Markus, mach mal

Markus, mach mal

von: Markus Majowski

Plassen Verlag, 2021

ISBN: 9783864708015 , 220 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 17,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Markus, mach mal


 

1


DER UHU ERWACHT


„Eh du dich daranmachst, die Welt zu verändern,
gehe dreimal durch dein eigenes Haus.“
(Chinesisches Sprichwort)

Und lass Gott rein! Ich bin Markus, von Berufs wegen Geschichtenerzähler. Ich erzähle von normalen, lieben, verzweifelten, albernen Menschen. Und mittendrin bist Du!

Die Geschichten in meinem Leben handeln von Zufällen, vom Hinfallen, vom Aus-der-Rolle-Fallen …

Unsere dreiköpfige Familie ist vor einigen Jahren überfallen worden. In unserer Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Die haben den Garten verwüstet, unser Leben bedroht und uns die Luft zum Atmen genommen. Türen, die aufgebrochen werden, Räume, die durchsucht werden, und die Angst davor, dass deiner Familie etwas passiert, das sind Erfahrungen, die ich niemandem wünsche. Menschen, die so etwas schon erlebt haben, wissen, was ich mit der Wunde in unserer Privatsphäre meine. Wenige Menschen können am Ort eines Einbruchs weiter leben bleiben.

Wir sind ein halbes Jahr später umgezogen, zähneknirschend, und haben einen neuen, viel schöneren Kiez erobert. Als der Lockdown kommt, als alles noch schwieriger wird, müssen wir mit weniger, als wir gewohnt sind, klarkommen. Wir haben darin Übung, reduzieren auf das Wesentliche – das können wir. Aber der neue Kiez hat so seine versteckten, nicht unsympathischen Tücken, die dazu führen, dass nur langsam Ruhe bei uns einkehrt.

Im Herbst 2018 pendle ich wie so oft um diese Jahreszeit zwischen Berlin und einem Gastspielort hin und her. Wiederaufnahmeproben für die eine Weihnachtskomödie in Köln stehen an. Spannende Arbeit, spannende Kollegen, aber irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich fühle mich unklar. Etwas Ähnliches steht auch in dieser SMS, die ich von einem frechen Kollegen aus Düsseldorf bekomme: „Markus, sag mal, wir müssen uns den einen Auftritt in der dritten Szene morgen vornehmen. Das war letztes Jahr immer so ein Knackpunkt bei uns. Irgendwie ist unklar, warum wir da eigentlich zusammentreffen. Da stimmt was nicht.“ Ich antworte ihm mit einem Okay-Daumen.

Man könnte sagen, in meinem Beruf als Schauspieler bin ich durchaus erfolgreich – und dazuzulernen macht immer Sinn. Erstens wird damit meine Vergesslichkeit ausgeglichen und zweitens bleibe ich flexibel, wenn ich anderen zuhöre und ihre Anregungen ausprobiere. Das kann ermüdend sein, aber etwas Interessantes bleibt immer hängen. Selbst wenn ich vor Erschöpfung am Abend früher einschlafe, ist das in Ordnung, denn ich bin in meinen Träumen sehr aktiv, verarbeite Sachen, die nicht stimmen, und kaue auf so mancher Nuss herum, bis sie endlich geknackt ist oder ich sie weit von mir werfe.

TRAUMALARM


Also, ich träume viel und fühle mich dabei wach und lebendig – kein Wunder, wo ich mir doch auch tagsüber ständig den Kopf anderer Leute aufsetze, überall meine Nase hineinstecke und hin und wieder stolpere, während ich durch das Leben laufe. Ich schrecke oft hoch im Schlaf oder werfe mich von einer Seite auf die andere. Ja, ich kann überraschend schnell sein, trotz Bauch. Manchmal bin ich sogar sprunghaft. Alles durcheinanderzuwerfen und dann kreativ zu werden, wenn andere die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, das ist mein Spezialgebiet. Manchmal geht etwas kaputt, versehentlich, versteht sich. Auch und gerade in der Nacht. Zerstreuzelung nenne ich das und ich weiß, ich bin durchaus ungeschickt. Beim Schlafen trage ich zwar keine Zipfelmütze, es sei denn, wir haben Winter und müssen Heizkosten sparen, aber ich bin durchaus gewillt, eine gewisse Ähnlichkeit mit der deutschen Nationalfigur, die kaum jemand kennt, einzugestehen. Bloß gut, dass ich nicht auch noch Michel heiße. Ich bin … ich fühle mich manchmal unsicher, ob man mir folgen kann, wenn ich mich so zeige wie jetzt.

Unsicherheit ist nicht schlimm, glaube ich. Außerdem kenne ich Dich und Deine Schutzwesen! Große Vögel, kleine Vögel, die stehen mir in der Not bei. Da ich oft in den Himmel schaue, sehe ich sie immer in Echtzeit. Manchmal habe ich das Gefühl, ich weiß, was als Nächstes passiert – und das ist ein bisschen unheimlich. Als ich mich kurz vor dem ersten Lockdown 2020 fragte, wie mein Leben weitergehen soll, wurde mir klar, dass es viele Möglichkeiten für mich gibt, vielleicht etwas völlig Neues, womöglich Unmögliches. „Ich warte nicht auf den totalen Zusammenbruch!“, verkündete ich. „Mich juckt es in den Fingern. Ich will Action!“

Rückblende. 1997. Ich habe mich schon immer für Technik interessiert und ich verstehe, warum sich viele Menschen nach Sicherheit sehnen, herbeigezaubert durch technischen Schnickschnack: weil sie Angst haben. Angst vor Verlust. Es heißt, Angst sei ein Zeichen für Intelligenz. Da muss ich passen, weil ich nicht so genau weiß, ob Intelligenz mein Thema ist. Ich wollte jedenfalls nie meinen Komfort, meine Gewohnheiten und meine lieb gewonnenen Macken aufgeben und wollte bestimmt niemals nackt, arm oder verstoßen sein müssen. Ist das auf Dauer machbar? Mal schauen, antwortest Du. Ich fürchte mich definitiv oft und möchte diese Ängste endlich überwinden.

Als Erstes darf ich meine Angst vor dem Alleinsein loswerden und werde bereit für den ersten Schritt: Recherche! Ich nutze die technische Errungenschaft, das aufkommende Internet, und recherchiere, was für einen Mann in meinem Alter jetzt ansteht. Durch Reisen lerne ich viele Menschen kennen, heißt es da. Ich bin gerade 33 Jahre alt geworden und werde über Nacht bereit für Reisen und Abenteuer! Das Internet sagt, dass ich viel reisen werde, wenn ich zum Beispiel das Tauchen lerne. Dafür darf ich wiederum erst einmal meine Angst vor der Tiefe besiegen. Offenes Meer und hinein ins Wasser? Niemals! Aber Du flüsterst mir ins Ohr: „Mach mal!“ Wie ferngesteuert bin ich ab jetzt. Tauchen! Von der Pike auf will ich alles über das Tauchen lernen. Notaufstieg, Strömung, Tiefe und Navigieren. Rettungstauchen mit und ohne Lebensrettung wäre schön. Und? Habe ich mir alles raufgeschafft, obwohl meine Alarmglocken klingeln bei dem Gedanken an Tiefe und Meeresgrund und Ungeheuer da unten. Unter mir. Ich habe meine Angst geschluckt. So was von schwer ist das und dehydriert darf man gar nicht tauchen – als ob ich es geahnt hätte. Denn ausgerechnet mir passiert so ein Notfall auf einem indischen Atoll, bei dem ich quasi ausgetrocknet noch an der Wasseroberfläche kollabiere. Im Anschluss habe ich eine lebenslange „Ich muss mehr Wasser trinken“-Macke. Vier bis fünf Liter am Tag! Das ist sogar gesund, wenn man viel Körpergewicht hat (habe ich, also sehr gesund)! Die Hauptsache ist, ich kann jetzt tauchen und reise durch die Welt. Und da ich bereit für eine Beziehung bin, erhöhe ich damit eindeutig meine Erfolgschancen. Frau jedoch zieht es vor, verborgen zu bleiben.

Drei Jahre später. Das richtige Leben ist, morgens früh aufzustehen und zum Drehort zu fahren oder zu Theaterproben, finde ich. Und gut ist, vorher zu frühstücken, draußen auch einmal Menschen anzulächeln und Carsharing oder Taxis zu nutzen, um zwischen den einzelnen Proben- oder Drehorten hin und her zu fahren. Ich liebe es, so zu leben: Geschichten erzählen, Künstler sein, zwischen meinen Kultur-Koordinaten hin- und herschaukeln. Doch viel öfter muss ich wohin fliegen. So wie heute. Mein halbes Leben ist ein geflogener Traum. Ich hänge meinen wolkigen Gedanken nach. Wenn jemand da oben „Spinner!“ zu mir sagt, weiß ich, was gemeint ist. Das sieht man mir aber nicht an. Keiner sieht mir meine eigentlichen Gefühle an, denn ich bin nicht nur ständig auf dem Sprung, ich trage die Informationen zu meinem Charakter chiffriert mit mir herum.

Außerdem frage ich mich die ganze Zeit, warum ich im Urlaub vom Tauchen immer so müde werde und den halben Tag verschlafe – und was mir mein zerfleddertes Traumtagebuch, das ich seit Jahren hingebungsvoll schreibe, eigentlich sagen will. Ich komme so unendlich langsam dahinter. Wenn das so weitergeht, höre ich auf, darin zu schreiben.

Das mit dem Spinner passiert auch dann, wenn ich mich gerade richtig anstrenge und denke: „Jetzt geht es richtig los mit meinem Leben. Jetzt habe ich alles verstanden. Jetzt lasst mich bitte einmal alle hier durch, ich möchte loslegen!“ Alle meine Muskeln sind in diesen Augenblicken angespannt, auch mein Po, und ich konzentriere mich ganz, ganz doll. Meine Therapeutin sagt, ich muss das lassen, das Anspannen. Lasse ich das aber weg, habe ich gleich wieder etwas vergessen und dann ist alles doof. Ich pendle oft zwischen verschiedenen Zuständen hin und her. Wach oder verträumt, blitzgescheit oder aus dem Mustopf, polternd oder einfühlsam, vielfältig oder mit Scheuklappen.

Manchmal muss irgendjemand das Wort Spinner nur denken oder ich denke, er oder sie denkt es gerade – schon werde ich rot und nestle an meiner Lippe herum, um selbstbewusster zu wirken.

Früher Morgen. Ich lebe in einer WG. Noch bin ich in der Wohnung, suche...