Kauf mich! - Auf der Suche nach dem guten Konsum

Kauf mich! - Auf der Suche nach dem guten Konsum

von: Nunu Kaller

Verlag Kremayr & Scheriau, 2021

ISBN: 9783218012584 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Kauf mich! - Auf der Suche nach dem guten Konsum


 

An einem herrlich warmen Novembertag spazierte ich durch Tel Aviv. Diese Stadt wollte ich immer schon mal sehen, den faszinierenden Hedonismus in einem Land, das gerade mal so groß ist wie Niederösterreich oder Mecklenburg-Vorpommern und das von mehreren Nachbarn nicht wirklich gemocht wird, erleben. Libanon, Gaza, Syrien – alles keine wirklichen Sehnsuchtsorte in Sachen Tourismus, und dann mittendrin Tel Aviv mit all seiner Lebensfreude. Ich hatte mich kurzfristig dazu entschlossen, einen Urlaub hier zu verbringen. Die Stadt enttäuschte nicht, stundenlang spazierte ich an wunderschönen Gebäuden im Bauhaus-Stil vorbei, kaufte mir Falafel-Sandwiches (ich kann in Wien übrigens nie wieder Falafel essen – an jeder Straßenecke in Tel Aviv schmecken die besser als irgendwo in Wien) – und genoss unglaublich kitschige Sonnenuntergänge direkt am Strand. Es war ein perfekter Urlaub für mich, ich war allein, konnte stundenlang herumspazieren und permanent umplanen, was ich als Nächstes machen wollte, völlig kompromisslos.

Bei einem dieser Spaziergänge landete ich am Flohmarkt in Yaffa, der Altstadt. Dort gibt es eine interessante Mischung aus Ständen mit altem Krempel und Läden lokaler DesignerInnen. Perserteppich neben Latexkleid, quasi. Ich sah mir hier mal die alten Möbel an, dort überlegte ich, eine senfgelbe Leinenhose anzuprobieren und schlenderte die Stände entlang. Dann sah ich ihn, den wohl faszinierendsten Laden des Marktes. Er sah aus wie eine alte Garage mit hochgefahrenem Rollladen. Drinnen standen auf Holzregalen fein säuberlich Unmengen an braunen Fläschchen nebeneinander. Auf dem Tisch hinter der Kasse sah ich ein paar größere Kanister, eine Waage und einen großen Trichter. Es war eine Parfumerie, in der ich dabei zusehen konnte, wie direkt vor Ort Alkohol und ätherische Öle in einer genauen Mischung abgefüllt wurden. Es war fantastisch! Der Anblick, die verschiedenen Gerüche, die vom Laden wegwaberten, mal Rose, mal Grapefruit. Wozu im Duty Free Shop nach Sonderangeboten suchen, wenn man hier dabei zusehen konnte, wie das eigene Parfum abgefüllt wird?

Das eigene? Ja. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, nicht auf die vielen Kaufverführungen zu achten, sondern mich auf die Echtheit der Stadt zu konzentrieren, in das Lebensgefühl einzutauchen, die Menschen zu beobachten und nicht die Auslagen, konnte ich nicht widerstehen. Ich musste in diesen Laden. Ich musste an den fertig abgemischten Parfums schnuppern. Bereits vor dem Laden roch ich eine unwiderstehliche Mischung aus Grapefruit, Basilikum, Lavendel und Vanille. Und noch bevor ich den Laden betrat, war mir klar: Ich würde eines der Parfums mit heimnehmen.

Nun ja … ich nahm drei Parfums mit nach Hause. Und kam eventuell sogar am nächsten Tag wieder, um noch eines zu kaufen für meine Mutter2. Der Kauf war einfach ein wunderschönes Erlebnis. Nicht nur damals, sondern auch jetzt, Monate später, wenn ich darüber schreibe, spüre ich in mir dieses ganz eigene Hochgefühl, das mir vermittelt: Ich habe etwas Besonderes gefunden. Ich habe meine ganz eigene Erinnerung aus und an Tel Aviv. Und ich freue mich jeden Tag, wenn ich in der Früh im Bad die kleinen, braunen Fläschchen in meinem Badezimmerregal sehe.

Aber wie zur Hölle schafften es diese kleinen braunen Fläschchen, ein so großes Repertoire an guten Gefühlen in mir auszulösen? Ein Parfum hätte vollends gereicht, warum habe ich mir drei gekauft? Und warum habe ich vor Betreten des Ladens schon gewusst, dass ich mir etwas kaufen würde und mich deshalb schon regelrecht high gefühlt? Am Rosenduft allein kann es nicht gelegen haben.

Kick me, Baby!


Ich mache die Augen zu und erinnere mich an die Situation damals auf dem Flohmarkt in Jaffa: In mir kribbelt es. Es ist eine Art Kick, den ich körperlich empfinde und mir nicht nur einbilde. Diese wunderbaren Zitrusdüfte, die sofort gute Laune machen, diese Regale voll mit kleinen Fläschchen, und schon beim neugierigen Erschnuppern der einzelnen Düfte der Gedanke, wie gut riechend ich zu Hause in Wien herumlaufen werde. Ich sehe mich förmlich, wie ich stolz erzählen werde, dass ich nicht irgendein Parfum aus dem Duty Free Shop mitgenommen habe, das neben dem 39-Euro-Angebotsschild stand, nein, ich würde stolz erzählen, wie ich beim Abfüllen meines Parfums in diese Flasche in meiner Hand zugeschaut habe. Als ich bezahlt hatte und wieder raus auf die Straße trat, war es, als ob die Sonne gerade nicht nur über mir, sondern auch direkt in meinem Bauch schien und ihn wärmte. Ich war glücklich und hatte das Gefühl, dass dieses Leben einfach ziemlich gut ist (ok, gut, ich war gerade im Urlaub und sehr verliebt in diese Stadt).

Die Wissenschaft jedenfalls gibt mir recht: Ich bildete mir nicht nur ein, dass ich diesen Kick körperlich spürte – da tat sich wirklich etwas in mir. Genau genommen in meinem Hirn. Das bekam nämlich in dem Moment, als ich mich zum Kauf entschloss, eine tsunamiartige Welle an Dopamin reingespült.

Dopamin ist ein Neurotransmitter unseres zentralen Nervensystems, eine Vorstufe von Adrenalin, und wirkt erregend. Einfacher gesagt: Dopamin ist das ultimative Glückshormon, und es wird ausgeschüttet, wenn wir eine Belohnung erwarten. Wenn wir uns etwas trauen und uns das dann Spaß macht – zum Beispiel, wenn sich die Angst vorm Klettern in pure Lust daran verwandelt. Daran ist das Dopamin schuld. Oder, blödes Beispiel, beim Glücksspiel – da ist es schon allein die Erwartungshaltung auf einen möglichen Gewinn, die uns immer wieder doch noch eine Karte mehr beim Black Jack ziehen lässt. Man ist nicht nach dem Geld, das man gewinnen kann, süchtig, sondern nach der Spannung, der Aussicht auf den Gewinn.

Wenn wir shoppen gehen, dann erwarten wir auch eine Belohnung beziehungsweise belohnen wir uns selbst. Und häufiges Suchen nach Schnäppchen, nach Belohnungen, die man sich kaufen kann, kann direkt in die Kaufsucht führen – wir können süchtig nach diesem Kick werden. Dopamin ist einfach das ultimative Glückshormon und wird auch bei regelmäßigem Sex produziert3.

Unser Dopaminhaushalt ist es auch, der uns vom Sparen abhält, und das ist das richtig Gefinkelte an unserem Gehirn: Wenn wir zum Beispiel überlegen, ein bestimmtes Paar Schuhe zu kaufen, dann überlegen wir nicht zuerst bewusst, ob es jetzt eigentlich wirklich gescheit ist, sie zu kaufen. Unser Unterbewusstsein setzt viel früher an und vermittelt uns vorab bereits, wie wir uns fühlen werden, wenn wir diese Schuhe tragen. Und wenn dieses Gefühl gut ist, wenn wir uns schon wahlweise in Wanderschuhen in den Dolomiten einen Sonnenaufgang bestaunen sehen oder in den heißen High Heels bei einem Candlelight-Dinner sitzen (von dem wir hoffentlich nicht aufstehen müssen, weil … aua, High Heels), dann gewinnt das Dopamin-induzierte Glücksgefühl gegen Hausverstand, Kontrolle und Kontostand und wir kaufen die Schuhe. Selbst wenn wir wissen, dass wir in absehbarer Zeit gerade mal den Kahlenberg erklimmen werden und der gute Partner mit Kerzenlicht-Romantik so viel am Hut hat wie Sebastian Kurz mit Flüchtlingen aus Moria und Kara Tepe. Es ist uns in dem Moment egal, wir mögen dieses Gefühl, das wir empfinden, und wollen es durch den Kauf ein kleines bisschen manifestieren.

Dieser Kick setzt also bereits vor dem Kauf an sich ein – und lässt sich übrigens auch abbilden: ForscherInnen können per Magnetresonanz-Screen in die Gehirne von Menschen schauen. Sie haben herausgefunden, dass beim Shoppen (also nicht erst an der Kasse, sondern schon beim Umschauen im Laden) der Nucleus Accumbens sehr aktiv ist. Das ist jener Teil des Gehirns, in dem unser Belohnungssystem zuhause ist. Bei Süchten ist er übrigens ebenso aktiv. Das wiederum haben Forscher schon in den Fünfzigerjahren herausgefunden: Sie pflanzten Ratten Elektroden ins Gehirn, über die das Belohnungszentrum auf Knopfdruck stimuliert werden konnte. Was passierte? Sobald die Ratten gelernt hatten, dass der Knopfdruck leiwande Gefühle macht, wurden sie süchtig danach.

Es ist also diese unmittelbare Befriedigung, die uns Dinge kaufen lässt, die wir nicht brauchen. Eierschalensollbruchstellenverursacher zum Beispiel. Oder Raumspray mit Hühnersuppen-Duft (kein Scheiß, gibt’s wirklich!). Oder den Mozzarellaschneider. Kennt ihr den guten alten Eierschneider aus den Siebzigern? Ich habe als Kind oft erfolglos versucht, ihn zu einer Harfe für meine Puppen umzufunktionieren, Mama kam immer sofort drauf und nahm ihn mir wieder weg. Aber ihr wisst, was ich meine? Genau, die Dinger werden jetzt als Mozzarellaschneider verkauft, weil: Eierschneider haben wir alle irgendwo von der Mama in einer Lade liegen. Da braucht es was Neues. Auch wenn er genauso aussieht – es wird uns eine andere Funktion verkauft4.

Wenn wir im Ausverkauf ein Schnäppchen machen, kickt uns das übrigens noch härter. Der Grund: Wir übertreffen unsere eigene Erwartungshaltung, wir bekommen noch mehr für unser Geld oder ein Produkt kostet uns weniger Geld als erwartet. Pures Gold für unseren Dopaminhaushalt.

Ich finde das alles massiv spannend, weil ich es so gut nachempfinden kann. Im Sommer 2018 hatte ich nach massiver Überarbeitung und schlechten...