Arkham Horror: Das letzte Ritual

Arkham Horror: Das letzte Ritual

von: S.A. Sidor

Cross Cult, 2021

ISBN: 9783966584210 , 384 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Arkham Horror: Das letzte Ritual


 

KAPITEL


EINS


»Das letzte Mal …?«

Alden Oakes wandte sich vom Fenster ab und blickte kühl den jungen Reporter an, dessen Bleistift erwartungsvoll über dem Block schwebte. Bis jetzt hatte Oakes dessen Fragen mit einer Mischung aus Small Talk und peinlichem Schweigen geschickt umgangen.

»Ich dachte, wir könnten damit anfangen«, sagte der Reporter. Er wirkte ruhelos. Ihm saß die Deadline im Nacken.

Alden nickte und begann wieder, in der Hotelsuite auf und ab zu gehen. »Ein seltsames Wetter haben wir. Erst dichter Nebel, dann ziehen die Schwaden wie riesige, hauchdünne Schleier durch die Straßen. Und jetzt fängt es an zu regnen. Heute Morgen, auf dem ganzen Weg vom Bahnhof hierher, musste ich dieses Ding kein einziges Mal aufspannen.« Er klopfte mit dem Schirm, den er wie einen Stock benutzte, gegen das Fenster. Der Reporter hatte bemerkt, dass der berühmte Maler leicht hinkte. »Die Luft ist seltsam mild für Hochsommer. Finden Sie nicht auch?«

»Ist besser als die Hitze«, erwiderte der Reporter. Er war nicht daran interessiert, über das Wetter zu sprechen, aber was auch immer sein Gegenüber dazu brachte, sich zu entspannen und sich ihm zu öffnen, war einen Versuch wert.

Alden starrte hinaus in die Düsternis, als versuche er, Formen in den Wolken auszumachen.

»Wie fühlt es sich an, wieder in dem Hotel zu sein?«, hakte der jüngere Mann behutsam nach, während er sich fragte, ob dieser Nachmittag am Ende nichts weiter als reine Zeitverschwendung sein würde. Normalerweise gab es zwei Möglichkeiten, mit solchen Situationen umzugehen. Entweder man forcierte das Thema und riskierte, dass der Gesprächspartner dichtmachte, oder man schwieg und ließ den Druck der Stille seine Wirkung entfalten. Er hatte sich noch nicht entschieden, welchen Weg er gehen wollte.

»Der Pförtner hat mich gegrüßt, als wären wir alte Bekannte«, sagte Alden.

Der Regen glitt an der Scheibe hinunter.

Der Reporter traf seine Entscheidung. Um wortkargen Menschen Geschichten aus der Nase zu ziehen, hatte er schon zahlreiche Stunden an weit weniger angenehmen Orten als dem luxuriösen Silver Gate Hotel verbracht. Er konnte es sich leisten, umgeben vom Komfort eines teuren Zimmers ein wenig Zeit totzuschlagen. Also ließ er seinen Bleistift auf den Notizblock fallen, trat vom Schreibtisch des Hotelzimmers zurück und stieß einen leisen Seufzer aus. Obwohl der Schreibtisch klein war, war er angenehmer als sein überfüllter Arbeitsplatz beim Arkham Advertiser, wo er sich den Platz mit einem Sportreporter teilen musste, der ständig am Essen war und überall Kaffeeringe und Donutkrümel hinterließ. Wenn der Maler den Schüchternen spielen wollte, würde er einfach abwarten und nichts sagen. Er blickte an dem Künstler vorbei auf die trübe, graue Aussicht der Innenstadt von Arkham.

Alden stieß sich vom Fenster ab und lächelte. Mit kerzengeradem Rücken setzte er sich auf die Couch, die Hände auf den Knauf des zwischen seinen Knien eingeklemmten Regenschirms gestützt. Er beugte sich vor und schaltete eine Lampe ein, die Licht in den trotz der Mittagsstunde merklich dunkler gewordenen Raum warf. »Bereit?«

»Ja, Mr. Oakes, wann immer Sie es sind.« Sieg! Er schnappte sich den Bleistift.

Ergeben sank Alden in die blassgrünen Samtsofakissen und schloss die Augen. »Das letzte Mal, als ich das Silver Gate Hotel gesehen habe, brannte es. Ich brannte auch, oder zumindest mein Jackett, bevor mich ein Feuerwehrmann aus Arkham zu Boden riss und im Gras wälzte, um die kleinen Flammen zu ersticken, die meinen Rücken emporleckten. Ich kam mit dem Schrecken davon, wie man so schön sagt.«

»Sie sind ein Glückspilz«, sagte der Reporter. Jetzt, wo der Ball ins Rollen gekommen war, musste er ihn nur noch am Laufen halten. Vielleicht würde doch noch eine anständige Geschichte dabei herauskommen. Immerhin war das tragische und mysteriöse Feuer im Silver Gate im vergangenen Jahr die größte Schlagzeile in Arkham gewesen. Aber Alden Oakes war nur ein kleiner Teil davon, eine Fußnote über eine lokale Prominenz. Noch dazu ein prominenter Maler.

»Ich bin mir sicher, dass mich manche Leute für einen Glückspilz halten«, erwiderte Alden und blickte ihn vielsagend an.

Der junge Mann runzelte verwirrt die Stirn. Wäre es ihm lieber gewesen, sein Hintern wäre in Flammen aufgegangen?

Alden fuhr fort: »Die Suite hier, die ich für meine Rückkehr gebucht habe, hat die Katastrophe unbeschadet überstanden. Sie hat schwere Rauchschäden erlitten, wie das ganze Haus. Man würde das nie vermuten, wenn man das jetzige Aussehen des Gebäudes betrachtet, oder? Die sauber geschrubbten Ziegel, vom Regen abgewaschen, der blanke Marmorboden in der Lobby, der wie ein riesiges Schachbrett glänzt, und die Vasen voller weinroter Rosen und weißer Calla-Lilien. Was für eine Verwandlung! Ja, sie haben ein wahres Wunder vollbracht, indem sie das Hotel in etwas mehr als einem Jahr wieder in Betrieb genommen haben.«

Der Reporter machte sich eilig Notizen. »Die große Wiedereröffnungsgala ist für morgen geplant. Sind Sie überrascht, dass die Hotelbesitzer Sie eingeladen haben?«

»Warum? Wegen der Gerüchte? Wegen meiner Verhaftung?« Aldens Stimme wurde lauter. »Nichts wurde je bewiesen. Andeutungen und müßige Spekulationen. Die Presse hat bloß Theorien aufgestellt, um mehr Zeitungen zu verkaufen. Leute wie Sie.« Er zügelte seine Wut und gewann die Kontrolle über sich zurück. »Andere haben sie natürlich beeinflusst. Die Ärzte sagten, ich bräuchte Ruhe. Ich litt unter körperlicher und geistiger Erschöpfung. Nein, ich fühle mich nicht schuldig an dem, was mit dem Hotel passiert ist. Aber ich gebe zu, dass es eine Überraschung war, die Einladung zu erhalten. Wer sind übrigens die Besitzer? Wissen Sie das?«

Der Reporter schüttelte den Kopf. »Da wird ein ziemliches Geheimnis drum gemacht. Die Verwaltungsgesellschaft führt das Tagesgeschäft. Aber der juristische Papierkram ist undurchsichtig, eine Pyramide von Firmen, meist europäisch. Die Steuern werden von einer anonymen Treuhandgesellschaft gezahlt. Das ist alles, was ich ausgraben konnte …«

»Sparen Sie sich die Mühe. Sie werden nichts finden.« Alden winkte ab. »Spielt auch keine Rolle.«

»Aber sie wollten Sie hier haben.«

»Meine Anwesenheit wurde verlangt.« Alden beugte sich vor. »Ich habe gerade eine Galerieausstellung in New York beendet. Ich habe kein richtiges Zuhause mehr, nicht in Amerika. Ich hatte überlegt, ob ich nach Frankreich zurückkehren oder ein paar Monate in Südamerika verbringen sollte, um Frösche und Orchideen am Amazonas zu malen. Ich hatte sogar schon einen Raddampfer mit einer kleinen Mannschaft gemietet, der mich in den Dschungel bringen sollte.«

»Und doch sind Sie hier.« Der junge Mann schüttelte ungläubig den Kopf. Eine Reise in den Amazonas-Dschungel! Das war wirklich ein Ort, an dem die Geschichten an den Bäumen hängen mussten wie Bananenstauden, reif zum Pflücken. Ein Journalist könnte ein dickes, fettes Buch darüber schreiben. »Warum haben Sie so eine Reise aufgegeben, wenn ich fragen darf? Ich würde die Chance sofort ergreifen.«

»Für ein Abenteuer braucht man keinen exotischen Ort. Man braucht nur die richtige Einstellung …«

Was zum Teufel sollte das bedeuten? Nun, der junge Reporter war nicht hier, um sich über Auslandsreisepläne zu streiten. »Reden Sie weiter, Mr. Oakes«, bat er. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen.«

»Keine Sorge. Wie war noch mal Ihr Name?«

»Andy. Andy Van Nortwick.«

»Nun, Andy, gestatten Sie mir, Ihnen eine Frage zu stellen. Was glauben Sie, wie alt ich bin?«

Froh, dass sich die Stimmung des Künstlers gebessert hatte, kniff Andy ein Auge zu und musterte seinen Gesprächspartner. Oakes war schlank, seine blasse Hautfarbe grenzte an Schwindsucht, abgesehen von einer pfenniggroßen, erhabenen Narbe auf seiner linken Wange. Er trug ein Menjou-Bärtchen. Sein Haar fiel in einer sandfarbenen blonden Welle von einer hohen aristokratischen Stirn zurück. Und sein maßgeschneiderter Londoner Anzug sprach für einen teuren Geschmack. Aber seine Augen verrieten ihn. Sie sahen wässrig und alt aus, gezeichnet von Sorgenfalten, schlaflosen Nächten und Bedauern. »Ich bin kein Hellseher vom Rummel oder so, aber ich schätze mal, dass Sie um die fünfzig sind. Das ist eine schöne runde Zahl. Fünfzig sage ich.«

»Ich bin neunundzwanzig. Mein Geburtstag war vor zwei Wochen.«

Der Reporter...