Männerliebe auf Reisen

Männerliebe auf Reisen

von: Sissi Kaipurgay

tolino media, 2021

ISBN: 9783754614891 , 128 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 3,49 EUR

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Männerliebe auf Reisen


 

1.


Für 93 Euro nonstop von Hamburg nach München. Pünktliche Abfahrt, Toilette an Bord und vielleicht nette Mitreisende. Das hatte Finn bewogen, statt der Bahn den Flixbus zu wählen. Außerdem konnte er während der Fahrt beruhigt ein Nickerchen machen, ohne zu befürchten, dass jemand ihn beklaute. Na gut, es könnte trotzdem passieren, aber die Wahrscheinlichkeit war geringer als in einem Zugabteil.

Der Bus hatte eine halbe Stunde Verspätung. Als sie losgefahren waren, verkündete der Fahrer übers Mikrophon in gebrochenem Deutsch, dass die Bordtoilette defekt wäre. Sie würden deswegen regelmäßig Stopps einlegen. Wenigstens wirkten ein paar Mitreisende ganz sympathisch. Insofern konnte er mit dem kleinen Manko gut leben.

Ein Weilchen quatschte er mit dem Mädel, das den Sitz neben ihm innehatte. Sie war erst achtzehn und wollte in München eine Freundin besuchen. Das Gespräch wurde schnell langweilig, da sie sich für Sachen begeisterte, die ihm bloß ein Gähnen entlockten. Shopping, Popsternchen und dergleichen.

„Ich hau mich ein bisschen aufs Ohr“, beendete er schließlich die Unterhaltung, woraufhin sie sich Ohrstöpsel einsetzte und begann, mit ihrem Smartphone zu spielen.

Er schloss die Augen und dämmerte weg.

Ein Ruckeln weckte ihn. Blinzelnd orientierte er sich. Der Bus hatte auf einer Raststätte gehalten. Erste Passagiere begaben sich zum Ausgang. Er bat das Mädel, ihn durchzulassen, und schloss sich der Karawane in Richtung Toiletten an.

Auf dem Rückweg besorgte er in der Tankstelle etwas zu trinken und einen Müsliriegel. Als er wieder auf seinem Platz saß, leerte er die kleine Flasche zur Hälfte, verspeiste den Riegel und tat anschließend so, als ob er einschlafen würde, damit seine Sitznachbarin ihn nicht anquatschte.

Er war auf dem Weg zu Jon, mit dem er seit einem Monat eine Fernbeziehung hatte. Aus beruflichen Gründen musste sein Freund von Hamburg nach München ziehen und voraussichtlich zwei Jahre dort bleiben. Davor hatten sie ein Vierteljahr auf Wolke sieben geschwebt. Zwischen ihnen war etwas Besonderes. Finn war überzeugt, in Jon den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Die temporäre Trennung ertrug er deshalb mit Fassung, auch wenn er vor Sehnsucht fast einging.

Jon war ein ziemlich hohes Tier bei der Kommerziell-Bank. Um die Karriereleiter noch höher zu klettern war es erforderlich, einen Einsatz in einem anderen Bundesland zu absolvieren. Jedenfalls hatte Jon ihm das so erklärt. Verstehen tat Finn es nicht, aber er war ja auch nur ein kleiner Versicherungskaufmann.

Er war schon gespannt auf Jons Gesicht, wenn er am nächsten Morgen überraschend auftauchte. Bestimmt würde sein Liebster Freudensprünge machen. Bei ihren letzten Telefonaten war es Finn schwer gefallen, nichts zu verraten. Die waren sehr kurz ausgefallen, weil Jon beruflich unter Stress stand, sonst hätte er sich bestimmt verplappert.

Er kuschelte sich tiefer in den Sitz und döste ein.

Als er das nächste Mal aufwachte, musste er dringend pissen. In der Apfelschorle schien ein Entwässerungsmedikament gewesen zu sein, anders konnte er sich das nicht erklären. Glücklicherweise stand der Bus, allerdings wusste Finn nicht, wie lange schon. Er drängelte sich an seiner Sitznachbarin vorbei, hastete zum Ausgang und auf das Klohäuschen zu.

Drinnen stank es nach Urin und Scheiße, schlimmer als im Kuhstall. Obwohl seine Blase fast platzte, konnte er unmöglich in solcher Umgebung pinkeln. Raschen Schrittes verließ er das Gebäude und rannte zur Böschung, wo er sich hinter einen Baum stellte und seine Hose öffnete. Vor Erleichterung, als der Druck nachließ, entwich ihm ein Stöhnen. Nach vollendeter Tat packte er seinen Schwanz wieder ein, da vernahm er ein Motorengeräusch. Im nächsten Moment blendeten Scheinwerfer auf und der Bus setzte sich in Bewegung.

Einen Augenblick war Finn starr vor Überraschung, dann rannte er los. Er winkte, schrie: „Halt! Anhalten!“, und verfolgte den Bus bis zur Auffahrt. Das Fahrzeug beschleunigte. Er starrte den Rücklichtern hinterher. Das konnte doch nicht wahr sein! Bestimmt träumte er! Leider fühlte es sich sehr real an.

Zu allem Überfluss begann es zu regnen. Wenigstens trug er eine Jacke, in der auch sein Geldbeutel steckte. Sein Handy, das Geschenk für Jon - ein teures Rasierwasser - sowie Wechselklamotten befanden sich im Rucksack, der vermutlich auf Nimmerwiedersehen mit dem Bus verschwunden war.

Niedergeschlagen trottete er zum Klohäuschen, dessen Dachvorsprung ein wenig Schutz vor dem Regen bot. Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er, nicht wie so viele andere Leute mit seinem Smartphone verwachsen zu sein. Hätte er das Gerät bei sich, könnte er zumindest rausfinden, wo er gestrandet war. Er schätzte, irgendwo zwischen Frankfurt und München.

Der Verkehr auf der Autobahn war spärlich. Zeitweise fuhr gar kein Wagen vorbei. Finn betete, dass sich bald ein freundlicher Autofahrer auf diese gottverlassene Raststätte verirrte und ihn mitnahm.

Als der Regen aufhörte fing er an, Runden um das Gebäude zu drehen, damit er nicht fror. Für einen längeren Aufenthalt im Freien war er nämlich, in seiner dünnen Lederjacke und den Sneakers, nicht ausgerüstet.

Irgendwann, er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, näherte sich ein Fahrzeug, ein Kleinlaster mit Hamburger Kennzeichen. Vor dem Klohäuschen hielt der Wagen an. Ein bärtiger Typ stieg aus und steuerte auf das Gebäude zu. Finn streifte der Mann nur mit einem kurzen Blick, bevor er durch die Tür ins Innere verschwand.

Entweder hatte sich der Gestank inzwischen verflüchtigt oder der Typ war hart im Nehmen. Es dauerte so lange, wie man für einmal Pissen brauchte, bis er wieder rauskam und auf den Wagen zuging.

„Ähm ... hallo?“, meldete sich Finn zu Wort. „Könnten Sie mich vielleicht mitnehmen?“

Der Mann stoppte, drehte sich zu ihm um und musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Eigentlich nehme ich keine Anhalter mit.“

„Ich bin aus Versehen hier gestrandet. Der Flixbus ist ohne mich abgefahren.“

„Tja. Da hast du wohl am falschen Ende gespart.“ Der Typ wies mit dem Kinn in Richtung Wagen. „Dann steig mal ein.“

Erleichtert ließ sich Finn auf dem Beifahrersitz nieder, während sich sein Retter hinters Lenkrad klemmte.

„Wo willst du überhaupt hin?“, erkundigte sich der Mann.

„München.“

„Du hast Glück. Da muss ich auch hin.“ Der Typ ließ den Motor an. „Ich bin übrigens Moritz.“

„Finn.“ Es war wundervoll, nach der feuchten Kälte im trockenen und warmen Innenraum zu sitzen. Er guckte über die Schulter. Hinter den Sitzen stapelten sich Kartons und Möbel. „Ziehst du um?“

„Ich nicht. Der Krempel gehört einem Kunden.“

„Kunden?“

„Ich hab ein Umzugsunternehmen und mache ab und zu selbst eine Tour, wenn Not am Mann ist.“

Finn guckte auf die Uhr im Armaturenbrett. Halb sechs. „Mitten in der Nacht und dazu noch am Wochenende?“

Moritz zuckte mit den Achseln. „Dann ist auf den Straßen am wenigsten los.“

Um seinen Chauffeur nicht weiter zu nerven, lehnte er sich zurück und schaute aus dem Fenster. In der Dunkelheit erkannte er die Umrisse von hohen Bäumen. Ach ja: Wo befanden sie sich überhaupt? Er spähte rüber zu Moritz, der konzentriert nach vorne sah. Ein hübsches Profil, mit der kleinen Nase und den langen Wimpern. Moritz besaß einen Bauchansatz, wirkte aber ansonsten fit. Das sollte man als Umzugsunternehmer, der mitanpackte, wohl auch sein.

„Wo sind wir eigentlich?“, fragte Finn.

„Kurz hinter Nürnberg. Noch ungefähr zwei Stunden bis München. Wo genau musst du da hin?“

„Ismaning.“

„Das trifft sich. Mein Ziel ist Garching. Das liegt direkt daneben.“

Er war wirklich ein Glückspilz. Insgeheim hatte er sich schon gefragt, wie er zu Jon kommen sollte und wie lange er dafür brauchte. Jede Minute ging ja für ihr gemeinsames Wochenende verloren.

„Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich dir bin.“ Finn kuschelte sich tiefer in den Sitz. „Nun weiß ich, wie es Haustieren und Rentner geht, die an der Autobahn ausgesetzt werden.“

„Rentnern?“, echote Moritz und warf ihm einen verwunderten Seitenblick zu.

„Ein Scherz, aber ist das nicht vor einiger Zeit tatsächlich passiert?“

Moritz lachte. „Bestimmt nur aus Versehen.“

Schmunzelnd zuckte Finn mit den Achseln. Wieder guckte er aus dem Fenster. Seine Gedanken wanderten zu Jon. Der schlief bestimmt noch. Vielleicht konnte er sich bald zu ihm kuscheln. Eine herrliche Vorstellung. Als erstes musste er sich aber um sein Gepäck kümmern. Große Hoffnung, dass er es zurückerhielt, machte er sich nicht. Bestimmt schnappte sich jemand den herrenlosen Rucksack in dem Glauben, darin etwas Wertvolles zu finden. Abgesehen von dem Rasierwasser gab es da jedoch nichts. Sein Smartphone war ein altes Modell und die Klamotten waren keine Markenware.

Das Radio dudelte leise vor sich hin. Zusammen mit dem Motorengeräusch bildete es eine einschläfernde Geräuschkulisse. Finn fielen die Augen zu.

Er wachte auf, als Moritz an einer Ampel hielt. Verschlafen guckte er sich um. Anscheinend waren sie gerade von der Autobahn abgefahren.

„Wir sind gleich in Garching. Gib mir mal die Adresse, wo du hinmusst. Ich bin gut in der Zeit und kann dich da absetzen“, meldete sich Moritz zu Wort.

„Aschheimerstraße 11.“ Finn rieb sich den Nacken, den er sich beim Schlafen verspannt...