PHILOSOPHINNEN - Von Hypatia bis Angela Davis: Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte

PHILOSOPHINNEN - Von Hypatia bis Angela Davis: Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte

von: Rebecca Buxton, Lisa Whiting

mairisch Verlag, 2021

ISBN: 9783948722081 , 208 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 12,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

PHILOSOPHINNEN - Von Hypatia bis Angela Davis: Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte


 

DIOTIMA


CA. 400 V. U. Z.

 

Von: ZOI ALIOZI

Übersetzung: Daniel Beskos

 

 

Es ist schon ein wenig überraschend, dass Platon, einer der Gründerväter der Philosophie, in einem seiner Dialoge eine Frau in den Mittelpunkt stellt: Diotima von Mantineia. Das Gespräch mit ihr über Liebe und Schönheit fand Eingang in eines von Platons berühmtesten Werken, das Symposion. Allerdings bleibt die Figur der Diotima immer mythenbehaftet, viele glauben gar, sie sei frei erfunden. Aber diese Frage vernebelt ein wenig unseren Blick auf das, was Diotima möglicherweise zur Ideengeschichte beigetragen hat und was bisher weder vollständig erforscht noch verstanden worden ist. Jedenfalls wirken ihre Lehren, falls es denn wirklich die ihren sind, auch 2.000 Jahre später noch nach.

Diotima ist eine der wenigen Frauen, die in den platonischen Dialogen auftauchen, neben ihr wäre etwa noch Aspasia von Milet zu nennen, die im Menexenos vorkommt. Beide Frauen treten allerdings in den Dialogen nicht selbst auf, stattdessen erzählt in Platons Text Sokrates seinen männlichen Gesprächspartnern von den vorangegangenen Dialogen mit den Frauen. Man nimmt übrigens an, dass Platon auch weibliche Studierende hatte, allen voran Axiothea von Phleius und Lastheneia von Mantineia.

Bedenkt man ihren möglichen Einfluss auf einen so wichtigen Denker der Philosophiegeschichte, fragt man sich natürlich, warum Diotima von der Forschung bisher weitgehend ignoriert wurde und eher als mythische Figur und weniger als reale, historische Person verstanden wird. Manche glauben, Platon habe Diotima erfunden, als literarisches Stilmittel, mit dem er beispielhaft zeigen wollte, was es heißt, ein guter Philosoph zu sein. Man nimmt an, dass er sich damit dem Argumentationsstil von Agathon, dem Hauptgesprächspartner im Symposion, anpassen wollte. Um wahre Überzeugungskraft zu erlangen, so stellt Sokrates im Phaidros fest, muss man lernen, den eigenen Geist zu lenken, und um damit Erfolg zu haben, muss man auch den Geist des Gesprächspartners kennen. Es könnte sein, dass Platon versucht hat, seiner Position zusätzliche Überzeugungskraft zu verleihen, indem er eine Frau als Stütze seiner Argumentation anführte.

In der Forschung hat man inzwischen begonnen, Diotima mehr und mehr als historische Figur wahrzunehmen, wie es etwa Mary Ellen Waithe in A History of Women Philosophers (1987) tut. Und es gibt einige Gründe, die für diese Ansicht sprechen. Zugegeben, es existiert kein eindeutiger Beleg dafür, dass eine Philosophin namens Diotima Athen besucht, sich mit Sokrates getroffen und ihn im Philosophieren geschult hat. Wir wissen aber, dass viele der Figuren aus Platons Dialogen auf realen Personen basieren, es könnte bei ihr also auch so gewesen sein. Sokrates soll durchaus die Meinungen einiger Frauen eingeholt haben, wofür auch seine Aussage im Menon spricht, nach der er bei weisen Männern und Frauen um Rat gebeten habe. Und dass er mit einer Frau wie Diotima über das Wesen der Liebe und des Eros gesprochen haben könnte, ist ja nun nicht so unwahrscheinlich. Wir könnten umgekehrt sogar fragen, ob die Behauptung, Diotima sei eine ausgedachte Figur, nur aus dem Irrglauben resultiert, im antiken Griechenland könne eine derart intellektuelle Frau gar nicht existiert haben.

Doch selbst wenn Platon Diotima nur erfunden hätte, so verdient sie als wichtige weibliche Stimme der Philosophiegeschichte dennoch unsere Anerkennung. Immerhin hatte ihre Perspektive einen großen Einfluss auf die Argumentationen Sokrates’ und damit auf die gesamte uns heute bekannte Philosophie. Vielleicht können wir uns also darauf einigen, dass unsere erste Philosophin immer eine Art Mysterium bleiben wird.

Alles, was wir über ihre philosophische Position wissen, wissen wir aus dem Symposion, in dem sie, wie eingangs erwähnt, eine wichtige Rolle spielt. Ein Symposion war eine Versammlung, bei der Männer verschiedene philosophische Themen diskutierten, gewöhnlich im Rahmen eines Gastmahls und eines Trinkgelages. In Platons Text gibt es dazu allerdings einen entscheidenden Unterschied: Hier sind die Gedanken einer Frau denen der Männer ebenbürtig. Die Anwesenden werden von Agathon, dem Gastgeber, dazu aufgefordert, Reden zur Bedeutung der Liebe zu halten. Nachdem er sich die Standpunkte seiner Kollegen angehört hat, sagt Sokrates, er sei von Diotima von Mantineia, die er als weise Frau, Philosophin und Priesterin beschreibt, in der »Philosophie der Liebe« unterrichtet worden. Er erwähnt zudem, dass Diotima die Attische Seuche vorausgesehen und um Jahre habe verzögern können, indem sie die Einwohner der Stadt aufgefordert habe, Opferrituale abzuhalten. Die Figur Diotima wird daher oft mit Vorhersehung und Prophezeiung assoziiert. Für Sokrates ist es ein Beweis ihrer intellektuellen Überlegenheit, in der er, wie manche meinen, einen Gegensatz zu den eher bodenständigen geistigen Fähigkeiten der Anwesenden sieht. Sokrates erinnert sich nun, wie er von Diotimas Weisheit lernen durfte, sie habe sein jüngeres Ich in jener Art zu denken geschult, die später als Sokratische Methode bekannt werden würde: Ein Austausch von Argumenten, bei dem eine Person durch eine Reihe von Fragen zu ihren Ansichten oder Definitionen dazu gebracht wird, diese möglicherweise zu ändern. Bemerkenswert ist hier natürlich die Implikation, dass Sokrates offenbar ausgerechnet eine seiner größten philosophischen Errungenschaften, nämlich die nach ihm benannte Methode, von Diotima gelernt hat.

Sokrates erzählt weiter von seinen Treffen mit Diotima während seiner jungen Studentenjahre. Sie habe mit ihm über die Theorie der Schönheit gesprochen und ihm ihr Konzept der Stufen der Liebe vorgestellt, für das dieser Dialog berühmt ist. Darin stellt sie das Begehren eines schönen Körpers auf die unterste Stufe einer Leiter, die an ihrer Spitze zur Wertschätzung der reinen Schönheit führen kann.

Von diesen Stufen der Liebe gibt es sechs: Zunächst ist da die Liebe zu einem bestimmten Körper. Daran schließt sich die Liebe zu allen schönen Körpern an. Von da gelangt man zur seelischen Schönheit. Die vierte Stufe bezieht sich auf die Liebe zur Schönheit all dessen, was aus der seelischen Schönheit resultiert und sich in Erkenntnissen, Gesetzen und öffentlichen Einrichtungen zeigt. Die fünfte Stufe ist dann die Liebe zur Weisheit und zum Wissen allgemein. Daraus entwickelt der Liebende auf der letzten Stufe dann die Liebe zur Schönheit an sich, was Diotima als den Blick auf »das weite Meer des Schönen« beschreibt. Diese Wertschätzung der Schönheit selbst entspricht einer moralischen Tugend. Diotima ist der Ansicht, ein Mensch, der eine Liebe zur Schönheit an sich entwickelt hat, werde »im Beschauen so vieler und mannigfaltiger schöner Gegenstände neue Ideen erzeugen und zu einer fruchtbaren Philosophie sammeln. So gestärkt und erweitert wird dann seinem Geiste eine wahre Wissenschaft erscheinen, welche das Schöne selbst zum Gegenstand hat.« Eine wirkliche Würdigung der Schönheit erfordere es demnach, sich von den Äußerlichkeiten freizumachen und stattdessen zu versuchen, die abstrakte Idee des Schönen zu verstehen.

Diese Gedanken sind eng angelehnt an Platons bekannte Theorie der Formen. In vielen seiner Dialoge vertrat Platon die Ansicht, dass Ideen oder Formen der unkörperliche Kern bzw. das Wesen der Dinge in der sich verändernden, körperlichen Welt seien. Daraus ergab sich für Platon, dass wir von den Objekten der körperlichen Welt nichts wissen können, da sie nur bloße Nachbildungen der unveränderlichen Formen und Ideen seien. Um wirkliches Wissen, wirkliche Weisheit erlangen zu können – und nicht nur bloße Meinungen –, muss sich jeder Einzelne von der Schattenwelt der Sinneswahrnehmungen abwenden, hin zur Welt der Ideen, deren wichtigste die Idee des Guten darstellt. Das bekannteste Beispiel dafür ist Platons Höhlengleichnis. Es ist dabei nicht ganz eindeutig, ob das Gute als Idee mit anderen Ideen – etwa Schönheit oder Gerechtigkeit – vergleichbar ist. Die Idee des Guten, schreibt Platon in Der Staat, ist nämlich »mehr als wirklich« und »mache alle Dinge erst gedanklich erreichbar«, also verständlich.

Es ist nicht sicher, ob Diotimas Konzept des Guten oder des Schönen dem von Platon entspricht. Diotima ist der Ansicht, das Gute sei nicht das Ziel, sondern ein Mittel zur Erreichung von etwas noch Höherem, nämlich einer Art Fortsetzung des eigenen Seins und damit einer Teilhabe am Unsterblichen. Diotima erklärt dies in ihrer Diskussion anhand der Schwangerschaft. Als Sokrates sie fragt: »Was ist die Funktion der Liebe?«, antwortet sie: »Es ist die Zeugung im Schönen, sowohl im körperlichen als auch im geistigen Sinne.« Sokrates kann nicht ganz folgen, also erklärt Diotima: »Alle Menschen empfinden, sowohl dem Körper als der Seele nach, einen Zeugungstrieb, und wenn wir zu einem gewissen Alter gelangt sind, so strebt unsere Natur danach, zu gebären.« Auffällig ist hierbei, dass Diotima nicht immer von einer Schwangerschaft im herkömmlichen Sinne spricht, stattdessen bezeichnet sie damit auch den Vorgang der Hervorbringung von Ideen. Diejenigen Menschen mit körperlichem Zeugungstrieb suchen sich einen Partner, mit dem sie Kinder haben und sich so einen Erben schaffen können. Diejenigen aber, die geistigen Zeugungstrieb verspüren, suchen sich andere, mit denen sie ihr Wissen und ihre Tugenden teilen können. Diotima fährt fort: »Wer, wenn wir an Homer oder Hesiod oder die anderen vortrefflichen Dichter denken, sollte nun nicht lieber wünschen, solche Kinder hinterlassen zu wollen anstatt...