Annalena Baerbock - Die Biografie

Annalena Baerbock - Die Biografie

von: Anita Partanen

riva Verlag, 2021

ISBN: 9783745316957 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Annalena Baerbock - Die Biografie


 

KINDERJAHRE EINER (MÖGLICHEN) KANZLERIN


Zwischen Gorleben und Trampolin


 

Annalena Baerbock hat immer wieder davon erzählt, dass zu ihren frühen Kindheitserinnerungen auch die Teilnahme an Demonstrationen gegen das Atommülllager in Gorleben zählt. Dort habe allerdings nicht sie selbst protestieren wollen, vielmehr hätten ihre friedensbewegten Eltern sie mit zu Demonstrationen in den Ort im nordöstlichen Niedersachsen genommen.14 Trotzdem habe es sich bei ihrem Zuhause nicht um eine hochpolitische Familie gehandelt, es sei vielmehr eine Art »Hippie-Haushalt« gewesen.15

In diesen Haushalt wurde Annalena Charlotte Alma Baerbock am Montag den 15. Dezember 1980 in Hannover geboren. Über die Zeit danach hat die Politikerin heute wenig zu erzählen. Wenn überhaupt, dann erzählt sie davon, bald in einem niedersächsischen Dorf gelebt zu haben. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Im Grunde folgte nach ihrer Geburt eine Art Deutschlandreise: Denn von Hannover ging es nicht direkt aufs Dorf, vielmehr zog die Familie quasi an das andere Ende der Republik – nach Nürnberg. Baerbock selbst erklärte dazu einmal, sie wisse, dass sie im Kindergartenalter eine Zeitlang in der fränkischen Großstadt gelebt habe, sie erinnere sich auch noch bruchstückhaft an einige Orte im Stadtteil Gostenhof.16 Dass die Erinnerung derart bruchstückhaft ist, dafür gibt es einen Grund: Der Aufenthalt in Nürnberg währte nur kurz. Bereits im Jahr 1985 ging es zurück in die niedersächsische Heimat. Allerdings nicht direkt zurück in die Landeshauptstadt Hannover, sondern in das etwas südlich der Metropole liegende Pattensen – einer Kleinstadt mit etwa 15 000 Einwohnern. Pattensen ist zwar klein, aber immerhin noch so groß, dass es sich in eine Reihe von Ortsteilen aufteilt. Einer davon ist Schulenburg, direkt an dem Fluss Leine. Genau dorthin zog es nun die Familie. Und zwar auf einen Bauernhof, den ihre Eltern – eine Sozialpädagogin und ein Maschinenbauingenieur zuvor saniert hatten. Dort sollte Annalena fortan mit den Eltern, zwei Schwestern und auch zwei Cousinen leben.17

Die Erinnerung an diese Zeit ist etwas umfassender als das, was der Kandidatin von Nürnberg im Gedächtnis geblieben ist. So erinnert sie sich etwa an den Geruch von Zuckerrüben, nur spielt ihr in diesem Fall wohl die Erinnerung einen Streich. Denn an sich riechen diese Rüben nicht wirklich. Wenn sie einen Geruch haben, dann den der Erde, aus der man sie geholt hat. Gibt es einen erinnerungswürdigen Geruch der Rüben, dann ist es derjenige, der entsteht, wenn sie in der Fabrik verarbeitet werden – dann trägt der Wind nämlich wirklich einen süßlichen Geruch in die gesamte Umgebung, der sich in der Erinnerung des Menschen festsetzen kann, und es meist auch über viele Jahre und Jahrzehnte tut.18

Doch auch an andere Dinge erinnert sich die Politikerin noch heute. Etwa daran, wie es war, im tiefsten Winter auf dem Dorfteich Eishockey zu speilen, Fußball hat sie damals ebenfalls gespielt. Ihre größte Leidenschaft allerdings sollte bald das Trampolin werden, auf dem sie jedoch nicht einfach nur zum Spaß herumhüpfte, sondern das sie als wirkliches Sportgerät nutzte, und auf dem sie es auch zu einer gewissen Meisterschaft brachte – im Wortsinne. Denn während ihrer gesamten Kindheit und Jugend betrieb sie das Trampolinspringen als regelrechten Leistungssport, nahm für den TSV Pattensen an Deutschen Meisterschaften teil und gewann dreimal Bronze im sogenannten Doppel-Mini-Tramp.

Das könnte in der Biografie der Annalena Baerbock eine Randnotiz bleiben, doch war es genau dieses Thema, auf das sich die Medien nach ihrer Kür zur Kanzlerkandidatin am intensivsten stürzten. Eben weil sich das Trampolin perfekt für seltsame Wortkonstruktionen eignet. Etwa, wenn es darum geht, die Kandidatin als »Senkrechtstarterin« zu bezeichnen oder über eine »Kür« zu sprechen.19 Anderen Themen ihrer Kindheit und Jugend wurde dagegen in den Medien wesentlich weniger Raum eingeräumt. Weil sie nicht so nette Bilder hergeben, weil sie sich nicht so schön in ein harmloses Berichtskorsett zwängen lassen. Wie etwa die Erinnerung an die Proteste in Gorleben, an denen sie als Kind mit ihren Eltern teilnahm. Diese Erinnerung aber dürfte für ihren weiteren politischen Weg deutlich einflussreicher gewesen sein, als ihre Zeit des Trampolinspringens. Denn das Thema Gorleben begleitet die Bundesrepublik seit nunmehr gut 30 Jahren. Und gerade jene Proteste, die Baerbock als Kind miterlebte, dürften sich ihr tief eingeprägt haben.

Bei den Protesten ging es um die Planungen, in einem Salzstock unterhalb von Gorleben ein sogenanntes Endlager für Atommüll einzurichten. Die Entscheidung für dieses Endlager war bereits 1979 gefallen, doch schnell regte sich der Widerstand gegen diese Pläne. Eine der ersten Protestaktionen war der sogenannte Gorleben-Treck im Jahr 1979. 1980 dann wurde an einem Bohrloch ein Hüttendorf errichtet, die »Republik Freies Wendland«. Bald schon besetzten bis zu 5000 Demonstranten die verschiedenen Bohrlöcher. Im Juli jenes Jahres schließlich wurde das Hüttendorf geräumt. Was jedoch nicht das Ende der Proteste bedeutete, sondern vielmehr erst den Anfang der nun schon jahrzehntelangen Protestgeschichte rund um Gorleben.

In der Folgezeit wurden die Gorleben-Proteste fast schon zu einer ständigen Einrichtung, und auch zu einer nicht ungefährlichen Sache, bei der Kinder eigentlich fehl am Platz waren. So setzte die Polizei etwa bei Protesten im September 1982 Wasserwerfer ein, als 10 000 Menschen gegen den Baubeginn der Lagerhallen auf die Straße gingen – mit der Folge, dass sitzende Demonstranten Rippenbrüche, Rücken- und auch Nierenverletzungen erlitten. Die Verletzten erhoben Klage, und die Sache ging schließlich bis vor das Bundesverfassungsgericht.20

1984 dann ging es wirklich los mit dem realen Atommüll. Wieder gab es Menschenketten und Sitzblockaden. Die Ankunft der Atommüllfässer im Oktober des Jahres konnten die Menschen jedoch nicht verhindern. Aber sie protestierten weiter. 8000 Menschen etwa versammelten sich 1988.

1990 sollte eine sogenannte Pilot-Konditionierungs-Anlage (PKA) als Ergänzung zu Zwischen- und Endlager für den Atommüll eingerichtet werden. Während zunächst nur einige Hundert Gegner auf dem Baugelände demonstrierten, wurde wenig später klar, dass die inzwischen erfolgte Deutsche Wiedervereinigung auch das Thema Atommüll zu einem gesamtdeutschen Thema machte: Am 5. Februar versammeln sich 1990 in Gorleben 5 000 Demonstranten zur ersten deutsch-deutschen Anti-Atom-Demonstration.

1995 markierte den Beginn der nächsten Eskalationsstufe der Proteste rund um den Atommüll und Gorleben. Nun wurden per Bahn sogenannte Castor-Behälter in Richtung Niedersachsen geschickt – also Spezialbehälter mit hochradioaktiven Materialien wie abgebrannten Brennelementen aus Atomkraftwerken. Wieder versuchten Tausende, diese Transporte zu verhindern. Die Gegenseite schickte nicht weniger als 6 500 Polizisten zum Schutz des Transportes auf den Weg, ausgerüstet mit Schlagstöcken und wieder auch Wasserwerfern.21

Die Aufzählung der Proteste ließe sich nahezu unendlich fortführen. Wichtig aber ist vor allem, dass diese Proteste bundesweit ein bedeutendes Thema waren – sie waren es aber vor allem in Niedersachsen, wo Annalena Baerbocks Heimatort Schulenburg nicht mehr als 150 Kilometer entfernt von dem weiter nördlich gelegenen Gorleben war und ist.

Wie sehr sie all das in ihrer Kindheit und Jugend geprägt hat, das erzählte Annalena Baerbock im Jahr 2014 im Rahmen eines Gesprächs in der Reihe »Wege in die Politik« des Deutschen Bundestages. Schon als Kind hätten sie globale Herausforderungen und die mögliche Zerstörung des Planeten aus irgendeinem Grund »sehr bewegt«.22 In Ihrem Kinderzimmer habe sie an der Wand ein Greenpeace-Poster aufgehängt, dessen Botschaft der darauf gedruckte Spruch war »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann«.

Dieser Spruch fand vor allem in den 80er-Jahren eine immense Verbreitung, war Wahlspruch der US-amerikanischen wie auch der deutschen Umweltbewegung. Hinter dem Satz, glaubte man lange, verberge sich eine Weissagung der Cree, einem indigenen Volk Nordamerikas. Ob das wirklich stimmt, das ist allerdings bis heute nicht vollständig und zweifelsfrei geklärt. Doch für die Kinder der 80er war es im Grunde egal, worauf dieser Satz beruht – wichtig war vor allem die Botschaft, die ja nichts anderes besagt, als dass die Natur zu schützen und zu ehren ist.

Für Annalena Baerbock war der Satz daher auch ein Auslöser, dass sie in der Schule in der Umwelt-AG aktiv wurde, wie sie in dem Gespräch weitersagte.23 Doch sie beließ es eben nicht allein bei Umweltdebatten, früh schon trieben sie auch weltpolitische Themen um – in einer Art und Weise jedoch, mit der...