Persische Briefe. Vom Geist der Gesetze

Persische Briefe. Vom Geist der Gesetze

von: Charles-Louis Secondat Montesquieu

Anaconda Verlag, 2021

ISBN: 9783641283957 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Persische Briefe. Vom Geist der Gesetze


 

Über die Frauen

Brief 34. Usbek an Ibben, Smyrna

Die persischen Frauen sind schöner als die französischen, aber die französischen sind hübscher. Es ist unmöglich, die Ersteren nicht zu lieben, unmöglich, sich in der Gesellschaft der Letzteren nicht wohlzufühlen. Die einen sind zärtlicher und bescheidener, die anderen lustiger und heiterer.

Was den Perserinnen ein so reines Blut gibt, ist das regelmäßige Leben, das sie führen. Sie spielen nicht noch durchwachen sie die Nächte, sie trinken keinen Wein und setzen sich der Einwirkung der Luft fast niemals aus. Man muss zugeben, dass das Serail mehr in Rücksicht auf die Gesundheit als für Vergnügungen eingerichtet ist. Das Leben ist dort eintönig und nicht aufregend. Alles atmet Unterordnung und Pflichterfüllung. Selbst die Vergnügungen sind dort ernst und die Freuden streng und man genießt sie fast immer nur als Zeichen des Gehorsams und der Abhängigkeit.

Selbst die Männer in Persien haben nicht die Heiterkeit der Franzosen. Man bemerkt an ihnen nicht die geistige Freiheit noch die Selbstzufriedenheit, die ich hier in allen Kreisen finde.

In der Türkei ist es noch schlimmer, wo man Familien finden könnte, in denen seit Gründung des Reiches von Generation zu Generation niemand gelacht hat.

Dieser Ernst der Asiaten kommt von dem geringen Verkehr, den sie untereinander unterhalten. Sie sehen sich nur, wenn sie zeremoniell dazu gezwungen sind. Freundschaft, diese sanfte Herzensbeziehung, ist ihnen fast unbekannt. Sie ziehen sich in ihre Häuser zurück, wo ihrer immer eine Geselligkeit harrt, sodass jede Familie sozusagen isoliert lebt.

Eines Tages, als ich mich mit einem Franzosen darüber unterhielt, sagte er zu mir: »Was mich am meisten an euren Sitten wundert, ist, dass ihr gezwungen seid, mit Sklaven zu leben, deren Herz und Geist immer von dem Bewusstsein ihrer niederen Stellung beherrscht ist. Diese feigen Leute schwächen in euch das Bewusstsein der natürlichen Tugend und sie zerstören es in euch von eurer Kindheit auf durch ihre Einwirkung.

Denn seht nur einmal von euren Vorurteilen ab: Was kann man von einer Erziehung erwarten, die solch ein Elender gibt, dessen Ehrenstellung darin besteht, eines anderen Frauen zu bewachen, und der auf die niedrigste Stellung, die es in der Menschheit gibt, stolz ist; der verächtlich ist grade wegen seiner Treue, seiner einzigen Tugend, sofern er an ihr nur aus Neid, Eifersucht und Verzweiflung festhält; der darauf brennt, sich an beiden Geschlechtern zu rächen, deren Auswurf er gleichsam ist, und sich darum von dem stärkeren tyrannisieren lässt, wofern er sich nur an dem schwächeren schadlos halten kann; der den ganzen Glanz seiner Stellung nur seiner Missgestalt und Hässlichkeit verdankt und darum nur geachtet ist, weil er eigentlich keiner Beachtung würdig ist; der schließlich, für immer an die Pforte geschmiedet, ein härterer Hüter ist als Schlösser und Riegel und sich einer fünfzigjährigen Dienstzeit rühmt, während der er unter dem Druck der Eifersucht seines Herrn seine ganze Niedrigkeit hat ausüben können.«

Brief 38. Rica an Ibben, Smyrna

Es ist eine unter Männern oft erörterte Frage, ob es vorteilhafter ist, den Frauen ihre Freiheit zu lassen oder sie ihnen zu nehmen. Mir scheint gar mancherlei dafür und dawider zu sprechen. Wenn die Europäer sagen, es sei nicht edelmütig, geliebte Wesen unglücklich zu machen, antworten wir Asiaten, dass es schwächlich ist, wenn der Mann auf eine ihm von der Natur über die Frauen gegebene Macht verzichtet. Sagt man uns, die große Zahl unter Schloss und Riegel gehaltener Frauen sei unbequem, antworten wir, dass zehn Frauen, die gehorchen, bequemer sind als eine ungehorsame. Wenn die Asiaten ihrerseits einwenden, dass die Europäer mit Frauen, die ihnen nicht treu sind, auch nicht glücklich sein können, antwortet man ihnen, dass diese von ihnen viel gerühmte Treue keinen Schutz gegen den Überdruss gewährt, der immer nach Sättigung des leidenschaftlichen Begehrens eintritt, dass unsere Frauen uns zu ausschließlich gehören und ein so ruhiger Besitz uns nichts zu wünschen noch zu fürchten übrig lässt; dass ein wenig Koketterie eine Würze ist, die frisch erhält und das Verderben hindert. Da würde vielleicht ein klügerer Mann als ich um einen Entscheid in Verlegenheit sein. Denn wenn die Asiaten recht tun, nach den ihre Besorgnisse hebenden Vorsichtsmaßregeln zu suchen, tun die Europäer ebenso recht, sich keine Sorgen zu machen.

»Schließlich«, so sagen sie, »wenn wir als Gatten unglücklich sein sollten, könnten wir uns immer noch als Liebhaber trösten. Damit ein Mann sich mit vollem Recht über die Untreue seiner Frau beklagen könnte, dürfte es im Ganzen nur drei Menschen auf der Welt geben, sobald es vier gibt, ist immer ein Ausgleich möglich.«

Eine andere Frage ist, ob ein Naturgesetz die Frauen den Männern unterordnet. »Nein«, sagte mir neulich ein sehr galanter Denker, »die Natur hat niemals ein solches Gesetz gegeben. Die Herrschaft, die wir über sie ausüben, ist eine wahre Tyrannei. Sie haben sie uns ergreifen lassen, weil sie sanfter sind als wir und darum menschlicher und vernünftiger. Diese Vorzüge, die ihnen ohne Zweifel eine Überlegenheit verleihen müssten, wenn wir vernünftig und gerecht gewesen wären, haben sie diese verlieren lassen, weil wir das nicht sind.

Wenn daher das eine wahr ist, dass wir über die Frauen nur eine tyrannische Macht ausüben, ist auch das andere wahr, dass sie über uns eine natürliche Macht besitzen, nämlich die der Schönheit, der nichts widersteht. Unsere findet sich nicht in allen Ländern, die der Schönheit ist allgemein. Warum sollten wir denn auch ein Vorrecht vor den Frauen haben? Weil wir die Stärkeren sind? Aber das ist ja dann die reine Ungerechtigkeit! Wir gebrauchen alle erdenklichen Mittel, um ihnen jeden eigenen Antrieb zu nehmen. Die Kräfte würden gleich sein, wenn die Erziehung der beiden Geschlechter die nämliche wäre. Prüfen wir sie in den Gaben, welche die Erziehung nicht geschwächt hat, und wir werden ja sehen, ob wir wirklich so stark sind.«

Brief 52. Rica an Usbek, in …

Neulich hatte ich meinen großen Spaß in einer Gesellschaft, in der ich war. Es befanden sich dort Damen in jedem Alter; eine von achtzig, eine von sechzig und eine von vierzig Jahren, die eine Nichte von zwanzig bis zweiundzwanzig hatte. Ein gewisser, verständlicher Instinkt trieb mich zuerst in die Nähe der Jüngsten. Da flüsterte sie mir zu: »Was sagen Sie von meiner Tante, die in ihrem Alter noch nach Liebesabenteuern ausschaut und die Hübsche spielt?« – »Sie tut darin unrecht«, erwiderte ich, »solche Absichten stehen nur Ihnen an.« Einen Augenblick danach befand ich mich neben ihrer Tante, die zu mir sagte: »Was sagen Sie von jener Frau, die mindestens sechzig Jahre alt ist und dabei heute mehr als eine Stunde mit ihrem Putz zugebracht hat?« – »Das ist verlorene Mühe«, sagte ich, »man muss Ihre Reize haben, um an so etwas denken zu dürfen.« Dann ging ich zu jener bedauernswerten Sechzigjährigen und beklagte sie in meiner Seele, als sie mir ins Ohr flüsterte: »Gibt es was Lächerlicheres? Sehen Sie nur die achtzigjährige Dame dort mit ihren feuerroten Bändern; sie möchte jung aussehen, und das gelingt ihr auch wirklich, denn das grenzt an Kindlichkeit!«

Lieber Gott, sagte ich zu mir selber, bemerken wir denn Lächerlichkeiten immer nur an anderen? Vielleicht ist es ein Glück, fügte ich hinzu, dass wir in den Schwächen anderer einen Trost finden. Jedoch, einmal im Zuge, beschloss ich, meine belustigende Wanderung einmal umgekehrt zu machen und mit der Ältesten anzufangen: »Gnädige Frau, Sie sehen der Dame, mit der ich eben gesprochen habe, so ähnlich, dass man Sie für Schwestern halten möchte, und ich glaube, Sie sind wohl ungefähr gleich alt?« – »Allerdings«, sagte sie zu mir, »wenn die eine stirbt, wird die andere einen Schreck bekommen dürfen. Ich glaube kaum, dass wir im Alter um zwei Tage verschieden sind.« Sobald ich diese Altersschwache festgelegt hatte, ging ich zu der Sechzigjährigen: »Sie müssen eine Wette entscheiden, gnädige Frau! Ich habe gewettet, dass Sie und jene Dame« – damit zeigte ich auf die Vierzigjährige – »gleichaltrig wären.« – »Ich glaube allerdings«, sagte sie, »dass wir kaum ein Halbjahr auseinander sind.« Schön! Weiter! Und nun ging ich zu der Vierzigjährigen. »Gnädigste Frau, sagen Sie mir doch gütigst, ob es ernst zu nehmen ist, wenn Sie das junge Mädchen da am anderen Ende des Tisches Ihre Nichte nennen? Sie sind ebenso jugendlich wie sie; sie hat sogar etwas Verblühtes in den Zügen, das Sie nicht haben, und Ihre lebhaften Farben …« – »Warten Sie«, sagte sie. »Ich bin allerdings ihre Tante; aber ihre Mutter war mindestens fünfundzwanzig Jahre älter als ich – wir stammten nicht aus derselben Ehe. Ich habe meine verstorbene Schwester sagen hören, dass ihre Tochter und ich im selben Jahr geboren sind.« – »Na, das dachte ich mir, gnädige Frau, und ich hatte also nicht unrecht, mich zu wundern!«

Mein lieber Usbek, die Frauen, die fühlen, wie es mit ihnen und ihren Reizen gleichzeitig zu Ende geht, möchten gern wieder jung sein. Warum sollten sie auch nicht die andern Menschen zu täuschen suchen, da sie sich doch alle Mühe geben, um sich selbst zu täuschen und der trübseligsten aller Vorstellungen...