runde aus.

Als Miro nach wenigen Minuten Nachschub an der Bar holte, hockte ich keine zwanzig Sekunden alleine rum. Eine Gestalt näherte sich zögerlich.

»Naaar? So ’ne nedde Dame, ganz alläin?« Ich fühlte mich wie ein unabgeschlossenes Fahrrad.

»Na ja, eigentlich bekomme ich gerade neues Bier geliefert!« Warum war ein Mann, der alleine umherzog, ein einsamer Wolf und eine Frau einfach nur unbegleitet?

Höflich erwiderte ich das Grinsen des großen, bärtigen Menschen. Hoffentlich machte er sich jetzt keine Hoffnungen, in irgendeiner Form bei mir zu landen. Besetzt, wollte ich mir auf die Stirn schreiben. Als wäre ich eine Toilette.

»Mein Kumpel kommt gleich wieder.«

Fasziniert musterte ich die beachtlich buschigen Augenbrauen des Fremden. In ihnen hätte ein ganzer Ameisenschwarm Platz gehabt. Oder war ich doch nur zu voreingenommen? Vielleicht war er nett. Und mit ein paar Einheimischen zu connecten konnte doch nur von Vorteil sein.

Betont kumpelhaft klopfte ich ihm auf die Schulter. »Aber falls du willst, setz dich gern zu uns. Ich bin übrigens Frieda!«

Zwei Stunden später lagen wir uns alle total besoffen in den Armen. Alkohol verbündet eben. Ein Glück. Denn zwischenzeitlich hatte ich mir wirklich Sorgen um meinen Bronx-Gangster gemacht.

Zwar war der Nerd ihm gegenüber zunächst gar nicht so unfreundlich gewesen. Doch dann hatte Miro angefangen, mit ihm auf Sächsisch zu sprechen. Beziehungsweise hatte es versucht. Der angehende Master der angewandten Mathematik fand Miros Bemühungen, mit den Einheimischen auf Du und Du zu kommunizieren, ganz und gar nicht schmeichelhaft.

»Digga, nimm das nicht so persönlich. Ich find das megasympathisch, wie ihr sprecht. Wenn ich Bayerisch rede,...